Salomea Genin erzählt die wichtigsten Stationen ihres Lebens. Die Flucht der Mutter mit ihr als Kleinkind nach Australien zu den schon vorher emigrierten Schwestern. Der für sie schwerwiegende
Verlust des Vaters - die Eltern ließen sich scheiden und der Vater verschwand nach Shanghai, später in die USA. Wie sie als Kind unter dem Unverständnis und der Lieblosigkeit der Mutter, sowie
der viel älteren Schwestern litt. Immerhin, so erzählt sie, hatte ihre Mutter sie nach acht Abtreibungen bekommen, um ihre Ehe zu retten. Dies misslang, Salomea aber blieb.
Die falschen Götter
Die Kommunistische Partei wurde ihr Ersatzfamilie, dort fühlte sie sich verstanden, man hörte ihr zu und interessierte sich für sie. Der Kampf für Gerechtigkeit und das Wohl aller, sowie
gegen Krieg und Nazismus wurde nun auch zu ihrem. Die Autorin erwähnt mehrfach das Gefühl der familiären und nationalen Entwurzelung. Australien sah sie nicht als ihre Heimat an.
Unbedingt wollte sie die DDR kennen lernen und dort leben: unter lauter, wie sie dachte, Sozialisten und Menschenfreunden. Neun Jahre kämpfte sie um diese deutsche Staatsbürgerschaft. Schon
in jener Zeit spionierte sie für das MfS. Bis 1982 lebte sie, von leisen Zweifeln begleitet, aber immer im starken Glauben an die Partei, ein Leben in der DDR. Dann kamen der Zusammenbruch und
die Erkenntnis, für einen Polizeistaat zu arbeiten. Was folgt, ist beispiellos. Genin erzählt von Begegnungen mit Menschen, die sie für das MfS ausspionierte und denen sie dies beichtete. Sie
ging zu ihren Freunden und Bekannten und gab zu, was sie getan hatte. Mit jedem Mal, so sagt sie, holte sie sich ihre Würde zurück.
Wurzeln
Das Buch erzählt vom kalten Krieg, dem Antisemitismus in der DDR. Es geht der Frage nach, wie die Juden in der DDR überhaupt lebten. Es ist die Geschichte einer Frau auf der Suche nach
ihren Wurzeln. Einer Frau, die lange Zeit dachte, dass die nationalen Wurzeln wichtiger seien als die familiären.
Warum dauerte es so lange, bis sie begriff, dass sie in einem Unrechtsstaat lebte und für diesen arbeitete? Genins einfache Antwort: Sie wollte es nicht wissen. Denn dieses Wissen hätte
bedeutet, ihre Ersatzfamilie und ihre Ideologie aufzugeben. Also verdrängte sie, bis es nicht mehr ging.
Auf die Frage von Hermann Simon, dem Direktor der Stiftung Neue Synagoge Berlin - Centrum Judaicum: "Wo liegen Deine Wurzeln? Wer bist Du? Weißt Du das heute?", antwortet Salomea Genin:
"Ich bin the jewish woman of the World." Simon: "Und warum sagst Du das auf Englisch?" Darauf kann sie keine richtige Antwort geben. Sie lacht.
Doreen Tiepke
Genin, Salomea: "Ich folgte den falschen Göttern: Eine australische Jüdin in der DDR", verlag für berlin-brandenburg, 2009399 S., 19,90 Euro ISBN: 978-3-86650-211-6