Er ruiniert die Konkurrenz, übernimmt deren Läden, kontrolliert bald den gesamten Handel und steigt dann als Bankier groß ins Geldgeschäft ein. Wenn wieder mal die Justiz wegen alter
Geschichten ermittelt oder gar - wie in der "Dreigroschenoper" dem Mackie Messer - der Galgen droht, hilft der Staat in Gestalt des befreundeten Freddy Brown, Chefermittler von Scotland Yard. Am
Ende erscheint der "reitende Bote des Königs" und verkündet, dass der Gangster in den Adelsstand erhoben wurde.
Brechts bitterböse Satire auf den real existierenden Kapitalismus ist 80 Jahre alt, klingt aber bestürzend aktuell. Nur ist diesmal das Happy End ausgeblieben. Und bei den heute handelnden
Personen handelt es sich selbstverständlich nicht um Gangster, sondern um ehrenwerte Mitglieder der deutschen Gesellschaft: Madeleine Schickedanz (Beruf: Erbin und mit 27 Prozent an Arcandor
beteiligt), Matthias Graf von Krockow (Gesellschafter der Privatbank Sal. Oppenheim jr. & Cie., die 29 Prozent des Warenhauskonzerns hält), Wolfgang Urban (Ex-Vorstandschef von
KarstadtQuelle), Josef Esch (Immobilienmakler) und dessen Geschäftsfreund Thomas Middelhoff (von 2004 bis zum Februar 2009 erst Aufsichtsratsvorsitzender, dann Vorstandschef von Arcandor).
Sie alle waren, in wechselnden Rollen, an profitablen Geschäften beteiligt, deren Folgen nun die über 50 000 Mitarbeiter des Unternehmens ausbaden müssen. Jetzt stecken sie - wie Brecht es
formuliert hätte - "in gewissen Schwierigkeiten". Die Immobilienblase, an der sie prächtig verdient haben, ist geplatzt, Arcandor insolvent. Es gab keinen rettenden Staat, keinen "reitenden
Boten" aus dem Berliner Kanzleramt mit einer Millionenbürgschaft im Gepäck. Sie müssen zwar nicht fürchten, Hartz-IV-Empfänger zu werden wie Tausende ihrer Angestellten.
Aber ein paar Milliönchen sind jetzt doch gefährdet, weil der Staat nicht bürgt. Und für Thomas Middelhoff, einst an der Spitze des Konzerns, sieht es noch enger aus. Nicht nur die Geschäfte sind dumm gelaufen. Auf Anregung der Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) ermitteln jetzt auch noch Staatsanwälte in Essen wegen des Verdachts der Untreuegegen den Mann, der seine Initialen TM stolz auf goldene Manschettenknöpfe prägen ließ.
Nur zum eigenen Vorteil
Es geht um die Frage, ob Middelhoff private Interessen über seine Pflichten als Konzernchef gestellt hat. Konkret: Ob TM zu Gunsten von Esch (und damit indirekt auch zum eigenen Vorteil),
aber zu Lasten von Arcandor darauf verzichtet hat, einen dreistelligen Millionenbetrag einzuklagen, den Esch dem Konzern möglicherweise hätte zahlen müssen.
Der Ruf des einstigen Topmanagers war schon lange angeknackst. Der charmante "Dampfplauderer" (Wirtschaftswoche), hat eine große Karriere hinter sich.
Einst steuerte er den Bertelsmann-Konzern, bis er 2002 - wie er selbst später den Akt der offenbar nicht ganz freiwilligen Trennung umschrieb - "nach unterschiedlichen Auffassungen über die
künftige Strategie der Bertelsmann AG zwischen mir und dem Aufsichtsrat unaufgefordert meinen Rücktritt" erklärte. Gerd Schulte-Hillen, der Aufsichtsratsvorsitzende wurde deutlicher: Er warf der
alten Führung vor, sie habe die Möglichkeiten der Internet-Ökonomie überschätzt. Zudem verbiete es die Bertelsmann-Unternehmenskultur, "Firmen oder Firmenteile wie Bauklötzchen hin und her zu
schieben". Schulte Hillen: "Die Balance zwischen Vision und Bodenhaftung muss stimmen."
Visionär Middelhoff stieg dann in London ins internationale Immobiliengeschäft ein. 2004 wurde er an die Spitze des größten deutschen Warenhauskonzerns KarstadtQuelle geholt, den er in
Arcandor umtaufte. Im Februar 2009 trennte man sich. Middelhoff hatte sein Ver-sprechen nicht einhalten können, den Konzern zu sanieren. Vorher schon waren Berichte aufgetaucht, die Privatbank
Sal. Oppenheim jr. & Cie wolle den umtriebigen Manager in ihren Partnerkreis mit Zuständigkeit für alternative Investments aufnehmen. Doch dazu kam es nicht. Wenn es tatsächlich sein Traum
gewesen sein sollte, Bankier zu werden, dann ist auch diese Vision geplatzt.
