Parteileben

Die linke Versuchung – wohin steuert die SPD?

von Ernst Dieter Rossmann · 21. Mai 2009
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Dabei könnten die beiden Autoren ein durchaus interessantes Verfasserpaar bilden, hier der immerhin 88 Jahre alte nicht zuletzt in seiner Lebensbiographie ausgewiesene Russland- und Kommunismus-Experte, dort die aktive SPD-Politkerin, ehemalige Bundestagsabgeordnete und Publizistin. Die beiden Leonhards wollen dagegen in 199 kleinen Seiten - bei gut 9 Seiten Literaturtiteln - alles bieten und bieten damit zu viel.

Was findet sich nicht alles in dem Büchlein! Eine kurze Geschichte der deutschen und der internationalen Arbeiterbewegung, die bei Helga Grebing oder bei Susanne Miller/Heinrich Pottoff bündiger nachzulesen ist. Und eine Ideenanalyse der alten Sozialdemokratie von Lasalle bis zu den Komintern, wobei das Kapitel über die Reformkommunisten - zumal im ehemaligen Jugoslawien - und über die Debatten über ein Mehrparteiensystem im Sozialismus durchaus sehr interessante Quellen erschließt.

Nur fehlt leider die Verbindung zur Rezeption dieses Reformkommunismus in der SPD-Grundsatzdiskussion, bei den Jungsozialisten, bei den Gewerkschaftern, bei herausragenden theoretischen Köpfen wie dem Nestor der linken Sozialdemokratie in den 70er Jahren, Jochen Steffen. Dafür findet sich ein Kapitel über die kommunistischen Strömungen in der alten Bundesrepublik, die allerdings bekanntlich weder Anfechtung noch Verführung für die SPD darstellten, weshalb die 20 Seiten über die K-Gruppen und ihre intellektuell-pubertären Spielarten durchaus entbehrlich sind.

Stattdessen hätte man sich sehr wohl eine differenzierte Auseinandersetzung mit den Verbindungen und Auswirkungen der geschichtsmächtigen Studentenbewegung, der linken Frauenbewegung und der Ökologie- und Anti-AKW-Bewegung auf die SPD gewünscht.

Fehlende Analyse

Der parteifixierte Ansatz von Elke und Walter Leonhard versperrt ihnen diese Zugänge zu den wirklich prägenden Einflüssen auf die SPD und den nachhaltigen Veränderungen in deren strategischem Umfeld. Auch die Darlegung der jüngsten Veränderungen im Parteien-Spektrum mit dem Aufkommen der Partei "Die Linke" und die damit einhergehende weitere parteipolitische Aufspaltung des "linken Lagers" der Gesellschaft kommen weitgehend ohne eine klare ökonomische und gesellschaftspolitische Analyse der Entwicklung von Widersprüchen im Unterbau und Überbau des globalisierten Kapitalismus aus.

So bleibt der historisch-deskriptive Teil leider ohne klare begriffliche Orientierung und deutet nur an, weshalb eine Sozialdemokratie, die ihre Identität verteidigt und gleichzeitig in gestaltender Politik mit der Zeit geht, um diese als Partei des Fortschritts zu verändern, in den letzten Jahrzehnten Abspaltungen, Konkurrenzen bis hin zu Antagonismen im sogenannten linken Teil des politischen Kräftespektrums erfahren hat.

Die bisweilen erratische und eklektische Art der Darlegungen findet sich leider auch wieder in den gegenwartsnahen Teilen des Buches, in denen nicht nur Talent wie Neigung zu manchen polemischen Formulierungen, sondern auch eine sehr eigenwillige Betrachtung und Darstellung der innerparteilichen Diskussion in der SPD Platz finden. Die Grundsatzprogramme der SPD mit einem "Pamphlet eines Versicherungskonzerns" zu vergleichen (S.23) ist sicherlich ähnlich eigenwillig wie der SPD den "sklerotischen Zustand einer autoritär geführten Funktionärspartei" zu bescheinigen (S.37).

Nähe zu Seeheimer Kreis

Auch führt die persönliche Nähe der Autorin zu einer bestimmten Gruppe der SPD-Fraktion zu geradezu hymnischen Verehrungsadressen an diesen Kreis, wenn sie über die Seeheimer schreibt: "Diese Leute gehören zum Besten, was die SPD aufzubieten hat. Es geht ihnen ganz altmodisch um Gerechtigkeit und sie haben einen inneren Kompass, der sie in der Geschichte selten in die falsche Richtung führte" (S. 137). Nun denn! In allem Respekt: Geht es hier auch eine Nummer kleiner, zumal die Autoren an anderer Stelle durchaus sympathisch durchklingen lassen, wie wichtig ihnen mehr inhaltliche Auseinandersetzung statt hysterische Abgrenzung, mehr emanzipatives Denken statt Politik als Ware von Spin-Doktoren ist, damit vor lauter Taktiererei nicht die Orientierung verloren geht (S.12).

Den Autoren ist ja durchaus darin zuzustimmen, dass es in der Verantwortung der SPD liegt, dem Druck der Linkspartei nicht nur standzuhalten, sondern ihn auch zu erwidern. Nur würde die Frage nach dem Quo vadis SPD genauso beinhalten, den bis zur Diffamierung gehenden Druck von CDU/CSU/FDP und ihren Verbündeten in Wirtschaft, Verbänden und Publizistik zu thematisieren, um dann zu einer langfristigen, differenzierten Strategie der SPD zu kommen, damit diese älteste und werthaltigste aller deutschen Parteien im Zentrum der politischen Gestaltungsfähigkeit bleibt und nicht einseitig in die Geiselhaft des konservativen Blocks genommen werden kann. Vor allem mit dem Verweis auf mehr direkte Demokratie, wie Elke und Wolfgang Leonhard nahelegen, wird diese strategische Aufgabe nicht zu beantworten sein.

Was bleibt in diesem Büchlein noch bemerkenswert? Mir hat vor allen Dingen noch das schöne Eingangszitat gefallen, das die beiden Autoren bei Sir Karl Popper entliehen haben: "Dennoch können und sollen wir Weltverbesserer bleiben - aber bescheidene Weltverbesserer" - fürwahr eine gute, eine menschliche Umschreibung für den Kurs, den die SPD steuern sollte.

Ernst Dieter Rossmann, ist Bundestagsabgeordneter und Sprecher der " Parlamentarischen Linken" in der SPD-Bundestagsfraktion

Elke Leonhard, Wolfgang Leonhard

Die linke Versuchung- Wohin Steuert die SPD, be-bra-Verlag, ISBN 978-3-86124-633-6, 208 S., 19.90 Euro

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Ernst Dieter Rossmann

Ernst Dieter Rossmann Ist Sprecher der Arbeitsgruppe Bildung und Forschung in der SPD-Bundestagsfraktion. Mehr Informationen unter www.ernst-dieter-rossmann.de

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