Kultur

Messias eines kommunistischen Glaubens oder Opfer des Stalinismus

von Dorle Gelbhaar · 27. Juni 2009
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Oranienburger Straße vor der Neuen Synagoge in Berlin. 11.00 Uhr. Die Sonne scheint. Aber etliche Leute verlangt es nicht danach, weiter draußen herumzulaufen. Sie stehen Schlange, um in das dort beheimatete jüdische Kultur-, Informations- und Dokumentationszentrum hineinzukommen, das Centrum Judaicum. Die einen wollen das ursprünglich von Eduard Knoblauch 1857 - 59 und von Friedrich August Stüler bis 1866 im maurisch-byzantinischen Stil ausgeführte jüdische Gotteshaus besichtigen. Die anderen streben zur Lesung eines neuen Buches über Friedrich Wolf.

Historie
In der bisherigen Rezeptionsgeschichte sei ein Aspekt des Schaffens von Friedrich Wolf zu kurz gekommen, so der Verfasser der Monographie Henning Müller: der Anteil des Jüdischen, sofern eine solche Absplittung überhaupt denkbar sei. Alles, was im Folgenden von Müller zu erfahren ist, spricht dafür, dass es eben nicht nur um ein Element geht, sondern um das Prägende, um das ganze innere Gebäude, das das Wolfsche Schaffen trug.

Der Ort für die Buchvorstellung könnte passender nicht sein. Die Neue Synagoge in der Spandauer Vorstadt Berlins war von Anbeginn ein gewaltiges Vorhaben, das größte seiner Art in Deutschland. 3000 Gläubige beteten hier. 1938 von den Nazis in Brand gesetzt, ist es dem damaligen Chef des Polizeireviers am Hackeschen Markt zu danken, dass das beeindruckende Gebäude - teilzerstört - doch erhalten blieb.

Es passt im weiteren Sinne, bedenkt man Wolfs Anschreiben gegen den Faschismus, denkt man an seine jüdischen Protagonisten wie den Professor Mamlock oder ganz einfach an die Wolfsche Vita.

Der Schriftsteller Friedrich Wolf hatte in der ursprünglichen Fassung seines Professor Mamlocks diesen mit einem jüdischen Krankenpfleger darüber debattieren lassen, was ihre Aufgabe als Juden in Deutschland sei. Der Pfleger Simon sah die Zeichen der Zeit und meinte, man müsse Deutschland verlassen. Die Zeit der Vertreibung sei wieder gekommen. Mamlock hingegen meinte, sie seien vor allem in Deutschland geborene Deutsche, die in ihrer Heimat für ihre Heimat tätig sein müssten. Das ganze entsetzliche Unheil, in das der deutsche Faschismus die menschliche Welt stürzte, wird in der Tragödie von 1933 an Hand des Schicksals des jüdischen Arztes Mamlock aufgerissen, der nichts als seine Aufgabe tun wollte und den ein tiefes menschliches Erbarmen kennzeichnete.

Rezeptionsgeschichte
Der Autor Henning Müller, der Verfasser des vorliegenden Büchleins über Friedrich Wolf, erzählt, wie sich gerade am Mamlock die Geister schieden. So wurde Wolf innerhalb der kommunistischen Bewegung der damaligen Emigrationszeit und dann in der frühen DDR kritisiert, weil das Stück nicht klassenkämpferisch genug sei, sich mehr mit "Rassen" als mit "Klassen" beschäftige.

Friedrich Wolf war zu Korrekturen bereit und das noch von ihm geänderte Stück stand in den DDR-Schulen auf dem Lehrplan. Der Dramatiker Wolf starb bereits 1953. Aber seine Stücke, zum Beispiel auch "Cyankali. § 218" blieben hier allgemein bekannt. Die viel veröffentlichten Kindergeschichten gehörten zu den Lieblingsbüchern und -Schallplatten der Jüngeren.

Gedoppelte Einseitigkeit oder notwendige Ergänzung oder …
Müller beschäftigt sich schon Jahrzehnte mit Person und Schaffen Friedrichs Wolfs. In der Diskussion spricht er von der Einseitigkeit der DDR-Rezeptionsgeschichte, die nur das Klassenkämpferische im Werk Wolfs herausgestellt hätte. Die Literaturwissenschaftlerin Sylvia Schlenstedt stellt die Frage, ob nun nicht eine neue Einseitigkeit entstünde, wenn das Schaffen Wolfs gänzlich aus dem Jüdischen heraus erklärt werde. Henning Müller verweist darauf, dass ihm nicht alles Material, etwa das aus dem IML (Institut für Marxismus-Leninismus) zugänglich gewesen sei. Aber darauf zielte die Frage wohl nicht. Das Bändchen wirkt im Gegenteil, als sei es auf eine recht fundierte Materialbasis gestellt worden.

Es geht eher um Interpretationen, die leicht ausufern, wo überlegt wird, was gewesen wäre, wenn … Friedrich Wolf hatte viele Interessen. Er war selbst Arzt und vertraute auf die Kraft der Natur. Er liebte seine ehelichen und außerehelichen Kinder.

Vor den Nazis floh er, als diese die Macht ergriffen, über Österreich, die Schweiz und Frankreich nach Moskau. 1937 ging er als Arzt zu den Internationalen Brigaden nach Spanien und gehörte damit zu den Verteidigern der spanischen Republik gegen den spanischen und deutschen Faschismus. 1938 kehrte Friedrich Wolf nach Frankreich zurück, wurde dort interniert, aber mit sowjetischer Hilfe befreit und zum sowjetischen Staatsbürger erklärt. Er begründete in der Sowjetunion 1943 das Nationalkomitee Freies Deutschland mit.

Wolf litt unter der Moskauer Verhaftungswelle während der Moskauer Emigration und ging nach Kriegsende in die DDR. Bei allen Auseinandersetzungen blieb er doch ein überzeugter Kommunist und sein Kommunismus speiste sich aus der Quelle seines Judentums, dem er auf seine besondere Weise treu blieb. Schön sind hierzu auch die Ergänzungen des Sohnes Friedrich Wolfs, Prof. Dr. Naumann, Physiker am Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY in Zeuthen. Ein Sohn also folgte dem naturwissenschaftlichen Geist des Vaters. Andere in der Öffentlichkeit bekannte Söhne sind die verstorbenen Markus und Konrad Wolf.

Zu empfehlen ist Henning Müllers Büchlein allemal. Die Diskussion dazu zeugt von seiner Aktualität.

Dorle Gelbhaar

Henning Müller "Friedrich Wolf", Jüdische Miniaturen, Band 78, Hentrich & Hentrich, Teetz und Berlin 2009123 Seiten, 9,90 Euro, ISBN 978-3-938485-90-3

Autor*in
Dorle Gelbhaar

ist freie Autorin, Vorstandsmitglied des Verbands deutscher Schriftsteller im ver.di-Landesverband Berlin sowie stellvertretende Vorsitzende des Kulturwerks Berliner Schriftsteller e. V.

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