"Kompromißloser Freiheitsdrang, Rebellion gegen das Establishment, gegen weltliche und religiöse Autoritäten und gesellschaftliche Konventionen": So beschreibt Ina Schabert im Nachwort des
Buches das Leben von Edna St. Vincent Millay. In ihren Gedichten versuche sie zu ordnen, das übermächtige Leben in Haft zu nehmen, heißt es weiter.
Kultfigur der Zwanziger
Nach Abschluss am renommierten Vassar College zieht die 1892 geborene Millay in das New Yorker Künstlerviertel Greenwich Village. Auf einer Europareise Anfang der 20er kommt sie in Kontakt
mit Vertretern der amerikanischen Avantgarde in Paris. Als erste Frau wird sie 1923 mit dem Pulitzer-Preis für Lyrik ausgezeichnet. Im selben Jahr heiratet die Dichterin den zwölf Jahre älteren
Jan Boissevain, mit dem sie eine - auf beiden Seiten - offene Ehe lebt. Es ist nicht zuletzt ihr freier Lebensstil, der sie zu einer Kultfigur der Zwanziger Jahre macht.
Auch ihr politisches Engagement erregt Aufmerksamkeit: So legt das FBI 1924 eine Akte über Millay an. Grund dafür soll ihr reges Interesse für die UdSSR gewesen sein. Ihre Teilnahme an
einer Protest-Kundgebung gegen den Justizmord an Sacco und Vanzetti bringt sie 1927 für einige Stunden ins Gefängnis. Mit dem Versdrama "The Murder Of Lidice" (1942) engagiert sie sich gegen
Hitler.
"Sonette sind ihr Lebenselixier"
Während Edna St. Vincent Millays Werk in den 1920ern viel gelesen ist, nimmt ihre Popularität schon Ende der 30er Jahre ab. Erst 1992, zu ihrem 100. Geburtstag, beginnt die
Wiederentdeckung. Das Buch "Love is not all" ist keine Gesamtschau über Millays vielgestaltiges Werk. Vielmehr präsentiert es einen "charakteristischen Ausschnitt ihrer Lyrik", betont Günter
Plessow. Er hat für den Band zwei frühe Langgedichte und zwei Sonettsequenzen der reiferen Dichterin ausgewählt und übersetzt.
"Sonette sind ihr Lebenselixier", schreibt der Übersetzer: Millay veröffentlichte 178 Sonette - in einer Zeit, als die 800 Jahre alte Form vielen als veraltet galt. "I will put chaos into
fourteen lines", soll die Dichterin gesagt haben. Die ausgewählten Gedichte zeugen von einer persönlichen und starken Stimme - und von einer unkonventionellen: Edna St. Vincent Millay entwerfe
lyrische Ichs, spiele mit Geschlechterrollen und treibe - bisweilen sogar innerhalb ein und derselben Gedichtsequenz - ein literarisches Verwandlungsspiel, betont Schabert im Nachwort.
Der liebevoll gestaltete Band "Love is not all" bereitet die ausgewählte Lyrik für deutschsprachige Leser auf. Plessow übersetzt in Versrhythmen, was ihn bisweilen zu Kompromissen und
Abweichungen vom Reimschema Millays zwingt. Bei aller Bindung wolle seine Übersetzung eigenständig neben dem Original stehen, erläutert er. Die zweisprachige Ausführung des Buches erlaubt dieses
Vorhaben. Und nicht zuletzt macht eine derartige Übertragung die Gedichte auch auf Deutsch als solche lesenswert.
Edna St. Vincent Millay: "Love is not all", aus dem Amerikanischen von Günter Plessow, mit einem Nachwort von Ina Schabert, Urs Engeler Editor, 2008, 225 Seiten, 19 Euro, ISBN
978-3-938767-52-8
Goetz Schleser
ist Redakteurin, die für den „vorwärts“ über Kultur berichtet.