Wenn Manfred Schneiders das Phänomen "Attentat" untersucht, nimmt er sich Napoleon, Sisi und Marat vor, Lennon und die Zwillingstürme: alles moderne Beispiele. Das Attentat, so Schneider, sei eine moderne Erscheinung, es ist "der Dämon der liberalen Weltverbesserung" und "ein ungewolltes Nebenprodukt, ein Übel der Befriedung, mit der die modernen Institutionen die politische Macht zu dressieren versuchen."
Das Attentat sei ein "Einzelgängerkrieg der Ohnmacht", angestrengt von jenen, die zwar verstanden hätten, dass die Verhältnisse veränderbar sind, das auf einen König kein König folgen muss, die aber den demokratischen Werkzeugen, die ihnen der Staat zur Verfügung stellt, nicht trauten.
Staatliches System der Paranoia
Am Anfang dieser Chronik steht ein antiker Mythos, das Urbild des Attentats schlechthin: die Ermordung Caesars. Der Literaturwissenschaftler Schneider schildert die Quellenlage und die Ereignisse, stellt fest, dass das erste, wie die meisten Attentate, die folgten, seinen Zweck verfehlt hat. Die Ermordung Caesars hat die Republik nicht gerettet. Sie hat aber eine Angst geprägt, die alle Herrschern für alle Zeiten begleiten sollte.
Eindrucksvoll schildert Schneider das staatliche System der Paranoia, das den Attentäter ständig mitdenkt, bei jedem Staatsbesuch und jedem öffentlichen Auftritt. Wo früher vorgekostet wurde und die Leibwachen Spalier standen, sprinten heute die Bodyguards neben den Staatskarossen her. Videokameras beäugen misstrauisch das Volk. Wenn Schneider seine Abhandlung im Untertitel eine "Kritik der paranoischen Vernunft" nennt, meint er nicht den Attentäter, sondern das gesamte Phänomen.
Attentäter wie Luigi Lucheni, der die Österreichische Kaiserin Sisi erstach, wurden kurzerhand für verrückt erklärt, es gab keine Auseinandersetzung mit ihnen. Lucheni, der aus ärmlichen Verhältnissen stammte, für sich selbst die Todesstrafe forderte und im Prozess mehrfach "Es lebe die Anarchie" und "Wer nicht arbeitet, soll nicht essen" ausrief, beschreibt Schneider als Beispiel. Er weiß: "Die meisten Attentäter erarbeiten ihren Mordplan aus dem Gefühl ungeheurer moralischer Verpflichtung heraus … Keine niederen Motive treiben sie an, sondern die allerhöchsten."
Taten, inszeniert für das Publikum
In einem biologischen Exkurs nennt Schneider die bildgebenden Verfahren der Hirnforschung "wissenschaftliches Kleingeld" und fragt sich, ob die Abnahme der Hirnsubstanz, die bei als schizophren deklarierten Tätern behauptet wird, "auf Seiten der Patienten oder der Forscher" eingetreten sei.
Solche Methoden erscheinen ihm so wenig aufschlussreich wie die Schädelvermessungen der Nazis. Die Schlussfolgerungen so falsch wie die von Carl Schmitt, dem Chef-"Juristen des Faschismus", der noch 1949 behauptet hatte: "Der verbrecherische Machthaber zerstört das Haus des Rechts von oben, aber der Mörder des Machthabers zerstört das Haus des Rechts in seiner Grundlage." Schneider entgegnet: "So muss ein Jurist denken, der das Recht aus der Erde gräbt oder es dem Tyrannen an die Zunge heftet."
Schmitts These, der Attentäter handle nur legitim, wenn er "von Gott angestachelt" sei, und sein Zusatz: "Das war Stauffenberg nicht", setzt den Hitler-Attentäter ins Unrecht, hält aber die Hand schützen über die Attentäter vom 11. September. Es entspricht der Logik derer, die sich selbst zu Göttern erklären: Die Schul-Attentäter von Columbine und Erfurt, die sich ihrer Gott-Ähnlichkeit mit ihrer Tat erst versichern, handeln paradox. Sie erklären sich zu Menschenhassern und inszenieren die Tat doch allein für ihr Publikum, die angeblich so verachteten Menschen.
Attentäter zitieren sich gegenseitig
Dass Mörder zu Helden werden, wollten schon die Römer verhindern und schrieben deshalb in den Julianischen Gesetzen, die kurz nach dem Tod Caesars entstanden, vor, das Andenken an den Täter auszuradieren. Kein Grabstein, keine Inschrift, kein Register sollte mehran ihn erinnern und an seinen selbstsüchtigen Versuch, in die Geschichte einzugehen. Das misslang freilich.
Anschaulich zu machen, wie sehr ein Anschlag die Saat für den nächsten legt, wie sehr Attentäter sich gegenseitig zitieren und nachahmen, gehört zu den verdiensten von Schneiders fesselnd geschriebener Abhandlung. Und so wird er, der lange als Historiker, als Philosoph und als Naturwissenschaftler argumentiert hat, am Ende seines Buches wieder zum Literaturwissenschaftler. Er erklärt, nicht ohne Theatralik und nicht ohne Selbstüberschätzung, die immer die Voraussetzung für jedwede Paranoia ist: "Als Interpreten winden wir bisweilen… TNT-Gürtel um unsere Sätze."
Manfred Schneider: "Das Attentat. Kritik der paranoischen Vernunft", Matthes & Seitz, Berlin, 2010, 668 Seiten, 39,90 Euro, ISBN 978-3-88221-537-3