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„Literaturpapst“ erhält Ludwig-Börne-Preis

von Bernhard Spring · 7. Juni 2010
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Der Preis wird seit 1993 alljährlich von der Ludwig-Börne-Stiftung an Autoren vergeben, die sich auf dem Gebiet der Reportage, der Essayistik oder der Kritik um die deutsche Literatur verdient gemacht haben und damit in der literarischen Tradition Ludwig Börnes (1786-1837) stehen. Dieser deutsch-jüdische Autor gilt als Wegbereiter des Feuilletons und neben Heinrich Heine als maßgeblicher Vertreter der zeitkritischen Literatur des frühen 19. Jahrhunderts. Börne betätigte sich als Schriftsteller, Herausgeber und Journalist. Ab 1830 lebte er aufgrund von Repressalien der deutschen Zensur im Pariser Exil. Dort warb Börne für die deutsch-französische Verständigung und für eine Demokratisierung der deutschen Fürstentümer.

"Das Literarische Quartett"

Marcel Reich-Ranicki steht Ludwig Börne in der Kontroverse, die sowohl sein Leben als auch sein Schaffen prägte, in nichts nach. Der am 2. Juni 1920 im zentralpolnischen Włocławek geborene jüdische Autor trat nach einem dramatischen Überlebenskampf im Warschauer Ghetto in den Dienst des polnischen Geheimdienstes. Danach wirkte er ab 1958 in der Literaturredaktion der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", von 1973 bis 1988 leitete er sie.

Doch erst die bis 2001 ausgestrahlte TV-Sendung "Das Literarische Quartett", in der Reich-Ranicki mit Gästen aktuelle Publikationen besprach, machte den wortgewandten Kritiker landesweit bekannt, wenn auch nicht immer beliebt. So schrieb der von Reich-Ranicki verrissene Martin Walser mit dem Roman "Tod eines Kritikers" (2002) eine verbitterte Abrechnung mit Ranicki, die wegen ihrer antisemitischen Tendenzen zu einem Skandal wurde.

"Ungeliebter Außenseiter"

Reich-Ranicki bemühte sich vielfältig um die deutsche Literatur, wobei er sich beispielsweise bereits ab 1960 für die in Westdeutschland verschmähten Werke der DDR-Autoren engagierte. Seine größten Verdienste sind jedoch die seit 1978 von ihm herausgegebene "Frankfurter Anthologie", die in derzeit 33 Bänden über 1500 kommentierte Gedichte vereinigt, sowie der zwischen 2002 und 2006 erschienene, 50-bändige "Kanon", mit dem Reich-Ranicki eine der bedeutendsten Sammlungen deutscher Literatur zusammenstellte.

Als überragendes Zeitzeugnis gilt Reich-Ranickis Biografie "Mein Leben", die 1999 erschien und 2008 verfilmt wurde. Im selben Jahr erregte er Aufsehen, als er den ihm zugesprochenen Deutschen Fernsehpreis ablehnte. Er bemängelte die Qualität des derzeitigen Fernsehprogramms und wollte sich nicht in die Reihe der Geehrten einreihen. Bei der Verleihung des Börne-Preises überwiegt der versöhnliche Ton. Reich-Ranicki, der sich immer als ungeliebter Außenseiter bezeichnet hat, ist es gelungen, sich Achtung zu verschaffen. Mehr, so äußerte er sich kürzlich in einem SPIEGEL-Interview, wollte er nie.

Autor*in
Bernhard Spring

erhielt 2008 den Literaturpreis des Landes Sachsen-Anhalt, 2011 erschien sein erster Roman, „Folgen einer Landpartie“.

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