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„Tausenden droht die Insolvenz“

von Susanne Dohrn · 13. September 2009
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vorwärts: Sie sind im Team Steinmeier zuständig für den Mittelstand. Seit wann wählen Unternehmer Sozialdemokraten?

Harald Christ: In kleinen und mittelständischen Unternehmen arbeiten bis zu 90 Prozent der Arbeitnehmer in Deutschland. Das sind unsere Wählerinnen und Wähler. Auch die Unternehmer können wir überzeugen, wenn wir deutlich machen, dass wir ein Interesse daran haben, dass der Mittelstand in Deutschland erfolgreich ist, dass wir bei Forschung und Entwicklung die richtigen Entscheidungen treffen, Impulse setzen für Ausbildung, beim Bürokratieabbau weiterkommen und beim Thema Steuervereinfachung. Deswegen muss es unser Anliegen sein, auch diese Wählergruppen zu überzeugen und klarzumachen, dass Frank-Walter Steinmeier als Kanzler dem Mittelstand die Bedeutung gibt, die er verdient hat.

Hat die SPD den Mittelstand neu entdeckt?


Nein, aber wir haben den Mittelstand in den Fokus gerückt, im Kompetenzteam von Frank-Walter Steinmeier und mit dem Deutschland Plan. Im Wirtschaftsministerium hat man in den letzten Monaten über Arcandor und Opel und Schaeffler geredet. Die vielen hunderttausend kleinen Unternehmen, die mindestens genauso von der Krise betroffen sind, fallen in der Diskussion und der Wahrnehmung unten durch.

Was muss die Politik ändern?


Für den einzelnen Mittelständler ist es oft schwer, die ganzen Verwaltungsformalitäten für Fördermittel zu erfüllen. Das müssen wir vereinfachen. Wir wollen einen Ombudsmann für den Mittelstand, der zwischen KfW, Banken und krisenbetroffenen Unternehmen vermitteln soll und nach der Krise zwischen Mittelstand und Behörden.

Wie wäre es mit Bürokratieabbau?

Den hat Angela Merkel zur Chefsache gemacht. Ich habe versucht, Fortschritte in Erfahrung zu bringen. Insbesondere auf europäischer Ebene ist noch viel "drinnen". Wir werden nach dem 27. September das Thema konsequent anpacken.

Wie sehr macht die Kreditklemme dem Mittelstand zu schaffen?

Es ist deutlich schwieriger geworden, Kredite zu bekommen. Und wer sie bekommt, muss teilweise hohe Risikoaufschläge zahlen oder zusätzliche Sicherheiten stellen, dies trifft insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen.

Wenn das Risiko größer wird, und das ist so in einer Krise, werden Kredite teurer. Das ist doch normal, oder?

Wir haben als Staat und Steuerzahler das Finanzsystem mit einer dreistelligen Milliardensumme stabilisiert. Da kann man erwarten, dass die Banken im Gegenzug ihrem Auftrag nachkommen und die deutsche Wirtschaft mit Krediten versorgen. Ich fordere hier die gesamtwirtschaftliche Solidarität der Banken ein.

Kann der Staat die Banken zur Kreditvergabe zwingen?


Man kann Banken nicht zwingen, Unternehmen zu unterstützen, an dessen Zukunft man nicht mehr glaubt. Aber es kann nicht sein, dass sich Banken für ein Prozent refinanzieren, Gewinnmargen zwischen 4, 6 und 7 Prozent erzielen, und gleichzeitig Tausende von überlebensfähigen mittelständischen Unternehmen Gefahr laufen, in die Insolvenz zu gehen.

Warum zieht die Politik die Daumenschrauben nicht an und sagt, dann geben wir Kredite direkt?


Peer Steinbrück hat dazu gute Vorschläge gemacht, z.B. die Vergabe von Globaldarlehen durch die KfW. Im Rahmen eines von Peer Steinbrück initiierten Spitzentreffens Anfang September haben sich die Banken verpflichtet, Zinsvorteile an die Unternehmen weiterzugeben und transparenter zu werden. Ich habe die Hoffnung, dass die Banken wissen: Wenn morgen ihre Kunden nicht mehr da sind, können sie übermorgen kein Geschäft machen.

