vorwärts.de: Sie plädieren für höhere Löhne in Deutschland. Wieso hilft das den Griechen oder den Portugiesen?
Heiner Flassbeck: Weil es wie eine Abwertung für die Griechen wirkt und Abwertung hilft dem Export. In einer Währungsunion gibt es Auf- und Abwertungen nur über die Lohnstückkosten. Deutschland muss mehr importieren und weniger exportieren, die anderen umgekehrt.
Für diesen Vorschlag werden Sie in Deutschland wenig Zustimmung erhalten.
Weil Lohnzurückhaltung seit 15 Jahren als das allein selig machende Mittel angesehen wurde, um die deutsche Arbeitslosigkeit zu beseitigen. Leider hat das nicht funktioniert. Die deutsche Exportwirtschaft hat zwar alle anderen an die Wand gedrängt. Für den Binnenmarkt war das jedoch eine Katastrophe.
Also sollte Deutschland auch nicht danach streben, Exportweltmeister zu sein?
Exportweltmeister zu sein ist nichts Schlimmes, wenn man auch Importweltmeister ist. Aber man kann nicht Exportweltmeister sein und bei den Importen hinterher hängen. In Deutschland glaubt man seit 30 Jahren, dass Länder miteinander konkurrieren können wie Unternehmen. Das ist der Grundirrtum der deutschen Standortdiskussion. Damit treibt man die anderen Länder systematisch in die Verschuldung. In diesem Zusammenhang gibt es derzeit einen großen Konflikt zwischen Frankreich und Deutschland. Frankreich vertritt meine Position. Deutschland vertritt die Position, dass dies Problem nicht existiert.
Welche Folgen hat der Konflikt zwischen Deutschland und Frankreich?
Es gibt keine Möglichkeit, die Währungsunion aufrecht zu halten, wenn es in dieser Frage keine Einigung gibt. Es kann nicht sein, dass ein Land immer Marktanteile gewinnt und die anderen verlieren. Wenn es umgekehrt wäre, gäbe es in Deutschland einen Aufstand.
Was bringt eine Finanztransaktionssteuer?
Eine Finanztransaktionssteuer ist richtig, aber das reicht bei weitem nicht aus. Man muss die Obama-Vorschläge aufgreifen und die Normalbankaktivitäten von den Kasino-Aktivitäten, also vor allem dem Investmentbanking, trennen. Das ist der zentrale Ansatzpunkt. Die Banken werden heute pauschal über die Zentralbank mit billigem Geld subventioniert. Doch statt es der Wirtschaft zu geben, gehen sie damit ins Kasino. Im Moment subventionieren die Zentralbanken das Kasino.
Die Banken machen mit dem billigen Geld der EZB Gewinne. Der Deutschen Bank ginge es schlechter, der HRE, die dem Staat gehört, noch schlechter...
Solche Gewinne machen kann jeder Dumme. Wenn ich vom Staat Geld für ein Prozent kriege und Staatsanleihen für 3,5 Prozent kaufe, mache ich ja schon einen großen Gewinn. Aber wenn die Zentralbanken sagen würden, sie geben dem Staat das Geld direkt für ein Prozent, dann wäre das eine Revolution.
Dafür gibt es ja auch historische Gründe, z.B. die Inflation 1923.
Das ist richtig. Aber wenn man zu 95 Prozent Kasinobanking hat, muss man erkennen, dass die Zeiten sich geändert haben.
Das Verhältnis zwischen Leverage Money, also verbrieftem Geld, zu gesetzlichen Zahlungsmitteln beträgt mehr als 50 zu 1. Müsste auch dagegen etwas getan werden?
Das ist ein gewaltiges Problem. Das Finanzsystem beruht auf Wetten, die irgendwann dazu führen, dass das gesamte System kollabiert. Wenn die Hälfte der Bevölkerung nur noch mit riesigen Summen ins Kasino ginge und nicht mehr arbeitete, sähe jeder, dass das ein Problem ist. Stattdessen gibt es immer noch Menschen, die glauben, von den Erträgen des Kasinos könnten sich am Ende alle Villen an der Cote d'Azur kaufen.
Hat sich die Finanzwirtschaft zu weit von der Realwirtschaft entfernt?
Total. Die Gewinne der Banken sind Scheingewinne. Wenn Investmentbanker den Wert einer Aktie nach oben treiben, ist die Welt nicht reicher geworden. Herr Ackermann sagt: Wir sind die Werteschaffer. Das stimmt nicht. Sie sind die Scheinwerteschaffer.
Dirk Solte hat den Mechanismus beschrieben als Reise nach Jerusalem. Stimmt das Bild?
Ja, das sind alles verzögerte Schneeballsysteme. Wenn es eine zeitlang gelingt, die Preise für Rohstoffe, Währungen oder Aktien nach oben zu treiben, sieht es so aus, als sei das ein Gewinn. Wenn alles zusammenbricht, sieht man erst, dass es nur ein Scheingewinn war.
Droht eine Inflation oder ein Währungsschnitt?
Nein, wir haben eine extrem schwache Wirtschaftsentwicklung und die Geldmenge sinkt seit einigen Monaten. Wenn die Staaten noch mehr sparen, werden wir eine Deflation bekommen: Die Löhne werden gesenkt, Nachfrage und Preise sinken, die Wirtschaft stagniert.
Wieso sinkt die Geldmenge, wenn die EZB ständig neues, billiges Geld in den Markt gibt?
Bei der Geldmenge M3, die üblicherweise verwendet wird, rechnet man aus guten Gründen das Interbankengeld nicht mit. Davon stellte die EZB in der Krise viel zur Verfügung, weil die Banken sich untereinander nichts mehr liehen. Als Geldmenge betrachtet die traditionelle Wirtschaftswissenschaft das Geld, das für die Nachfrage nach Gütern zur Verfügung steht. Diese Geldmenge sinkt, weil weniger Kredite vergeben werden.
Was kann man gegen Deflation tun?
Die Löhne erhöhen, sonst werden wir wie Japan. Japan ist trotz Null-Zinsen mit 200 Prozent am BIP das Land, wo die Staatshaushalte die höchsten Schulden haben. Zudem müssen wir diejenigen zur Kasse bitten, die massive Scheingewinne machen. Wenn die Konjunktur anspringt, kann man auch die Staatsschulden langsam abbauen. Ein Land kann sein öffentliches Haushaltsdefizit nur verringern, wenn aus dem privaten Sektor gleichzeitig so starke positive Konjunkturimpulse kommen, dass die Nachfrage insgesamt nicht sinkt. Es ist Staatskunst, was jetzt verlangt wird, nicht Provinzgetrampel.