Unter dem Schlagwort "Reformwerkstatt Mitgliederpartei" wird die SPD in Berlin ebenso wie bundesweit ihre Arbeitsweise hinterfragen und Vorschläge zur Optimierung von Strukturen, Methoden und Verhaltensweisen auf allen Ebenen der Partei erarbeiten. Die Zielsetzung ist klar: Die Stärkung der Mitglieder- und Volkspartei, mit einem hohen Maß an innerparteilicher Demokratie und breiter Verankerung in der Gesellschaft.
Das erste Ergebnis, das uns die Ortsvereinsbefragung liefert, ist sehr erfreulich: Bundesweit haben sich über 40% aller Ortsvereine an der Befragung beteiligt, in Berlin haben sogar 65% der Abteilungen mitgemacht. Mit einer so hohen Beteiligungsquote hatten die im Vorfeld zu Rate gezogenen Expertinnen und Experten niemals gerechnet. Vielmehr war man durch Erfahrungen vergleichbarer Befragungen in anderen Organisationen davon ausgegangen, dass die Befragung bei einer Rücklaufquote von 20% auf große Akzeptanz stoßen würde.
Diese positive "Überraschung" zeigt zweierlei: Einerseits macht sie deutlich, dass die Ortsvereine und Abteilungen als Basisorganisation der SPD in der Breite sehr wohl handlungsfähig sind,
die Struktur an dieser Stelle also offensichtlich im besten Sinne funktioniert. Dass die Befragung dabei zumeist Thema in Abteilungsversammlungen oder -vorstandssitzungen war und die Fragebögen
gemeinsam beantwortet wurden, unterstreicht diesen Eindruck der Handlungsfähigkeit.
Andererseits ist die hohe Beteiligungsquote auch Ausdruck einer Erwartung, dass sich unsere Partei weiterentwickelt und Angebote eröffnet, in die sich die viel beschworene "Parteibasis"
einbringen kann. Stichworte hierzu sind u.a. die Diskussion um die politische Bilanz der elf sozialdemokratischen Regierungsjahre im Bund, die Positionsbestimmung in wichtigen bundespolitischen
Themenfeldern, wie sie mit dem Bundesparteitag Ende September erfolgt, oder auch die Beteiligung, wenn es um die inhaltlichen Schwerpunkte sozialdemokratischer Stadtpolitik in Berlin geht.
"Funktionärsystem" findet keine ausreichende Akzeptanz
Denn eines der deutlichsten Ergebnisse der Befragung ist der große Wunsch, die Parteibasis künftig direkter in die innerparteiliche Meinungsbildung und Entscheidungsfindung einzubinden -
über Instrumente wie Mitglieder- und Ortsvereinsbefragungen oder Mitgliederentscheide. Mit Blick auf die Parteireformdebatte zeigt dies, dass die traditionellen Wege der Entscheidungsfindung und
ihrer Vermittlung sowie die Einbindung der Parteibasis über unser "Funktionärssystem" nicht hinreichend funktionieren bzw. keine ausreichende Akzeptanz finden.
Dabei gibt es eine große Offenheit dafür, Nichtmitglieder in die Meinungsbildung zu inhaltlichen Fragestellungen einzubeziehen - bundesweit sind 79%, in Berlin sogar 81% aller Ortsvereine dafür. Klare Grenzen werden allerdings gezogen, wenn es um Entscheidungen geht: Hier sind bundesweit nur 32% der Ortsvereine dafür (in Berlin sogar nur 4%!), sich bei der Entscheidung über Kandidatinnen und Kandidaten für öffentliche Ämter für Nichtmitglieder zu öffnen. Bei Entscheidungen über inhaltliche Positionen votieren bundesweit 12% der Ortsvereine (in Berlin erneut nur 4%) für die Einbeziehung von Nichtmitgliedern. Fazit: Es wird eine große Beteiligung weit über die eigene Partei hinaus angestrebt, wenn es um die inhaltliche Positionsentwicklung geht.
