Kultur

„Wie von der Nachtigall geboren“

von Birgit Güll · 17. Oktober 2008
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Der bewegende Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan erschien in diesem Jahr. Erst 2012 wird die Korrespondenz mit dem Lebensgefährten Max Frisch einsehbar. Ein Großteil der Schriftwechsel bleibt allerdings bis 2025 unter Verschluss. Keine einfachen Voraussetzungen für Bachmann-Biographen! Frauke Meyer-Gosau suchte an zentralen Lebensorten nach Antworten. Sie sprach mit Freunden, Verwandten und Experten. Denn "bei Ingeborg Bachmann gibt es keine strenge Trennung zwischen Leben und Werk", unterstreicht der Biograph Hans Höller.

"...aus dem Tal nach Wien"
"... in meiner Erinnerung wird der Weg aus dem Tal nach Wien immer der längste bleiben...", heißt es in einem autobiographischen Text der Schriftstellerin Ingeborg Bachmann. Zwanzigjährig kam die im österreichischen Klagenfurt Geborene 1946 ins Nachkriegs-Wien. Hier studierte sie Philosophie, Germanistik und Psychologie. Die Stadt ist der Ausgangspunkt ihrer Laufbahn.

In Bachmanns Werk bleibt Wien präsent, auch nachdem es ihr als Wohnort längst zu eng geworden war. Nach zahlreichen Ortswechseln lebt die Schriftstellerin zuletzt in Rom und arbeitet am "Todesarten"-Projekt. Allerdings sei sie in Wien, sobald sie ihr römisches Arbeitszimmer betrete, hatte sie erläutert. Denn: "Ich bin besser in Wien, weil ich in Rom bin, denn ohne diese Distanz könnte ich es mir nicht für die Arbeit vorstellen", erläuterte die Schriftstellerin. Am 17. Oktober 1973 starb sie in der italienischen Hauptstadt an den Folgen eines Brandunfalls.

"Denken ist solitär"
Den Spuren der Dichterin folgt Meyer-Gosau auf ihrer Reise, die sie nach Wien und Rom, aber auch Paris, Berlin, Zürich und Klagenfurt führt. Sie hört Geschichten, die nicht recht ins Bild der Unnahbaren passen wollen, die einmal formulierte hatte "Denken ist solitär, Alleinsein ist eine gute Sache". Freunde berichten von gemeinsamen Radtouren und Spaziergängen, von Sonnenbädern und ausgelassener Stimmung.

Und Meyer-Gosau erfährt Unbekanntes: Bachmann sei extrem kurzsichtig gewesen. Aus Eitelkeit habe sie keine Brille getragen, und Kontaktlinsen vertrug sie nicht, berichtet die Freundin und Mitherausgeberin der Werkausgabe Inge von Weidenbaum. Waren die häufig als feierlich beschriebene Langsamkeit und die tastenden Bewegungen lediglich der Fehlsichtigkeit geschuldet? Von Weidenbaum bejaht das: Nur zu gern sei dieses Verhalten als typisch weibliches gesehen, und als Zeichen von charmanter Hilfsbedürftigkeit gewertet worden.

"Distanz gebietendes Schweigen"
Doch die Vertrauten erlebten auch die plötzlichen Angstanfälle Bachmanns. Aber "Ingeborg hätte nie zugelassen, dass man ihr dazu Fragen gestellt hätte", erläutert von Weidenbaum. Auch was Bachmanns Tablettenabhängigkeit betrifft, sei ihr "Distanz gebietendes Schweigen" undurchdringlich gewesen. Da ist er also wieder: der Mythos Bachmann.

Eine "Person, von der eine Aura von Empfindsamkeit ausging, eine Verkörperung von Qualität, ein Mensch mit Grazie und Charme, wie von der Nachtigall geboren", so zeichnet der Komponist Hans Werner Henze seine Librettistin und Freundin. Auch er erzählt von der vergnügten Ingeborg Bachmann. Aber auch er kennt die Unglückliche, die ihn rief, als sie das Scheitern der Beziehung zu Max Frisch in eine massive psychische Krise stürzte. Als "Unglücksmänner" bezeichnet Henze alle "Bachmann-Männer". Sie hätten ihre Krisen, die von Schreibkrisen ausgingen oder darin mündeten, verschärft.

Gebrochenes Bild
Ein gebrochenes Bild der Dichterin spiegelt sich in all den Erzählungen der Freunde. Aber warum auch sollte gerade die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann keine Widersprüche in sich vereint haben? Gescheiterte Beziehungen, Depression und Tablettensucht machen die Dichterin genauso zur schillernden Figur wie ihr politisches Engagement, der Glanz des öffentlichen Lebens, Ehrungen und Preise. Über allem steht ihr Werk. Darin hat sie vieles verarbeitet. Und doch ist es sehr viel mehr als bloß biographische Skizze.

Das weiß Meyer-Gosau, wenn sie sich auf die Reise zu der Schriftstellerin begibt. Bisweilen kann sie Kurzschlüssen und der Versuchung zu biographisieren aber nicht widerstehen. Dennoch versucht sie einen Blickwinkel abseits von gängigen Klischees zu eröffnen. Neuigkeiten wie Bachmanns Kurzsichtigkeit oder Dokumente wie jene, die eine geplante Rückkehr nach Österreich belegen, sind spannende Ergänzungen zur Biographie. Sie machen das Buch lesenswert.

Bedeutendes Werk

Überflüssig dagegen, weil für den Leser uninteressant und für die Biographie irrelevant, sind von Meyer-Gosau beschrieben Detailprobleme bei Terminvereinbarungen. Mühsam ist ihr allzu häufiger Plural. Es mutet Didaktisch an, etwa wenn wir "absichtslos in unserer 'Malina'-Ausgabe blätternd" auf Dinge stoßen. Denn letztlich ist dieses Reisebuch ein biographisches Projekt. In diesem Sinne wäre es schön, wenn die Autorin sich stärker zurücknehmen würde.

Wenn 2025 die gesamte Korrespondenz der Dichterin zugänglich sein wird, ist eine wirklich umfassende Biographie möglich. Letztgültige Antworten wird auch diese nicht geben können - schließlich hielt die Ausnahme-Schriftstellerin selbst Freunde auf Distanz, war bedacht darauf Freundeskreise zu separieren. Nichts desto trotz könnte sie wichtige Schlüssel zu Ingeborg Bachmanns herausragendem Werk liefern.

Frauke Meyer-Gosau: "Einmal muss das Fest ja kommen. Eine Reise zu Ingeborg Bachmann", C.H. Beck, München, 2008, 234 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 978-3-406-57686-7



Autor*in
Birgit Güll

ist Redakteurin, die für den „vorwärts“ über Kultur berichtet.

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