Kultur

Sie war wie ein Magnet

von Die Redaktion · 12. März 2008
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Auf den meisten Bildern ist eine lachende, kämpferische Regine Hildebrandt abgebildet. "Wir bräuchten mehr Regine Hildebrandts", stellt Wolfgang Tiefensee, Beauftragter der Bundesregierung für die neuen Länder deshalb fest, "aber in einer Runde verkraftet man nicht mehr als eine." Das läge an ihrer Zielstrebigkeit, an ihrer Sturheit. Sie konnte überzeugen, auch wenn ihre Meinung nicht dem Mainstream entsprach. Dies sei die eine Seite, die politische. Eine zweite, ihre menschliche: Regine Hildebrandt wandte sich dem Einzelnen zu. Sie sprach mit den Bürgern, verlieh deren kleinen und nebensächlich scheinenden Problemen Bedeutung. Sie lehrte eine Balance zwischen Kopf und Herz.

Reden wie ein Wasserfall

Ulrich Wickert, Fernsehjournalist und Autor verbindet ganz eigene Erinnerungen mit Regine Hildebrandt. Sie habe ihm eine seiner größten journalistischen Niederlagen zugefügt. Heute kann er über die Episode lachen. Der Journalist, seiner Zeit Moderator der Tagesthemen, hatte eine Frage an die damalige Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen des Landes Brandenburg gerichtet. Sechs Minuten redete die Politikerin - er schaute hilflos zu. Diese Episode tat dem Verhältnis der Beiden keinen Abbruch. "Ich habe sie -im übertragenen Sinne lieben gelernt", beteuert Ullrich Wickert. Er freue sich über das Buch. "Ja, so ist sie gewesen."

Richard von Weizsäcker schmunzelt. "Sie konnte reden wie ein Wasserfall, aber mit der vollen Kraft des Herzens", unterstreicht der Bundespräsident a.D. Er habe sie kennengelernt, als Deutschland auf dem Weg zur Wiedervereinigung war. Sie hätte jenen schwierigen Prozess mitgestaltet und davor gewarnt, den Ostdeutschen nachträglich ihre Biografie zu rauben. "Regine Hildebrandt war die Personifikation des historischen Schicksals zwischen Ost und West", konstatiert der CDU-Politiker.

Schon früh systemkritisch

Geboren wurde Regine Hildebrandt in Berlin-Mitte. Die ersten Jahre ihrer Schulzeit besuchte sie eine Schule in West Berlin, danach entschieden sich die Eltern für eine Schule im Ostteil der Stadt, um den Beruf des Vaters nicht zu gefährden. Schon damals war sie systemkritisch, sie war nie Mitglied der FDJ. Aufgrund fehlender Parteianbindung bekam sie erst verspätet einen Studienplatz für Biologie an der HU Berlin, wo sie auch promovierte.

Geschichtsträchtig sei auch die Straße, in der sie lebte. Regine Hildebrandt wohnte in der Bernauerstraße 2, ihr späterer Ehemann in der Bernauerstraße 4. Sie erlebte Fluchtaktionen Ostberliner Bürger, die in den Westteil der Stadt gelangen wollten. Auch ihren Bruder hat sie auf diese Weise "verloren". "Sie hing sehr an ihm", weiß die Tochter, "sie hat ihr ganzes Leben darunter gelitten, dass er in den Westen geflohen ist." Das Ehepaar Hildebrandt kannte sich aus dem Kindergottesdienst. Es war eine Jugendfreundschaft. Da denke man sich noch nichts dabei, so Jörg Hildebrandt. Kennengelernt haben sich die beiden 1950, geheiratet 1966.

Wie die Luft zum Atmen

Regina Hildebrandt war nicht nur öffentliche Person, sondern auch Familienmensch. "Sie war für uns wie die Luft zum Atmen", beteuert Tochter Frauke, "sie hat eine riesige Schneise geschlagen, auf der wir immer noch gehen." Macht sei ihr suspekt gewesen, so der Ehemann. Ehrgeiz, Wille und Überzeugung hätten ihr den Weg zum Erfolg gewiesen. "Sie schätzte Einfluss und nutzte Einflussmöglichkeiten. Ihr Umgang mit Macht war vielmehr souverän", ergänzt die Tochter. Souveränität, Authentizität und Volksnähe hätten zu ihrer großen Popularität geführt. Die Politikerin besaß eine enorme Anziehungskraft, weiß auch Richard von Weizsäcker. "Sie war wie ein Magnet. Wenn man in ihre Nähe geriet, dann freute man sich."

Anke Schoen



Jörg Hildebrandt (Hg.): Regine Hildebrandt. Erinnern tut gut. Ein Familienalbum, 224 Seiten, ISBN: 978-3-351-02666-0, Aufbau Verlag, 22,95 Euro.

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