Kultur

Blick in den fernen Horizont

von Linda Diercks · 24. November 2008
placeholder

Der Name Willy Brandt wird, weit über die Grenzen Deutschlands hinaus, immer mit dem Streben nach Frieden, Freiheit und Einheit des deutschen Volkes, der Sicherung der Demokratie in Europa und der Welt, der europäischen Einigung sowie der Verständigung und Versöhnung unter den Völkern verbunden bleiben. Einmal im Jahr soll künftig eine Persönlichkeit von internationalem Renommee aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft oder Kultur unter Bezugnahme auf das Erbe Willy Brands einen Vortag halten. Sie wird Themen der Zeitgeschichte und Politik aufgreifen, die für unsere Gegenwart und Zukunft wie für das Verständnis unserer Vergangenheit von zentraler Bedeutung sind. Die Humboldt-Universität sieht sich vor dem Hintergrund ihres Bildungsauftrags in der Pflicht, die Werte Freiheit und Verantwortung, die von Willy Brandt geprägt wurden, immer wieder neu nach außen zu tragen.

Dieses Jahr, zur ersten "Willy Brand Lecture/Willy-Brandt-Vorlesung" am 19. November 2008 war Weltbankpräsident Robert Zoellick eingeladen. Mit Grußworten bedachten ihn der Vizepräsident der Humboldt der Universität zu Berlin, Michael Linscheid, Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Heidemarie Wieczorek-Zeul und Kuratoriumsvorsitzender der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung, Dr. Wolfgang Thierse.

Freiheit für alle

Heidemarie Wieczorek-Zeul warnte davor, dass Deutschland, trotz Einbußen hierzulande, nicht in Innenschau verfallen dürfe. Denn "die Wucht des Systemversagens trifft die schwächsten Staaten am härtesten". Besonders am Herzen lag ihr das Zitat von Brandt: "Wir bitten unsere Mitmenschen, die Dinge neu zu durchdenken und mitzuempfinden, mitmenschlich zu handeln und so eine gemeinsame Zukunft sichern zu helfen." Wolfgang Thierse erinnerte an die Forderung Willy Brandts nach "der Freiheit für alle, ohne existenzielle Not leben zu können". Diese "Forderung hat an Aktualität nichts verloren", betonte er.

Weltbankpräsident Robert Zoellick hat Willy Brandt nur einmal kurz getroffen, kurz vor seinem Tod. Es war bei einem Empfang in Deutschland nach der Wiedervereinigung. "Ich werde diese funkelnden Augen, dieses Lächeln und selbst damals noch diese Energie, die Spur von Verschmitztheit, seinen Esprit und seine Klugheit nie vergessen", erinnerte sich Zoellick. Brandt machte es den Menschen möglich, Respekt vor Politikern zu haben. Er war eine politische Persönlichkeit, auf die man als Deutscher wieder stolz sein durfte.

Was noch zu tun bleibt

Zoellick hofft darauf, dass Deutschlands Studenten, die die Zukunft des Landes mitbestimmen werden, wie Willy Brandt sein können: Sie sollen "hinauswachsen, die Vergangenheit respektieren, aber auch an den fernen Horizont blicken und das im Auge behalten, was noch zu tun bleibt."

Im 19. Jahrhundert, rief Zoellick in Erinnerung, wollten Großmächte oft schwache Nachbarn, die sie dann beherrschen konnten. "Im 21. Jahrhundert jedoch haben die Europäische Union, die Vereinigten Staaten und vielleicht sogar China erkannt, dass schwache, instabile Nachbarn Probleme exportieren: wirtschaftliche Probleme, Emigranten oder Flüchtlinge, Drogen und Kriminalität sowie eine Reihe weiterer Schwierigkeiten." Deutschland, betonte der Weltbankpräsident, könne gemeinsam mit seinen europäischen Partnern und mit multilateralen Institutionen den Ländern im Osten helfen, dass sie die finanziellen und wirtschaftlichen Turbolenzen von heute überstehen.

Weiterhin erläuterte Zoellick, dass bereits aus dem Brandt-Report von 1980 hervorgegangen sei, dass die Welt zunehmend Problemen ausgesetzt sei, die die Menschheit in ihrer Gesamtheit betreffen. Der Report empfahl Maßnahmen gegen den Hunger und die Unterernährung, für die Verbesserung der wirtschaftlichen Stellung der Frau, für offene Handelsmärkte, für Reformen im internationalen Finanzsystem und vor allem höhere Investitionen und Hilfeleistungen an die armen Länder. "Willy Brandts Report hat auch 28 Jahre später noch unmittelbare Bedeutung", so Zoellick.

Grundlagen für ein besseres Morgen


"Brandt wusste, dass wir in Krisenzeiten nicht nur die Probleme von heute beseitigen, sondern auch die Grundlagen für ein besseres Morgen schaffen müssen." Dem schloss sich Zoellick an und bemängelte zudem, dass die finanzielle Rettung durch eine menschliche Rettung ergänzt werden müsse. Entwicklungsländern müsse ermöglicht werden, auf eigenen Füßen zu stehen.

"Willy Brandt glaubte an ein Deutschland der Deutschen.", so Zoellick. "Und er wollte ihre Vision auf Europa, auf Amerika und die Entwicklungsländer der Welt ausweiten." In gebrochenem Deutsch fügte der Weltbankpräsident Robert Zoellick diesem Zitat hinzu: "Und das ist auch mein Wunsch."

0 Kommentare
Noch keine Kommentare