Vor den irakischen Wahllokalen warnten Piktogramme: Keine Fotos, keine Handys, keine Waffen. Rund 200.000 Sicherheitskräfte waren im Einsatz, um die zweiten Parlamentswahlen in der jungen,
demokratischen Geschichte des Zweistromlandes abzusichern - nach Jahrzehnten der Diktatur unter Saddam Hussein, sieben Jahren amerikanischer Besatzung und religiösem Bürgerkrieg.
Insgesamt 6.292 Kandidaten aus 86 Parteien traten zum demokratischen Wettbewerb um 325 Abgeordnetenmandate in der irakischen Legislative an - aus allen religiösen Gruppen. Selbst die
Sunniten, die die letzten Wahlen noch boykottiert hatten, stellten Kandidaten auf. "Dies ist ein Festtag für den Irak," zeigte sich der irakische Ministerpräsident Nuri al-Maliki euphorisch, "wir
hoffen, dass uns die Wahlen auf unserem Weg in einen demokratischen Staat stärken werden."
Nach letzten Umfragen führt al-Malikis Dawa-Partei. Ihr Hauptkonkurrent ist die vom schiitischen Klerus beeinflusste Nationalallianz, zu der auch der pro-iranische Mullah al-Sadr gehört.
Säkular orientiert ist dagegen das nationalistische Bündnis Irakija, das von dem ehemaligen irakischen Ministerpräsidenten Idschad Allawi angeführt wird. Dessen Allianz haben sich die wichtigsten
sunnitischen Politiker angeschlossen.
Verlieren religiöse Parteien an Einfluss?
Denn die junge Demokratie ist noch immer von dem Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten geprägt. Die Sunniten, die rund ein Drittel der Bevölkerung stellen, hatten unter Saddam Hussein die
Macht unter sich aufgeteilt. Seit dem Sturz des Diktators dominieren allerdings die religiösen Schiiten-Parteien, die zusammen mit den Kurden eine deutliche Mehrheit im Parlament stellen.
Doch die Iraker zeigten sich euphorisch. Trotz Terrordrohungen von Extremisten und Gewaltanschlägen mit fast 40 Toten hatten sie sich nicht von ihrem Grundrecht abbringen lassen und gingen
zahlreich an die Wahlurnen. Die Beteiligung wird landesweit auf deutlich über 50 Prozent geschätzt. Darüber hinaus zeigt sich eine Abkehr vom Wahlverhalten entlang ethnisch-religiöser
Zugehörigkeiten. Neue Bündnisse waren offen für eine neue Wählerschaft, alte Rivalitäten wurden zugunsten eines gesamtstaatlichen Neuanfangs aufgegeben. Der Einfluss der religiösen Parteien
scheint zurückzugehen.
Große Chance für Bündnisse
Die wichtigsten politischen Kräfte haben sich zu Wahlallianzen zusammengeschlossen und es werden den Bündnissen die größten Chancen eingeräumt, die sowohl Sunniten als auch Schiiten und
möglichst noch andere Gruppen vereinen. Aller Voraussicht nach wird keine Gruppe die absolute Mehrheit der Sitze erreichen.
"Im Laufe der schweren, blutigen Jahre haben sich alle den neuen Spielregeln angepasst," sagt der Irak-Experte Thomas von der Osten-Sacken, "die zahlreichen politischen Konflikte werden
heute nur noch in den verfassungsgemäßen Institutionen ausgefochten. Die Freude am Parlamentarismus wächst, es entsteht eine wirkliche Opposition."
Ein Viertel der Sitze an Frauen
Allerdings bleibt abzuwarten, ob es gelungen ist, alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen an die Urnen zu locken. Vor allem die Beteiligung der Sunniten ist für die Suche nach einem
gesellschaftlichen Konsens entscheidend. Ein Viertel der Sitze muss in dieser Wahl zum letzten Mal an Frauen gehen, die anders als bei der ersten Parlamentswahl mit Porträts für sich werben
konnten. In vier Jahren wird diese Quote jedoch aufgegeben.
Der amerikanische Präsident Barack Obama lobte Wahlkampf und Wahlen als einen Meilenstein in der Geschichte des Landes. "Millionen Menschen sind mit Enthusiasmus und Optimismus an die
Wahlrunen gegangen. Die irakischen Sicherheitskräfte haben mit der Verhinderung schwerer Anschläge ihre Kompetenz bewiesen", sagte er heute morgen.
Allerdings wies Obama auch darauf hin, dass dies erst der Anfang sei. Stimmenauszählung, die Prüfung von Beschwerden, die Konstituierung des Parlamentes und die Regierungsbildung müssen nun
folgen. Obwohl von Grabenkämpfen, Intrigen und Kuhhandel ausgegangen wird, stehen die Politiker aller Parteien unter Druck. Im Herbst wollen die Amerikaner mit dem Abzug ihrer 100.000
Sicherheitskräfte beginnen. Dann ist die irakische Regierung auch formal für die Sicherheit ihrer Bürger verantwortlich. Ein Machtvakuum muss unbedingt verhindert werden, weil es neue Gewalt
provozieren würde. Mitte der Woche sollen die ersten Wahlergebnisse veröffentlicht werden.
arbeitet als freier Autor mit Schwerpunkt Afrika, Lateinamerika und Naher Osten.