Ist es leider nicht. Die Auswüchse der globalisierten Nahrungsmittelindustrie hat der Österreicher in seinem Dokumentarfilm "We feed the World" beschrieben. Für "Black Brown White" ist er an den Rand Europas, genauer gesagt: nach Andalusien und Marokko, zurückgekehrt. Nicht nur um zu zeigen, wie es ist mit dem Gemüse aus Europa und den Ausgesperrten aus Afrika. Es geht auch um die Geschichte zweier Menschen, die Welten trennen, und doch für ähnliche Motive alles aufs Spiel setzen.
Die Sache ist simpel, aber einträglich: Der "Don Pedro" genannte Trucker (Fritz Karl) karrt ukrainischen Knoblauch zwecks gefälschter EU-Etiketten von Österreich nach Marokko. Auf dem Rückweg schleust er afrikanische Flüchtlinge nach Spanien. Ist die Einreise geschafft, stranden sie als illegale Plantagenarbeiter zwischen Millionen von Tomaten und Gurken.
Es sei denn, sie wollen weiter. So wie Jackie. Mit ihrem kleinen Sohn Emanuel will sie in die Schweiz, um einen verflossenen UN-Beamten an seine familiären Pflichten zu erinnern. Jackie bringt nicht nur Don Pedros Gefühlshaushalt durcheinander. Indem sie sich weigert, sich mit ihren Leidensgenossen in den versteckten Hohlraum des Anhängers sperren zu lassen, gefährdet sie das ganze Schleuser-Unternehmen. Als Emanuel verschwindet, droht die Katastrophe.
Sympathischer Schmuggler
Wagenhofer gelingt etwas Ungewöhnliches: Er macht einem den Schlepper sympathisch. Vielleicht liegt es daran, dass Don Pedro an dem, was bislang wichtig, und damit auch richtig war, zweifelt: Menschen und dubioses Gut nach Europa zu schmuggeln, um die Firmenkasse aufzubessern. Ein rastloses Truckerleben zu führen und zu nehmen, was kommt. Alleine durchs Leben zu ziehen und nur auf sich selbst zu vertrauen.
Vielleicht ist es auch das Unmögliche, das Don Pedro möglich macht: In einer Parallelwelt ohne Gesetze für Menschlichkeit zu kämpfen. Anfangs ähnelt er einem desillusionierten Cowboy, der durch unendliche Weiten zieht - dafür sorgen schon sein Zottel-Look zwischen Späthippie und Holzfäller und grandiose Aufnahmen von schroffem Wüstengestein. Doch je mehr Verantwortung er für zwei Afrikaner übernimmt, desto stärker wird in ihm das, was Jackie dazu gebracht hat, für sich und ihr Kind den lebensgefährlichen Trip zu wagen: die Hoffnung auf eine lebenswerte Zukunft.
Angesichts dieses psychologischen und moralischen Ballasts ist es eine Wohltat, dass "Black Brown White" ohne große Gefühligkeit auskommt. Es dauert eine Weile, bis sich Jackie gegenüber Don Pedro öffnet. Gleichsam stoisch und grimmig kämpft sie um ihre Würde und darum, ans Ziel zu kommen. Und doch sind ihr Leid und ihre Ängste unübersehbar: Das subtile Spiel des britischen Nachwuchsstars Claire-Hope Ashitey berührt zutiefst. Immer wieder entlarvt Jackie die Absurditäten innerhalb der Festung Europa. Trotz großer Emotionen bleibt wenig Zeit für Romantik.
Humor und Bewegung
Gerade durch den kargen Erzählton, der einen ebenso trockenen, aber stimmigen Humor einschließt, wird die belastende Ungewissheit, der die Hauptfiguren ausgesetzt sind, erfahrbar - den chronischen Flamenco-Klängen zum Trotz. Dem Muster eines Roadmovies folgend, bleiben die Dinge auch räumlich in ständiger Bewegung - oder kommen unerwartet ins Rollen.
Was bedeutet es für Menschen, eine verbotene Grenze zu überwinden und in ein neues Leben geworfen zu werden? Wagenhofer hat sich damit bereits in seiner Kurz-Doku "Limes...Aktion Limes" beschäftigt. Darin verfolgte er Österreichs Vorgehen an dessen damaliger EU-Außengrenze. Es liegt wohl auch an der Vertrautheit mit der Materie, dass der Einblick in das Flüchtlingselend, den "Black Brown White" liefert, so abgedroschen es auch klingt, weitgehend authentisch anmutet - insofern das in einem fiktionalen Format überhaupt möglich ist.
Womit wir bei dem eigentlichen Problem dieses Films wären. So virulent das Flüchtlingselend gerade am südlichen Rand Europas ist: Die Geschichte von Don Pedro und Jackie hinterlässt einen schwachen Eindruck. Liegt es daran, dass der Trucker am Ende doch zu wenig von sich preisgibt? Oder daran, dass die Beziehung zwischen Schlepper und Flüchtling zu komplex ist, um in weniger als zwei Stunden seziert zu werden? Hätte sich Wagenhofer entscheiden müssen, entweder ein Flüchtlingsdrama, ein Roadmovie oder gar eine Lovestory zu drehen, anstatt alles miteinander zu verquicken?
Das Dunkle im Laster
Die Intention des Dokumentarfilmers, durch Fiktionalisierung eines Stoffs die erzählerischen Möglichkeiten zu erweitern, leuchtet ein. Gerade deswegen fragt man sich, warum die Kamera in entscheidenden Momenten wegschaut: Jene, die mit Jackie im Truck nach Spanien fahren, bleiben ein unsichtbares Etwas. So verschwindet das, was Wagenhofer ans Licht zerren wollte, im Dunkeln eines Gemüsetransporters.
"Black Brown White" (Österreich 2010)
Regie: Erwin Wagenhofer, Drehuch: Erwin Wagenhofer, Cooky Ziesche, mit Fritz Karl, Claire-Hope Ashitey, Wotan Wilke Möhring, Karl Marcovics u.a., 107 Minuten.
www.blackbrownwhite.com
Kinostart: 03. November