Kultur

Ein Illegaler mit Haltung

von ohne Autor · 30. Juli 2011
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Dieses Elend blüht im Verborgenen: Rund eine Million "Illegale" leben in der Bundesrepublik, schätzt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Kaum jemand nimmt sie wahr. Dabei sind sie die Sklaven des 21. Jahrhunderts. Ohne die billigen Arbeitskräfte, auf die mittlerweile auch die Bauwirtschaft und die Autoindustrie gerne zurückgreifen, käme die Konjunktur ins Schlingern, so Migrationsforscher.

"Der Albaner" bringt die menschliche Dimension der nebulösen Statistik zum Vorschein. Es ist die Geschichte von Arben. Der junge Mann bricht nach Deutschland auf, um Geld zu verdienen, viel Geld. Ihm sitzt das Ehrgefühl zweier Clans im Nacken: 10 000 Euro sind das Ticket für die gemeinsames Zukunft mit seiner Geliebten Etleva, die ein Kind von ihm erwartet. Ohne Bares keine Hochzeit. Dafür nimmt Arben die Einreise ohne ein teures Visum in Kauf.

Eigentlich hatte der Filmemacher Johannes Naber einen Dokumentarfilm im Sinn, als er vor zehn Jahren mit seinen Recherchen begann. Am Ende schrieb der 40-Jährige ein "fiktionales Drehbuch, auf dokumentarischer Grundlage", wie er sagt. Als ob nicht jeder halbwegs um Authentizität bemühte Spielfilm auf Recherchen in der Realität beruhen würde!

Alltag der Unsichtbaren
Wie auch immer: Für ein weithin verdrängtes Thema Öffentlichkeit herzustellen, ist nicht nur ehrenwert. In "Der Albaner" geht der Ansatz auch erzählerisch und ästhetisch auf. Eindringliche Bilder machen den Alltag der Gestrandeten erlebbar, die mitten in Berlin - es könnte auch eine andere Metropole sein - in einem Paralleluniversum leben: Schlecht bezahlte Drecksarbeit, die gönnerhaft verteilt wird. Der Versuch, sich im urbanen Gewusel unsichtbar zu machen, denn überall drohen Personenkontrollen. Nächte in zugigen Ruinen und versifften Absteigen. Der bohrende Schmerz, den die Sehnsucht hinterlässt. Das Wissen, dass von einer Sekunde auf die andere alles auf der Kippe stehen kann.

Soviel zur emotionalen, aber keineswegs verkitschten Inszenierung der "dokumentarischen Grundlage". Deren atmosphärische Dichte dürfte wesentlich dazu beigetragen haben, dass Naber in diesem Jahr mit dem Max-Ophüls-Preis geehrt wurde, der wichtigsten deutschen Auszeichnung für Nachwuchsfilmer.

Weniger überzeugend sind die Charaktere. Da ist der aufrechte Held Arben, der letzte Skrupel überwinden muss, um Etleva "freikaufen" zu können. Ohne auch nur eine Sekunde zu überlegen, stürzt er sich in sein neues Leben als vogelfreier Arbeitsnomade . Selbstzweifel? Fehlanzeige! Mit einem unerschütterlichen Willen, der hinter der stoischen Miene zum Vorschein kommt, ackert sich Arben durch eine schäbige Schattenwelt. Eines Tages wird er selbst zum Schlepper und greift zur äußersten Gewalt. Selbst als der Remigrant am Ende die geforderte Summe auf dem Tisch legt, aber trotzdem alles anders kommt, wirkt er wie ein Monolith.

Schablonen statt Tiefe
Derart ungebrochene, aufrechte Charaktere sind selten im zeitgenössischen Kino. Nicht zu reden vom gutherzigen Apotheker, dem großzügigen Schleuser und den, man ahnt es im ersten Moment, Brutalo-Brüdern Etlevas. Es sind Figuren wie aus dem Bilderbuch. Dazu der Kontrast aus schroffen Bergmassiven und einer heruntergekommenen postsozialistischen Stadt mit der unvermeidlichen streunenden Kuh: Man fragt sich, warum Naber genau jene Klischees über Albanien bedient, die er mit seinem Film eigentlich überwinden wollte.

Für Zwischentöne sorgen ausgerechnet die Nebenfiguren. Zum Beispiel Arbens Bruder. Als Einziger aus der Familie darf Ilir die höhere Schule besuchen. Seine kulturelle Prägung folgt globalisierten Mustern und hat mit dem Weltbild balkanischer Einödhöfe wenig gemein. Ilir träumt von einer Karriere als Hip-Hopper. Das wird ihn dazu verleiten, Arben zu verraten.

Nicht weniger schillernd ist Damir. Der Berliner handelt mit Menschen und Schrott. Er nennt Arben "meinen Albaner". Auch ihm gibt das Drehbuch wenig Raum zur Entfaltung - stattdessen dominiert der Hauptdarsteller sprichwörtlich jede Szene: Für den 28-jährigen Schauspieler Nik Xhelilaj eine Gelegenheit sein, sich zu präsentieren, für den Zuschauer ein mühseliges Unterfangen.

Anderes Bild von "Illegalen"

Dennoch könnte die albanisch-deutsche Koproduktion so manchen Denkanstoß liefern. Jenen, die in Stammtischmanier über "Illegale" herziehen, wird vor Augen geführt, was Menschen dazu treibt, sich mit Schleppern und Sozialbetrügern einzulassen. Dass Arben und Etleva für etwas kämpfen, das den Glücklichen innerhalb des Schengenraums mindestens genauso wichtig ist, nämlich das Recht auf eine selbstbestimmte Zukunft. So ist es am Ende der "dokumentarische" Ansatz, der Nabers Film nicht nur rettet, sondern auch sympathisch macht.

Info:

"Der Albaner" (Shqiptari), Deutschland/Albanien 2010, Drehbuch/ Regie: Johannes Naber, mit Nik Xhelilaj, Xejlane Terbunja, Ivan Shvedoff, André M. Hennicke, Stipe Erceg u.a., 107 Minuten
www.der-albaner.de
Kinostart: 04. August





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