Kultur

Lebensbedürfnis Arbeit

von Dorle Gelbhaar · 15. Oktober 2008
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Das Buch ist wahrlich keine leichte Kost. Wie auch? Volker Braun geht das Thema "Arbeitswelt" an. Dieses beschäftigt den 1936 geborenen und mit vielen Preisen und Auszeichnungen bedachten (zuletzt in diesem Jahr mit dem ver.di-Literaturpreis Berlin-Brandenburg, zuvor im Jahr 2000 den Georg-Büchner-Preis) Dichter, Prosaautor und Dramatiker schon lange.

Von Wert und Unwert

In seinem jüngsten Buch steht der Wert der Arbeit im Mittelpunkt. Philosophische Gedanken verknüpfen sich mit der Darstellung des Lebens des Flick von Lauchhammer und dessen Enkels Ludwig, auch Luten oder das Luder genannt.
Flick ist ein Alleskönner. "Was liegt an" ist sein Lieblingsspruch, mit dem er nicht nur die Dame vom Arbeitsamt malträtiert. Er will reparieren, anleiten, vervollständigen und seinem bei der Bewerbung um einen Ausbildungsplatz auf der Strecke gebliebenen Enkel dies alles beibringen. Der Alte und sein Enkel geraten dabei in schwierige Situationen. Flick handelt sich Verletzungen ein. Kein Wunder, denn er formiert polnische Prostituierte zu einem Malerinnentrupp, mit dem er einen Puff renoviert. Auf die Frage des Zuhälters nach dem Lohn verweist er auf den Ein-Euro-Job.

Nomen est Omen

Flick heißt nicht umsonst Flick. Der Name der Hauptfigur muss hier etwas bedeuten. Vom Konzerninhaber gleichen Namens ist die Rede. Die Namensgleichheit hat dem Vorarbeiter zu DDR-Zeiten ebenso wie in Nachwende-Zeiten Spott eingebracht. Kann der Name ihn nun der ersehnten Arbeit näher bringen?
Es geht zurück in der Zeitgeschichte. Flick liest von Arbeit und Macht. Erst spät entziffert die über dem Eingangstor eines Konzentrationslager stehende Parole "Arbeit macht frei". Streiks und Streikbrecher, Rüstungskonzern und Entnazifizierung, die großen Zusammenhänge treten hervor. Der alte Flick könnte verunsichert sein in seinem Glauben an den Wert der Arbeit. Doch er ist es nicht. Immerhin schafft er es, den Enkel mit den "zwei linken Händen" handwerklich so weit zu unterweisen, dass dieser selbst zum zur Hilfe gerufenen Flick wird, als der Alte verunfallt.

Ein moderner Don Quichotte

Ein bisschen erinnert Flick an den "Don Quichotte" des berühmten spanischen Schriftstellers Miguel de Cervantes. Er kämpft gegen Windräder, die er für ausländische Billig-Arbeitskräfte hält. Zutiefst beschämt erwacht er, der durchaus kein Rassist ist, aus diesem Albtraum und will dann selbst im Ausland um Arbeit nachsuchen. Wer Arbeit will, muss die Welt bereisen, meint er. Und er handelt danach. Selbst zum Migranten geworden lernt er die modernen Migrantenströme kennen, Was für Don Quichotte sein geliebtes Bauernmädchen Dulcinea ist, bleibt für Flick die Arbeit.

Der Enkel als Sancho Pansa

Der Enkel erfüllt die Rolle des treuen Begleiters. So wie Sancho Pansa mit Don Quichotte reist, ist Ludwig neben Großvater Flick zu finden. Dem Ideal läuft er allerdings nicht mit gleicher Absolutheit hinterher. Er weiß andere Freuden zu schätzen. Als sein Großvater die leichten Mädchen zur Malerbrigade formiert, lernt der Enkel von diesen ganz nebenbei ganz andere Dinge als das Malern.

Die Sprache des Dichters

Brauns Sprache fasst schwierigste Sachverhalte in knappste Formeln. Alltagskomik und Philosophie gehen eine Ehe ein. Deren Produkt ist sein Roman, der Stoff für viele Debatten abgeben kann.


Volker Braun "Machwerk oder das Schichtbuch des Flick von Lauchhammer", Suhrkamp 2008, Seiten, 19,80 Euro, ISBN 978-3-518-42027-0

Autor*in
Dorle Gelbhaar

ist freie Autorin, Vorstandsmitglied des Verbands deutscher Schriftsteller im ver.di-Landesverband Berlin sowie stellvertretende Vorsitzende des Kulturwerks Berliner Schriftsteller e. V.

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