Der 24-stündige Streik war zweifellos der größte Massenumzug der Unzufriedenen seit der Wahl des 54-jährigen Staatschefs im Frühjahr 2007. Vor allem beteiligten sich im Gegensatz zum ersten
Generalstreik am 29. Januar, an dem zwei Millionen Menschen teilnahmen, diesmal zehntausende Beschäftigte aus der Privatindustrie. Über 100 000 Rentner, deren Altersgeld durch die schwere
Wirtschaftskrise "aufgefressen" wird, gingen an der Cote d´Azur und in den Städten der südfranzösischen Provence auf die Straße. Die Gewerkschaften versprechen der Regierung einen "heißen
Frühling", dies umso mehr, als Premierminister Francois Fillon zwei Tage vor dem geballten Protest ein zweites Konjunktur- und Sozialhilfspaket mit Hinweis auf die hohe Staatsverschuldung rundweg
abgelehnt hat.
Ein erstes Paket war während des "Sozialgipfels" der Regierung mit den Gewerkschaften Mitte Februar geschnürt worden. Fillon bezeichnete das Paket (2,6 Milliarden Euro) aber als ein
Investitionsprogramm für die Wirtschaft, um Stellenstreichungen zu vermeiden. Die Arbeitnehmerorgansiationen monierten jedoch, dass gegen den Kaufkraftverlust nichts getan werde. Die Forderung
nach Heraufsetzen des Mindestlohnes lehnte die Regierung ab. Den Niedrigverdienern beizuspringen ebenfalls. Im Fernsehsender TF-1 wiederholte Fillon: "Wir können nicht weitergehen!" Die schwere
Krise sei keine französische, sondern eine weltweite. Auch den Vorschlag aus der eigenen Mehrheit UMP, Superreiche mit höheren Steuerabgaben als "einmaligen Solidaritätsbeitrag" zur Kasse zu
bitten, verwarf der Regierungschef.
Eierangriff auf Werkdirektor
Das Nein von Sarkozy zu einem zweiten Konjunkturplan scheint den Sozialkonflikt in Frankreich zu radikalisieren. In den Betrieben, die vor Massenentlassungen stehen und den Arbeitsabbau in Aussicht stellen, ist das Firmenklima äußerst gespannt. Der Chef von Sony-France wurde für 24 Stunden zur Geisel genommen. Der Werksdirektor der Reifenfabrik Continental musste nach einem Eierangriff seine Rede vor der Belegschaft abbrechen und flüchten. Im Pharmaunternehmen GSK besetzten Beschäftigte den Betrieb. Im Stahlwerk von Gandrange in Ostfrankreich ist die Stimmung gegen Sarkozy besonders groß, weil der Staatschef nach einem Besuch dem maroden Unternehmen vor einem Jahr eine Millionensubvention zugesagt und versichert hatte, er komme nach 12 Monaten wieder, um die "erfolgreiche Anschubfinanzierung" mit den Mitarbeitern zu feiern. Bis heute hat sich Sarkozy dort nicht blicken lassen.
Zweiter Sozialgipfel gefordert
Die französischen Medien geben die angespannte Lage ungeschminkt wieder. Im Großraum Paris, der Ile-de-France, brechen insgesamt 5800 Stellen weg, in der Bretagne 4400, im nordfranzösischen
Departement Pas-de-Calais 2620 und im Elsass 755. Die Gewerkschaften drängen deshalb auf ein Zusatzpaket, das Jobs sichern sowie Lohnzuschläge und Maßnahmen zur Stabilisierung der Kaufkraft
bringen soll.
In den Protestumzügen war immer wieder zu hören, die Regierung gebe angeschlagenen Unternehmen Milliarden, "aber der kleine Mann geht leer aus!" Eine Umfrage ergab, daß 70 Prozent der
Befragten auf einen neuen "Sozialgipfel" drängen. Nun haben Millionen unzufriedener Franzosen wieder auf der Straße Ärger und Wut geäußert. Bernard Thibault, Chef der mächtigen Gewerkschaft CGT,
warnt: Wenn sich Sarkozy nicht bewegt, wird der Kampf härter. Bewegung aber war für den Turbo-Präsidenten eigentlich nie ein Problem.
ist Auslandskorrespondent in Frankreich für verschiedene Tageszeitungen und Autor mehrerer politischer Bücher, u. a. „Willy Brandt – ein politisches Porträt“ (1969).