Mit der Mitgliedschaft in der SPD wird aber das "exklusive Recht" verbunden, über Positionen und KandidatInnen zu entscheiden - dabei wird die Erwartung formuliert, dass die Mitglieder und
Ortsvereine künftig stärker und direkter in zentrale Entscheidungsprozesse eingebunden werden.
Alarmzeichen für die Volkspartei: Kaum Zusammenarbeit im Kiez
So richtig und wichtig die Einbeziehung von Nichtmitgliedern und anderer gesellschaftlicher Gruppen in den Meinungsbildungsprozess bewertet wird, stellt sich jedoch die Frage, wie und wo
dies umgesetzt werden kann. Die in der Befragung hierfür ermittelten Potenziale zeigen auf der Abteilungsebene ein eher dramatisches Bild: Gleichgültig, ob Sportvereine, Kulturschaffende,
Jugendverbände oder -einrichtungen, Gewerkschaften, Kirchen, Umweltverbände oder Freizeitorganisationen - die Mehrheit der bundesweit befragten Ortsvereine und unserer in Berlin befragten
Abteilungen gibt an, dass sie hier keinerlei Zusammenarbeit zu Organisationen und Vereinen im eigenen Kiez aufzuweisen hat. Lediglich mit Bürgerinitiativen gibt es häufiger Kontakt und
Austausch.
Der geringe Grad des Kontaktes und der Zusammenarbeit mit anderen gesellschaftlichen Gruppen im eigenen Umfeld muss für eine Volkspartei ein Alarmzeichen sein. Hier geht es in den nächsten
Monaten darum, den Ursachen weiter auf die Spur zu kommen. Vermutlich ist es im Regelfall nicht so, dass man mit "anderen" nichts zu tun haben will, vielmehr ist davon auszugehen, dass ein großer
Teil der zeitlichen Ressourcen der Ortsvereine bereits für die organisatorischen Kern- und Pflichtaufgaben drauf geht. Für die Zusammenarbeit mit anderen - sozusagen der "Kür" - bleibt dann nur
noch wenig Zeit und Kraft übrig. Daher muss die Entlastung der Ortsvereine und Abteilungen von Bürokratie und Verwaltungstätigkeiten einen weiteren wichtigen Punkt der Parteireformdebatte
darstellen.
Berliner SPD startet Mitgliederbefragung
Klar ist aber auch, dass eine Partei mit zurzeit bundesweit rund 560.000 Mitgliedern überprüfen muss, ob sie eine verfasste Struktur mit unzähligen Gremien, Grüppchen und Verästelungen
aufrecht erhalten kann und will, die entstanden ist, als man noch über 800.000 Mitglieder zählte.
Hier scheint eine Konzentration auf die wichtigen Kerne, verbunden mit der Arbeit in zeitlich befristeten (!) Projekten sinnvoller, als sich in einer Vielzahl von Arbeitszusammenhängen zu verteilen, die dem Motto folgt, "jedem Topf sein Deckelchen".
Die Berliner SPD hat sich zum Ziel gesetzt, sich aktiv in die bundesweit einsetzende Parteireformdebatte einzubringen. Denn als eine augenfällige Besonderheit gilt, dass wir als einziger Landesverband der SPD in den letzten fünf Jahren eine stabile Mitgliederentwicklung aufweisen. Kontinuierlich verzeichnen wir rund 16.000 Mitglieder in unseren Reihen, während andernorts die Mitgliederzahl gesunken ist.
Und da wir wissen, dass unsere Mitglieder mit ihrem Wissen, ihrem Engagement und ihrer Vermittlung von SPD-Positionen in ihr privates wie berufliches Umfeld, unser größtes Kapital darstellen,
wollen wir im Herbst in Berlin alle Mitglieder befragen, was ihre Erwartungen an die Weiterentwicklung der SPD und im Hinblick auf die richtigen Themensetzungen sind. Und natürlich geht es auch
die Fragen nach den individuellen Ansprüchen an Beteiligung und der Bereitschaft, die eigenen Potenziale selbst gezielt die Parteiarbeit einzubringen. Wir zählen auf Deine Unterstützung!
Mehr Informationen zu den Berliner Ergebnissen: www.spd-berlin.de/ov-befragung