Immer das gleiche Schema
Das Immobiliengeschäft, für das sich nun die Staatsanwälte interessieren, wurde im Februar 2001 eingefädelt und im Oktober 2002 besiegelt. Einer der Hauptakteure war Josef Esch aus Troisdorf
bei Bonn, der vom einfachen Maurer zum Bauunternehmer aufstieg und ein höchst erfolgreicher Immobilienhändler wurde. Finanziert von betuchten Kunden des Oppenheim-Bankiers Graf von Krockow
verdiente der clevere Rheinländer sein Geld mit der Vermarktung von Grundstücken. Und das lief fast immer nach dem gleichen Schema ab: Esch kaufte klammen Kommunen (zum Beispiel der Stadt Köln)
oder Konzernen (zum Beispiel KarstadtQuelle) Immobilien ab, sanierte die darauf stehenden Gebäude oder baute neue, um diese dann langfristig an die früheren Eigentümer zu vermieten. Das Geld
dafür sammelte er über Immobilienfonds bei privaten Investoren, deren Engagement später mit üppigen Mieteinnahmen entgolten wurde.
Der Stadt Köln bescherte Esch auf diese Weise die überteuerte Köln-Arena, deren Neubau die Stadt in eigener Regie etwa 140 Millionen gekostet hätte, nun aber ihren Etat langfristig mit
schätzungsweise 330 Millionen belastet - ein Klüngel-Skandal, der die Justiz, und auch die Europäische Union beschäftigte.
Schlechtes Geschäft für Karstadt
Mit KarstadtQuelle kam Esch 2002 ins Geschäft. Er hatte beste Verbindungen zur Konzernspitze. Zu seinen Kunden zählten die Quelle-Erbin Schickedanz (der er bis heute als
"Testamentsvollstrecker" dient) und der damalige Vorstandsvorsitzende Wolfgang Urban, der ebenfalls an dem skandalumwitterten Köln-Arena-Deal beteiligt war. Anfangs sollte Esch "30 bis 40
Prozent" aller KarstadtQuelle-Liegenschaften übernehmen. Zum Schluss waren es dann "nur" fünf Kaufhäuser in bester Lage, die in gewinnträchtige Mietobjekte umgewandelt wurden. Es war, so
urteilte später der "Spiegel", "ein grandioses Geschäft für Esch, die Bank und ihre Kunden, ein grottenschlechtes dagegen für Karstadt." Denn damit sich die Sache für die Anleger und für Esch
rentierte, musste der Konzern überteuerte Mieten zahlen: Nicht wie sonst üblich sieben bis neun Prozent, sondern bis zu 17,2 Prozent des Umsatzes der jeweiligen Häuser.
Einer der Investoren, die daran verdienten, war Thomas Middelhoff. Er hatte sich - seit 2001 ebenfalls Kunde von Esch, den er zu seinem "persönlichen Vermögensberater" ernannte - am
Karstadt-Deal beteiligt, nachdem er von Bertelsmann eine zweistellige Millionenprämie kassiert und nach profitablen Anlagemöglichkeiten gesucht hatte. Das Geschäft ließ sich gut an. Aber es
bescherte Middelhoff auch einen zwielichtigen Interessenkonflikt: Als Konzernchef musste er an möglichst niedrigen, als Investor an möglichst hohen Mieten interessiert sein. Um deren Auszahlung
zu sichern ließ der gerade frisch berufene Aufsichtsrats-Vorsitzende schon im Jahr 2004 sogenannte Droh-Verlust-Rückstellungen in Höhe von 150 Millionen Euro in die Konzernbilanz einstellen -
eine seiner ersten Amtshandlungen.
Middelhoff weist zwar heute zu Recht darauf hin, dass der Karstadt-Handel mit Esch schon vor seiner Berufung zustande kam - unter der Regie seines Vor-Vorgängers Urban. Sowohl der Vorstand
als auch der Aufsichtsrat hätten von der geschäftlichen Verbindung zu Esch gewusst und diese nicht moniert. Inzwischen weiß man aber, dass es sein Vermögensberater Esch war, der Middelhoff für
den Posten vorgeschlagen und bei seiner Kundin Schickedanz eingeführt hatte. Vielleicht hoffte er auf eine Fortsetzung der lukrativen Geschäfte.
