Inland

„Demokratie macht schlichtweg Arbeit“

von Björn Eggert · 8. November 2010
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"Wer sind Sie und was erwarten Sie vom heutigen Tag?" Eine Frage, die auf vielen Seminaren und Workshops zum Standardrepertoire von Teamern gehört. Doch, dass diese Frage als erstes von einem Moderator gestellt wird, der von der Bühne herunter kommt und sie einzelnen stellt, überrascht doch viele der etwa 120 Besucher der Veranstaltung der FES am 4. November 2010. Dieser Einstieg zeigt schon viel über die Veranstaltung und ihre Intention. Mit der Veranstaltungsreihe wird nach Potentialen gesucht, die sich im Miteinander von Menschen aus verschiedenen Generationen, Lebenslagen und Kulturen entwickeln.

"Es werden zwar nie alle Online sein, aber der Trend geht dahin!"
In der ersten Talkrunde wird versucht, die Probleme zu lösen, die entstehen können wenn man miteinander redet. Schon vor Beginn der Veranstaltung war es möglich, sich an dem Gespräch zu beteiligen indem Fragen und Anregungen im Internet vorgeschlagen wurden. Katarina Peranic vom Online-Portal " Weltbeweger" stellt ihre Arbeit vor und zeigt auch die Grenzen der neuen Kommunikation im Netz. "Es werden zwar nie alle Online sein, aber der Trend geht dahin!", ist sie überzeugt.

Die Politik und auch andere Generationen müssen diese Tatsache anerkennen und daraus entstehende Chancen nutzen. Denn "die Vernetzung von verschiedenen Projekten" wird heute immer einfacher "damit nicht jedes Mal das Rad neu erfunden werden muss." Die Bundestagsabgeordnete Ute Kumpf aus Stuttgart nutzt selbst das Internet zur Kommunikation mit den Menschen. Für sie ist klar, dass das Internet ein Werkzeug sein kann: "Es wird für mich aber nie das Gespräch von Mensch zu Mensch ersetzen." Die vielen Möglichkeiten der Partizipation zeigen auch die verschiedenen Initiativen vom tweetyour MdEP bis zu den " Sozialhelden", die eine Karte der Barrierefreiheit für Handys und das Internet erstellen. Doch auch im Internet stößt der Dialog auf Grenzen. Denn hier nutzen Menschen mit Migrationshintergrund noch oft Angebote aus ihren Heimatländern oder in ihrer Sprache, auch wenn sie dort über Themen diskutieren, die das Leben in Deutschland betreffen.

"Das Staatsbürgerrecht mit nur einer Staatsangehörigkeit ist überholt."
Dies Phänomen erklärt der Politikwissenschaftler Dr. Uwe Hunger mit dem fehlenden Wahlrecht der Menschen dieser Gruppen. Er vertritt die Meinung, dass "nur ein echtes Stimmrecht reizvoll ist ", denn die Menschen bekämen schnell mit, dass die "politischen Akteure auf echte Wähler anders" reagieren. Hunger verweist mit einem Blick auf die Geschichte der Partizipation der Menschen mit Migrationshintergrund darauf, dass "das Staatsbürgerrecht mit nur einer Staatsangehörigkeit überholt" ist. Die Erfolgsgeschichte der spanischen Elternvereine, die bereits in den 70er Jahren gegründet wurden, zeigt, wie erfolgreich Initiativen sein können, die sich zusammen finden, um ein Problem zu lösen. Denn heute gibt es "zwischen Schülern mit spanischem Migrationshintergrund und deutschen Schülern in den Schulabschlüssen keinen Unterschied mehr."

Erklärt er als möglichen Maßstab um den Erfolg von engagierten Menschen in der Bürgergesellschaft zu messen. "Eine Bürgergesellschaft muss die Antwort geben auf die Frage: Wie sollen wir mit einander leben?" Doch die Frage bleibe weiterhin : "Wie weit darf Einflussnahme gehen?" Das zumindest erklärt der Sozialwissenschaftler und Autor des Buchs "Demokratie Nein Danke!" Serge Embacher. Ihm gefällt die Absolutheit nicht, dass es immer nur darum geht, "ob direkte Demokratie alles oder gar nichts mitbestimmen darf." Eine aktive Bürgergesellschaft muss Rahmenbedingungen schaffen, die verhindern, dass diejenigen, die keine Stimme haben, nicht zurückbleiben." "Eine Bürgergesellschaft muss die Frage beantworten: Wie wollen wir mit einander leben?" Dieser Dialog kann nurauf Augenhöhe und mit allen Bürgern zusammen gelingen.


"Wenn du etwas formen willst, nimm von allen das Beste"

Aufgrund der Größe und Weitläufigkeit des Themas wurde im Anschluss an die große Talkrunde in kleineren Panels weiter gearbeitet. Am besten kam dabei das Panel "Interkultureller Dialog" an, das die Frage nach neuen Strategien zur Beteiligung von alten und jungen Menschen mit Migrationshintergrund beantworten wollte.

Der Spandauer Abgeordnete Raed Saleh warb überzeugt und engagiert dafür, "Betroffene zu Beteiligten zu machen". Ganz im Gegensatz zu den theoretischen Diskussionen der ersten Runde kümmert sich Saleh ganz konkret um Menschen, auch ohne Wahlrecht, die sich die Frage stellen "Wie kann ich etwas in meinem Kiez ändern, das mich stört ?". Der SPD-Politiker, der seit mehr als 18 Jahren selber Politik aktiv ist, hat zusammen mit anderen Mitstreitern das Projekt "Jede Stimme" gegründet.


"Wir wollen, dass jede Stimme zählt"
Ziel des Projektes ist es, eine Wahl für Migranten und Ausländer parallel zu den Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen in Berlin anzubieten. Vorbild ist die "U18-Wahl", die Jugendliche eine Woche vor der Bundestagswahl dazu aufruft zu zeigen, wie sie wählen würden, wenn sie könnten. "Wir wollen, dass jede Stimme zählt", so könnten alle Menschen, die in Deutschland leben, zeigen, welche politischen Werte sie haben und von wem sie ihre Interessen vertreten sehen.


"Wir sind viele und jeder ist einzigartig"
Interesse an diesem Projekt zeigt auch Nesrin Salma von M.A.H.D.I. e.V. (Muslime aller Herkunft deutscher Identität). Hinter der langen Abkürzung steht ein Zusammenschluss junger Muslime, die den Anspruch haben, "muslimische Vorbilder zu zeigen". Ihr Motto lautet: "Wir haben es geschafft, ihr könnt es auch schaffen.", Denn bisher sei es in der Mehrheitsgesellschaft noch nicht angekommen, "dass Menschen mit Migrationshintergrund keine Masse von Ungebildeten sind! Wir sind viele und jeder ist einzigartig", betont Salma.

Ein gutes Fazit der Veranstaltung: "So unterschiedlich und einzigartig die verschiedenen Menschen sind, so unterschiedlich muss auch die Ansprache an sie sein". Politik und Gesellschaft müssen sich dabei vor allem für neue Formen der Kommunikation und des Mitredens öffnen.

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