Kultur

Eine unmögliche Geschichte ?

von Stefan Wiechmann · 8. April 2011
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Der Untertitel des Buches "Eine Weltgeschichte" verschreckt vielleicht den einen oder anderen Leser, der eine geschichtsträchtige Chronologie der Umweltbewegungen erwartet. Doch dem Autor geht es nicht darum ein einfaches Geschichtsbuch zu schreiben.

Auf die letzten 40 Jahre konzentriert, vergisst der Autor dabei nicht die fernen Ursprünge der Umweltbewegung im 18. und 19. Jahrhundert. Die schier unendliche Menge an Aspekten, die mit der Ära der Ökologie zusammenhängen, ließen Radkau lange zweifeln, ob eine umfassende Geschichte darüber überhaupt möglich sei.

Der "hybride Sprössling"

Radkau, Professor für Neuere Geschichte an der Universität in Bielefeld, betont, dass die Ära der Ökologie weder rein politisch noch ein rein zivilgesellschaftlich zu erklären sei. Er betrachtet das "Chamäleon" Umweltschutz deshalb aus verschiedenen Perspektiven und über längere Zeit, um nicht nur einzelne Momentaufnahmen zu dokumentieren.

So sei Naturschutz nicht gleich Naturschutz, schreibt Radkau. Drei Naturschützer würden auf der gleichen Wiese drei unterschiedliche Urteile über die Schutzwürdigkeit der einzelnen Tiere und Pflanzen fällen. Der Schutz von Biodiversität sei unter diesen Umständen nur möglich, wenn jeder sich über sein eigenes Naturbewusstsein im Klaren sei.

Ausschlaggebende Ereignisse

Neben den allgemeinen Problemen der Umweltbewegung geht Radkau auf historische Ereignisse ein, die diese wesentlich beeinflussten. Dass die Reaktorkatastrophe 1986 in Tschernobyl für die Deutschen die tiefste Zäsur seit dem Zweiten Weltkrieg darstellte, bezweifelt Radkau nicht, weist aber gleichzeitig daraufhin, dass der Zerfall der Sowjetunion und die Wende auch einen "Höhepunkt des Ökologismus" darstellen.

Kritisch hinterfragt der Autor warum der globale umweltpolitische Bewusstseinsschub erst nach Tschernobyl einsetzte und nicht bereits 1984 als im indischen Bhopal aus einer Chemiefabrik eine hochgiftige Wolke des Gases Methylisozyanid austrat. Das Gas verursacht Blindheit, Nerven- und Lungenleiden und genetische Schäden. Es tötete binnen weniger Tage fünftausend Menschen. "Aber Tschernobyl war unheimlicher" und beschleunigte gleichzeitig die Zerfallstendenzen der Sowjetunion, erklärt Radkau.

Ökofeminismus

Die "weiblichen Helden" der Umweltbewegung würden von der Literatur all zu oft vernachlässigt, kritisiert Radkau und stellt zwölf Frauen aus aller Welt vor. Deren Lebensgeschichten sollen ein Licht auf das vielseitige Innenleben der Umweltbewegungen in den verschiedenen Weltregionen werfen.

Grüdnungsmitglied der Grünen Petra Kelly stellt eine dieser Heroinnen dar. Für die "Jeanne d' Arc der neuen Öko-Ära" waren die Spannungen zwischen Bewegung und Organisation, zwischen Spiritualität und Realismus, zwischen charismatischen Führertum und Horror vor jeglicher Hierarchie am Ende nicht auszuhalten. Sie beging 1992 mit ihrem Geliebten Selbstmord. In Afrika ist Wengari Maathi eine Heldin für Radkau. "Die Mutter der Bäume" verband den Kampf für Frauenrechte mit dem Kampf für Umweltpolitik. Sie erhielt dafür 2004 als erste Afrikanerin den Friedensnobelpreis.

Die Ära der Ökologie lebt

Joachim Radkau zeigt mit seiner Weltgeschichte der Ökologie vor allem die Lebendigkeit der Umweltbewegung. Der Ansatz, nicht nur historisch, politik- oder sozialwissenschaftlich vorzugehen, erlaubt Radkau dabei eine uneingeschränkt vielschichtige Analyse.

Joachim Radkau: "Die Ära der Ökologie - Eine Weltgeschichte", C.H.Beck, München 2011, 782 Seiten, 29,95 Euro, ISBN 978-3-406-61372-2

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