Methode Esch
Tatsächlich übernahm Middelhoff die Verkaufsstrategie seiner Vorgänger nicht nur. Er forcierte sie sogar - allerdings ohne Esch daran zu beteiligen. Statt an diesen verkaufte er die restlichen
Arcandor-Immobilien an eine Konsortium namens "Highstreet", an dem Goldman Sachs mit 51 Prozent und mit 49 Prozent mehrere andere Geldinstitute, darunter über eine Tochter auch die Deutsche
Bank, beteiligt sind.
Auch diese Transaktion lief nach der Methode Esch ab: Die Immobilien wurden verkauft, die Sanierung oder der Neubau der Häuser über private Fondsanleger finanziert und die Objekte dann - zu
überhöhten Preisen - wieder an Kar-stadtQuelle vermietet. Middelhoff rühmt sich, seinem Laden auf diese Weise Geld verschafft zu haben. Tatsächlich aber agierte er wie eine Heuschrecke im
eigenen Haus: Er weidete den Konzern aus und vernachlässigte das eigentliche Kerngeschäft, den Verkauf von Waren. "Wir entwickeln uns zu einer Finanzholding" verkündete er einmal stolz.
Genau das war offenbar von Anfang an das Ziel der Karstadt-Eigentümer. Das klassische Warenhausgeschäft genügte ihnen nicht. Sie wollten groß in die Immobilien- und Finanzbranche
einsteigen, was ihnen Esch auch versprochen hatte. Aber daraus wurde nichts. Ende 2002 überwies der Immobilienmogul dem Konzern ("Für die Begründung der Geschäftsbeziehungen und für die bisherige
und zukünftige Zusammenarbeit bei der Realisierung von Immobilienprojekten") zwar 29 Millionen Euro. Auf weitere Zahlungen in dreistelliger Millionenhöhe wartete KarstadtQuelle allerdings
ver-geblich. Denn nach dem Ausscheiden von Urban fühlte sich Esch nicht mehr an die Abrede gebunden.
Verzicht auf Klage
Statt aber juristisch gegen die frühere Hausspitze vorzugehen, die den pikanten Deal ausgehandelt hatte, verzichtete Middelhoff auf eine Klage. Begründung: Der mögliche Schaden für den
Börsenwert des Unternehmens wäre weitaus größer, als alles, was man gerichtlich einklagen könnte. Seinen Geschäftsfreund Esch mochte Middelhoff juristisch auch nicht belangen. Eine Klage wegen
der nicht gezahlten Beteiligungs-Millionen, wäre aussichtslos gewesen, behauptete er später.
Der frühere Konzern-Justitiar, Bernd-Volker Schenk, habe ebenfalls "ausdrücklich von einer Klage abgeraten." Doch der erinnert sich anders. Am 8. November 2006 hatte er "persönlich/streng
vertraulich" einen Vermerk an Thomas Middelhoff geschickt: Man müsse "mit Herrn Esch vor Eintritt der Verjährung entweder ein Verhandlungsergebnis erzielen oder aber die Forderung
verjährungsunterbrechend gerichtlich geltend machen." Im Klartext: klagen.
Dem "Spiegel" sagte Middelhoff, er habe das Schreiben gelesen. Später aber sei Schenk nach einem Besuch bei Esch zu ihm gekommen und habe erklärt, er solle nicht klagen, es sei sinnlos, das Geld einzufordern, sein Vermerk damit gegenstandslos. Schenk bestreitet das: "Herr Middelhoff hat auf meine Stellungnahme vom 8. November 2006 überhaupt nicht reagiert. Ich bin danach auch nie wieder in dieser Sache für KarstadtQuelle oder Arcandor tätig geworden - weder gegenüber Josef Esch noch an irgendeiner anderen Stelle." Nur eine der beiden Versionen kann stimmen. Welche - das muss die Justiz ermitteln.
Wer ist für das scheitern von Arcandor verantwortlich?
Sie alle waren, in wechselnden Rollen, an profitablen Geschäften beteiligt, deren Folgen nun die über 50 000 Mitarbeiter des Unternehmens ausbaden müssen.
Thomas Middelhoff: Er war von 2004 bis Februar 2009 erst Vorstandsvorsitzender, dann Vorstandschef von Arcandor.
Madeleine Schickedanz: die Karstadt-Erbin ist mit 27 Prozent an Arcandor beteiligt.
Matthias Graf von Krockow: Er ist Gesellschafter der Privatbank Sal. Oppenheim jr. & Cie., die 29 Prozent des Warenhauskonzerns hält.
Wolfgang Urban: Der Ex-Vorstandschef von KarstadtQuelle vereinbarte den Umbau von Karstadt-Filialen.
Josef Esch: Der Ex- Maurer und Bauunternehmer wandelte die Kaufhäuser in teure Mietobjekte um.