Er ist sicher, auf der Sonnenseite des Lebens gelandet zu sein: Als die Mauer fiel, hatte der Ostdeutsche Darius Kopp "das historische Glück" 24 Jahre alt zu sein und gerade ein Informatikstudium abgeschlossen zu haben. "Gesegnet mit einer optimistischen Natur" war er bereit, das Leben beim Schopf zu packen. Inzwischen ist er Anfang 40 und Regional Sales Manager einer US-amerikanischen IT-Firma. Neben dem deutschsprachigen Europa zuständig für das Ostgeschäft, ist Kopp "der einzige Mann auf dem Kontinent" - mittendrin in der New Economy, angekommen im Kapitalismus, den er für das einzig funktionierende Wirtschaftssystem hält.
Von der Informationsgesellschaft
Via Internet ist Darius Kopp verbunden mit der weiten Welt, sei es in seinem 12 Quadratmeter kleinen, vollgestopften Berliner Büro in einem Businesscenter oder auf seiner Dachterrasse. Die Schweinegrippe, Aktienkurse, der weltgrößte Teilchenbeschleuniger - alles flimmert über Kopps Bildschirm. Mehr, als er je verarbeiten kann, genug, um dem Leser deutlich zu machen, dass der Roman sich mit unserer vorgeblichen Informationsgesellschaft beschäftigt. Der ständig hungrige Darius - "Ich weiß auch nicht. Ich könnte praktisch immer essen" - ist das Produkt unserer Konsumgesellschaft, mitten im Sog des Massenkonsums.
Er vertreibt kabellose Netzwerke, genauer gesagt Anlagen zur Sicherheit der drahtlosen Kommunikation: Was die Firma - Fidelis Wireless - anbietet, ist "eine Art Schildkrötenpanzer" gegen all die Gefahren, die von außen an das System herangetragen werden. Auch Darius Kopp ist geschützt: Ihn, der sich nach der Wende einen beachtlichen Bauch angefuttert hat, bringt so schnell nicht ins Wanken. Er hat ein robustes Naturell und ist nicht gerade ein reflektierter Charakter.
Vom Jobben in der Strandbar
Als Gegenstück hat die Autorin ihrem Helden eine hypersensible, schöngeistige Frau an die Seite gestellt. Flora, eine gebürtige Ungarin, hat nach einem abgebrochenen Studium der Literatur- und Theaterwissenschaften vergeblich versucht, in der Kunstbranche Fuß zu fassen. Nun jobbt sie in einer Strandbar. Vor allem aber kümmert sie sich um ihren Mann. Sie kauft ein, bedient ihn und schläft mit ihm, kurz: Flora befriedigt Darius Kopps körperliche Bedürfnisse. "Sie konnte gut kochen ... das machte ihn froh. Ja, ich war schon dabei, mich auf den Rest meines Lebens mit dir einzurichten", heißt es in Moras herrlicher Erzählweise, in der sowohl die Perspektive als auch der Tempus häufig und leichtfüßig wechseln.
Für Flora ist die Sache nicht ganz so einfach. Die ersehnte Schwangerschaft will sich nicht einstellen. Und an Kommunikation ist ihr Ehemann, der Sicherheitsprofi - stets darauf bedacht, dass das System nicht gestört wird - nicht interessiert. So liest Flora "Die Wand" oder "Bessere Verhältnisse" doch der Gatte vermag den Wink mit dem Zaunpfahl - im Gegensatz zum Leser - nicht zu deuten. Was als große Liebe präsentiert wird, ist eine einzige Fehlkommunikation.
Von dysfunktionalen Systemen
Die Geschichte gewinnt an Tempo, als ein säumiger Kunde Darius Kopp 40.000 Euro in bar zukommen lässt. Und nun? Der unbeholfene Held versucht seine Vorgesetzten zu kontaktieren und scheitert. Wie immer verschlingt er Unmengen an Essen und trinkt in rauen Mengen Cappuccino mit Extrazucker. Vor allem aber verschwendet er jede Menge Zeit und ist dennoch gehetzt - so sieht es die Leistungsgesellschaft nun mal vor. Irgendwann, nach jeder Menge slapstickartiger Szenen, ist selbst dem gutgläubigen Darius klar, dass etwas nicht stimmt: "Ich brauche Tröstung = den Anblick meiner Frau und Cocktails." Doch Flora scheint nicht länger bereit, ihr Riesenbaby zu schaukeln.
Terézia Moras neuer Roman erzählt von unserer Gesellschaft: Von einem System, dass nicht so funktioniert, wie suggeriert wird. Wer sich darin bewegt, kann ganz schnell ins Schleudern geraten, so sicher er sich auch wähnt. Je länger der Roman allerdings fortdauert, desto stärker drängt sich das Gefühl auf, Aktualität sei hier oberstes Gebot - von den Lehman Brothers bis zur Schweinegrippe. Daneben sind es allzu viele Stereotype auf die der Leser trifft: Der gutmütige, allerdings etwas trottelige Optimist. Die sanfte, empfindsame Frau, die an ihrer Umwelt zu zerbrechen droht. Die alte, kranke Mutter, die immer boshafter wird und die Schwiegertochter nie leiden konnte. Genau wie die Tragik enthüllende Komik.
Letztlich ist der Stoff zu dünn für 400 Romanseiten und am Ende reicht die unvergleichliche Erzählweise der gebürtigen Ungarin Terézia Mora nicht aus. Schmerzlich vermisst der Leser die unermessliche Dichte des Vorgängerromans "Alle Tage", in welchem Inhalt und Form einander so perfekt ergänzten und ihn im Buch versinken ließen. Denn bei aller Begeisterung für Moras Sprachgewalt bleibt am Ende von "Der letzte Mann auf dem Kontinent" das schale Gefühl, dass hier breitgetreten statt verdichtet wird.
Birgit Güll
Terézia Mora: "Der einzige Mann auf dem Kontinent", Luchterhand Verlag, München, 2009, 379 Seiten, 21,95 Euro, ISBN 978-3-630-87271-1
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Goetz Schleser
ist Redakteurin, die für den „vorwärts“ über Kultur berichtet.