"Wenn ich zu Hause herum sitze, werde ich zum Terroristen." Dramatischer lässt sich die Angst vor erzwungener Untätigkeit nicht zusammenfassen. Es sind die Worte eines Werftarbeiters jenseits der 50. Seit Jahren hat er sich für die Wadan-Werft in Wismar krumm gemacht. Kurz vor diesem trotzigen Auftritt hat das Unternehmen Insolvenz angemeldet. Die markigen Worte können die nackte Existenzangst kaum verbergen. An jenem 5. Juni 2009 stand der Betrieb, von dem in diesem Landstrich damals jedes dritte Familieneinkommen abhing, vor dem Aus. Schockstarre befiel Werk und Stadt während des monatelangen Insolvenzverfahrens.
Auch Schumann musste umdenken, nachdem er im Oktober 2008 mit den Dreharbeiten begonnen hatte. Eigentlich wollte er den Bau der weltgrößten Fähre, der "Stena Hollandica", in der Ostseestadt verfolgen. Doch nun wusste niemand, ob in Wismar überhaupt noch Schiffe vom Stapel laufen werden. Wenige Monate zuvor hatte ein russischer Oligarch diesen und weitere Standorte des Verbunds übernommen. Doch im Zeichen der Krise platzten etliche Großaufträge. Ein Jahr später kaufte ein weiterer russischer Investor, der Leiter des Moskauer Nordstream-Büros Vitaly Yusufov, das Unternehmen. Doch über den Berg ist die Nordic Yards Wismar GmbH, so der jetzige Name, noch lange nicht. Arbeiteten vor drei Jahren 1300 Menschen im Wismarer Schiffbau, sind es heute nur noch 600. Dass die 240 Meter lange "Stena Hollandica" am Ende des Films doch noch ausläuft, stimmt hoffnungsvoll. Doch was bedeutet das schon angesichts von gekappten Löhnen, befristeten Verträgen und dem Damoklesschwert Leiharbeit?
Arbeiterstolz in schwerer Zeit
"Wadans Welt" ist nicht weniger als eine Geschichte der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise von unten. Dafür war Basisarbeit im besten Sinne gefragt: 18 Monate lang hat Schumann eine Gruppe von Schweißern begleitet. Man folgt ihnen in die Umkleidekabine, zwischen haushohen Metallteilen oder an den heimischen Kaffeetisch. Mitzuerleben ist ein andauerndes Schwanken zwischen Resignation und Zuversicht, mit dem die Männer auf Entscheidungen reagieren, die sie kaum beeinflussen können. Wenn einer der Schweißer versucht, trotz finanzieller Belastungen optimistisch in die Zukunft zu blicken und dessen Frau neben ihm in Tränen ausbricht, tritt der emotionale Spagat besonders drastisch zutage. Nicht weniger packend sind die inneren Konflikte der "Entscheider", etwa des Insolvenzverwalters oder eines Personalverantwortlichen. So bekommt die "andere Seite" ebenfalls ein Gesicht.
Auch in den schwärzesten Momenten kehren die Schweißer ihr Selbstbewusstsein als traditionsreiche Facharbeiter hervor - auch wenn es bei manchen eher wie ein Schutzpanzer anmutet. Als sich im Spätsommer 2009 abzeichnet, dass nicht jeder von ihnen vom neuen Arbeitgeber übernommen wird, kollidiert das Selbstbild zunehmend mit der Gewissheit, in Gewinner und Verlierer eingeteilt zu werden.
Indem Schumann den Film ohne Kommentar laufen lässt, entsteht zumindest ein Eindruck von Unmittelbarkeit. Dass sich knorrige Industriearbeiter gegenüber einem Filmteam derartig offenherzig geben, zeugt von großem gegenseitigen Vertrauen. Auch als Zuschauer fühlt man sich rasch mittendrin, meint man den Schweiß zu riechen, das Dahinsiechen der Werft zu spüren. Selbst die stolze Mega-Fähre liegt zeitweise im Dornröschenschlaf.
Kumpelei statt Kritik
Doch an einigen Stellen fällt unangenehm auf, dass dem gebürtigen Mecklenburger während der langen Drehzeit die Distanz abhanden gekommen ist. Und zwar nicht nur wegen einiger arg kumpelhafter Interviewfragen. Teilweise geht das Selbstbewusstsein dermaßen mit den Werftarbeitern durch, dass Äußerungen fallen, aus denen unverhohlener Chauvinismus spricht. In solchen Momenten hätte man sich kritische Nachfragen oder tiefere Einblicke zum Verhältnis zwischen zugewanderten und "alteingesessenen" Schiffbauern gewünscht.
Egal, ob aus der Ablehnung auswärtigerLeiharbeiter Zukunftsängste oder Rechtsextremismus sprechen: Es bleibt ein übler Nachgeschmack zurück. Dokumentarfilm-Puristen mögen darin wiederum die ungeschminkte Wahrheit sehen. Auf jeden Fall passt dieser Einblick ins Konzept der Einzel-Porträts, die neben sympathischen auch alles andere als angenehme Merkmale offen legen. Schumann mag die Wismarer Schweißer als Helden sehen: Letztendlich zeigt er uns krisenerprobte Arbeiter mit Stärken, Schwächen und Fehlern.
Wadans Welt (Deutschland 2010). Regie: Dieter Schumann. Drehbuch: Dieter Schumann/ Jochen Wisotzki. Länge: 100 Minuten. Sprachen: Deutsch, Englisch (Untertitel). Mehr Informationen unter www.gebrueder-beetz.de/produktionen/wadans-welt Kinostart: 12. Mai