Viele Banker leugnen die Kreditklemme.


Sparkassen und Volksbanken/Raiffeisenbanken haben ihre Kreditvergabe sogar erhöht. Das ist vorbildlich. Leider fahren dafür aber gerade einige private Banken ihre Kreditvergabe zurück.

Und die anderen Banken?


Eine Reihe von Bankvorständen sagt in Einzelgesprächen: Ja, wir sind restriktiver geworden, wir verlangen mehr Sicherheiten, wir halten Kredite zurück, weil wir uns jetzt in erster Linie auf die Sanierung unserer Bank und die Verantwortung gegenüber unseren Shareholdern konzentrieren müssen. Die ausländischen Banken - die Royal Bank of Scottland, HSBC - haben sich komplett vom deutschen Markt verabschiedet. Die waren in den letzten fünf Jahren sehr aktiv und haben die Gewinnmargen so weit nach unten getrieben, dass die Banken das langfristig nicht durchgehalten hätten. Das hat vielleicht mit zu dieser Krise geführt, weil die Banken versucht haben, woanders Geld zu verdienen.

Wieviel value braucht ein Shareholder?


Mir wäre lieber, die Banken würden nicht an Maximalrenditen festhalten, die langfristig nur einem kleinen Kreis von Shareholdern nutzten, aber einen großen Teil der Wirtschaft und viele Hunderttausende Arbeitsplätze in Deutschland vernichten. Wir leben nicht in einer Welt von fünf Prozent Privilegierten, sondern von 82 Millionen Menschen. Wir dürfen nicht zulassen, dass es immer mehr Menschen schlechter geht und einem kleinen Teil immer besser.

Kann der Staat nicht einfach sagen, Ihr erhaltet von uns Geld, also müsst Ihr auch günstige Kredite geben?

Das ist sehr schwierig. Sie können als Eigentümer, wenn Sie nicht die Mehrheit haben, keinen Einfluss auf das operative Geschäft nehmen. Aber wenn Hunderte von Mittelständlern Pleite gehen, schraubt das den Wertberichtigungsbedarf bei den Banken hoch. Deshalb ist Stabilität auch im Interesse der Banken. Sie haben aber Recht, sollte die Selbstverpflichtung der Banken nicht wirken und die Kreditvergabe nicht in Gang kommen, muss der Staat notfalls handeln.

"Das Privileg, möglicherweise mehr zu haben als jemand anderes, ist mit der Pflicht verbunden, dieses Mehrhaben in die Allgemeinheit einzubringen," sagt Enoch zu Guttenberg, der Vater. Einverstanden?

Da liegen wir 100 Prozent auf einer Linie. Wenn etwas zum Wohle unseres Landes und der Bürgerinnen und Bürger ist, haben parteipolitische Positionierungen zurückzustehen. Da kann es sein, dass es manchen Bereichen sogar Übereinstimmung mit Herrn zu Guttenberg gibt, so wie es in der Energiepolitik Übereinstimmungen mit den Grünen gibt oder beim Thema Adoptionsrechte für gleichgeschlechtliche Partnerschaften mit der FDP. Vernunft vor Ideologie. Mein Beitrag ist, gute vernünftige Lösungen zu finden. Wenn Herr Guttenberg eine gute Lösung hat, unterstütze ich ihn. Wenn wir gute Lösungen haben, wünsche ich mir, dass man das genauso anerkennt. Nehmen wir die Abwrackprämie. Es war eine sozialdemokratische Initiative, die CDU war dagegen. Mittlerweile diskutiert die CDU eine Neuauflage für Jahreswagen. Alle Parteien sollten sich immer wieder die Frage stellen: Was ist das Richtige und Notwendige für unser Land?

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Susanne Dohrn

ist freie Autorin und ehemalige Chefredakteurin des vorwärts.

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