Kultur

Zeuge des Grauens

von Dorle Gelbhaar · 30. September 2008
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Mehr als 30 Bücher hat Elie Wiesel verfasst. Doch sein erstes hat nicht seinesgleichen. Es kann durch kein anderes ersetzt werden. Ihm können sich nur andere zur Seite stellen, verschiedene Akkorde in einem Chor des Erinnerns an durchlebtes Grauen. Der Autor hat als Jugendlicher die Hölle überlebt. Er hat erfahren, was man Menschen antun kann. Das beschreibt er in einer sachlich kargen Sprache, die das Beschreiben um so eindringlicher wirken lässt. Der entsetzliche Schrecken des Holocaust wird darin lebendig. Das, was passierte, nicht fassen können Die Einwohner von Sighet wollten nicht glauben, was ihnen berichtet wurde, bevor es sie selbst traf. Es widersprach auch ihren ersten Erfahrungen mit den Deutschen. Sie konnten sich diese nicht als die Monster denken, die sie später bis zur äußersten Not und zum Tode schinden sollten. Aus seiner Heimat, dem rumänischen Ort Sighet wurde Elie Wiesel als 15-Jähriger nach Auschwitz deportiert. Er begriff schnell, gab sich als 18-Jährigen aus, um überleben zu können. Durchhalten. Sich treu bleiben. Es war bereits das Jahr 1944. Die Befreiung schien kurz bevorzustehen. Im Kampf gegen den Tod nicht das eigene Ich zu verlieren Von Mutter und Schwester gleich nach der Ankunft im Lager gewaltsam getrennt, tat der Junge alles, um seinen Vater nicht zu verlieren. Er konnte den Tod des Vaters nicht verhindern. Es hätte mehr als eines Wunders bedurft, den von Hunger, Kälte, Prügel und Überanstrengung entkräfteten Mann den Todesmarsch von Auschwitz nach Buchenwald überleben zu lassen. Alles war darauf angelegt, diese Menschen qualvoll zu Tode zu bringen und ihnen alles zu nehmen, auch die Selbstachtung. Seine besondere Anziehungskraft gewinnt das Buch zweifellos daraus, dass es nicht beim Beschreiben des schlimmen Schicksals der Menschen in den Ghettos, Konzentrationslager, auf den Todesmärschen stehen bleibt, sondern zeigt, wie ein Junge sich in aller Drangsal seine Würde nicht nehmen lässt und wie unendlich schwer dies ist. Danach Der Vater Elie Wiesels starb im Januar 1945. Im April wurde Buchenwald von der sowjetischen Armee befreit. Der jüdische Junge aus dem rumänischen Sighet kam in ein französisches Waisenhaus, studierte schließlich in Frankreich, wurde Journalist, arbeitete für eine französische und für eine Tel Aviver Zeitung. Der Nobelpreisträger Francois Mauriac ermutigte ihn, über die eigenen Erlebnisse zu schreiben. Mauriac hat auch das Vorwort für die gerade erschienene Ausgabe verfasst. Man kann sich diesem frühen Buch des heutigen Bostoner Professors und Friedensnobelpreisträgers nicht verschließen. Elie Wiesel "Die Nacht. Erinnerung und Zeugnis", Aus dem Französischen von Curt Meyer Clason. Mit einer Vorrede von Francois Mauriac, Herder spectrum Band 6014, Freiburg - Basel - Wien, Neuausgabe 2008, 157 Seiten, 8,90 Euro, ISBN 978-3-451-06014-4

Autor*in
Dorle Gelbhaar

ist freie Autorin, Vorstandsmitglied des Verbands deutscher Schriftsteller im ver.di-Landesverband Berlin sowie stellvertretende Vorsitzende des Kulturwerks Berliner Schriftsteller e. V.

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