Die Ausgangssituation der drei Briefpartner könnte unterschiedlicher nicht sein. Der Vater, Walther Lüders, 1896 geboren, gehörte zum Leitungskreis der KPD-Opposition. 1934 wegen "Vorbereitung
zum Hochverrat" zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt, wird er 1942 erneut verhaftet und im KZ Neuengamme inhaftiert. "Jeder Häftling darf im Monat 2 Briefe oder 2 Postkarten empfangen und
auch absenden" schreibt die Lagerordnung vor. Alles wird akribisch zensiert, nur sehr knappe und indirekt formulierte Mitteilungen sind deshalb möglich.
Das Kraftzentrum der Familie
Axel Lüders, der 1919 geborene Sohn, absolvierte eine Lehre als Buchhändler. 1940 wird er zur Wehrmacht eingezogen und als Fernmelder überwiegend an der Ostfront eingesetzt. Die Mehrzahl
der Briefe stammt von ihm und seiner Mutter, der 1896 geborenen Lina Lüders. Sie ist das Kraftzentrum der Familie. Über all die Jahre entfaltet sie eine erstaunliche Energie, schreibt unermüdlich
und versucht, Mann und Sohn aufzurichten, teilt Briefauszüge des jeweils anderen mit. Sie schickt zahllose Lebensmittelpakete, berichtet vom Alltag in der Heimat, die längst auch zum
Kriegsschauplatz geworden ist, und spendet Trost.
Als Ausgebombte lebt sie in einer winzigen Schilfhütte am Elbdeich, später in einem Notquartier für Bombengeschädigte in Vierlanden. Lina Lüders kocht Unmengen an Obst und Gemüse ein - und
rettet damit ihrem Mann buchstäblich das Leben: Seit zwei Jahren "bildete der Inhalt Deiner Pakete meine ausreichende Ernährung", schreibt er am 9. November 1944 aus Krakau. Mit anderen
Häftlingen aus dem Konzentrationslager Neuengamme wurde er von der "SS- Sturmbrigade Dirlewanger" zwangsrekrutiert um Partisanen zu bekämpfen. Kurz danach ist er in der Slowakei verschollen und
vermutlich in sowjetischer Kriegsgefangenschaft gestorben.
Erschütternde Tatsachen
Aufschlußreich und detailliert sind die Eindrücke, die Axel Lüders von den Kämpfen, dem Alltag an der Front und einem Unteroffizierskurs, schildert. Natürlich ist er sich der Postzensur
immer bewußt, zumal er wegen "russophiler" Äußerungen während eines Urlaubs denunziert wurde. So sucht er nach indirekten Ausdrucksformen für die komplexe eigene Befindlichkeit. Natur- und
Landschaftsschilderungen in einer romantisierenden Sprache werden deshalb immer wieder als Stimmungsträger für die eigene Seelenlage eingesetzt. Und mit bemüht humorvoll ausgemalten Szenen und
Redewendungen versucht er, sich vom täglichen Druck zu entlasten und die Mutter zu beruhigen. Dies entspricht durchaus dem Stil der Zeit, wirkt gerade darum authentisch.
Ganz anders formuliert Axel Lüders jedoch seinen - ausdrücklich so bezeichneten - Bericht, den er nach dem Rückzug aus Lettland am 28. Januar 1945 in Danzig beginnt. Wie überwältigt von
dem, was während dieser chaotischen Flucht, die in einem englischen Kriegsgefangenenlager bei Grömitz endet, auf ihn einstürmt, reiht er apokalyptische Erlebnisse und Szenen fast kommentarlos
aneinander. Lakonisch und sachlich schildert er, was ihm widerfährt. Mittendrin bricht er ab, "weil der Bericht "sowieso nicht alles Tiefere und doch so Wesentliche enthalten kann." Auch dieses
Bemühen um "das Tiefere und Wesentliche" ist kennzeichnend für die damalige Zeit. Für den heutigen Leser liegt es in den hier mitgeteilten erschütternden Tatsachen. Sie bedürfen keiner weiteren
Sinngebung mehr.
Walther, Lina und Axel Lüders: "Was macht die Welt, in der wir zu Hause sind?", Briefe 1942 - 1945, hrsg. von Elsa Maria Lüders und Herbert Diercks, Bremen: Donat Verlag 2010, 280 Seiten,
16,80 Euro.
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