Parteileben

"Wir müssen Jugendliche ernst nehmen"

von Birgit Güll · 18. März 2010
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vorwärts.de: Zwischen dem 19. und 21. März findet der Juso-Kongress "Links 2010" statt. Was sind die Themen?

Franziska Drohsel: Auf dem Kongress wollen wir uns die Situation junger Menschen genauer ansehen. Aus unserer Sicht gibt es drei große Phänomene mit denen Jugendliche, unabhängig von ihrem konkreten Milieu, zu kämpfen haben. Unsichere Lebensverhältnisse, also unsichere Jobs, sind das eine. Außerdem spüren Kinder und Jugendliche schon sehr früh einen enormen Leistungsdruck. Der führt teilweise zu psychischen Problemen und dazu, dass junge Leute nicht das Gefühl haben neben ihrer Ausbildung noch irgendetwas anderes machen zu können. Das dritte große Problem ist, dass immer mehr Jugendliche sich sozial ausgegrenzt fühlen. Sie haben sehr früh das Gefühl, dass sie an dieser Gesellschaft nicht teilhaben.

Welche Rolle spielt das Papier, das ihr vor dem Kongress verabschieden werdet?


Darin formulieren wir, was aus unserer Sicht die derzeitigen Probleme sind. Es soll ein Auftakt zur Diskussion sein. Zu dem Kongress haben wir Vertreter von verschiedenen Jugendorganisationen eingeladen, mit denen wir diese Fragen diskutieren und Lösungsvorschläge erarbeiten wollen. Danach würden wir unser Papier überarbeiten und gegebenenfalls anpassen.

Und dann?

Ziel ist es, das Papier zunächst im gesamten Verband und auf dem Bundeskongress zu diskutieren. Danach wollen wir unsere Positionen in die Partei und auch zum Parteitag tragen. Die SPD hat viele Jungwähler verloren. Sie muss sich auch, was den Jugendbereich angeht, erneuern. Unsere Aufgabe ist es, Impulse zu setzen. Auf Basis des Papiers können wir sagen, wo sich die inhaltliche Programmatik der Partei ändern und wo sich die Art und Weise des Politikmachens wandeln sollte.

Geht es um eine allgemeine Leitlinie oder um konkrete Punkte?

Um eine Kombination. Wir haben konkrete Forderungen daraus abgeleitet, dass junge Menschen unter einem nicht akzeptablen Leistungsdruck stehen. Wir wollen eine Re-Regulierung von Arbeitsverhältnissen. Das heißt z.B. kein Missbrauch von Praktikums-Verhältnissen. Gleichzeitig geht es um gesellschaftliche Phänomene, die sich nicht mit einer einzelnen Forderung lösen lassen. Die gesellschaftliche Grundstimmung müsste sich ändern. So sollte beispielsweise klar sein, dass junge Leute zum Erwachsenwerden Freiräume brauchen um sich zu fragen, wo sie stehen und was sie wollen.

Beim Kongress wird es einen "Talk der Arbeiterjugend" geben. Was bedeutet Arbeiterjugend im Jahr 2010?

Als Jusos sehen wir uns in der Tradition der Arbeiterjugend und der Arbeiterbewegung. Die gesellschaftliche Situation ist zwar eine andere als zur Zeit der Gründung der Sozialdemokratie. Doch es ist wichtig, seinen Ursprung zu kennen und sich zu fragen, was es heute heißt, sozialistische Politik zu machen.

Was sagen Sie Jugendlichen, warum sie sich bei den Jusos engagieren sollten?


Ich würde sie fragen ob sie der Meinung sind, dass in unserer Gesellschaft alles gut läuft. Wenn sie nicht der Meinung sind, lohnt es sich, sich dafür einzusetzen, etwas zu ändern. Und dafür sind die Jusos ein guter Ort. Wir können einerseits versuchen, auf die Partei und auf das Parlament Einfluss zu nehmen und auf der anderen Seite auch Aktionen und Demonstrationen auf der Straße zu organisieren. Ich fand es als 16-Jährige immer gut, auf mehreren Ebenen aktiv zu sein.


Nimmt die Politik die Probleme junger Menschen überhaupt ernst?

Die Probleme werden in ihrer ganzen Dimension oft nicht wahrgenommen. Das hängt damit zusammen, dass die Betroffenen oftmals nicht organisiert sind und Druck für ihre Anliegen machen. Vielfach gelingt es Politikern nicht, den Austausch mit Jugendlichen zu suchen, der nötig wäre, um ihre Probleme zu verstehen.
Außerdem werden die Prioritäten falsch gesetzt. Selbst wenn die Probleme erkannt werden, ist häufig nicht die Bereitschaft vorhanden, zu sagen, Bildung und Chancengleichheit den Raum zu geben, der nötig wäre. Dafür braucht man Geld. Es wäre nötig zu sagen: Ich erhöhe die Steuern für Besserverdiener und investiere in Chancengleichheit. Diese Prioritätensetzung gibt es leider kaum, wahrscheinlich weil zu viele Angst vor dem Konflikt mit bestimmten Bevölkerungsgruppen haben. Aber es ist ein Interessenskonflikt, in dem die SPD Position beziehen muss.

Aus der Sicht eines jungen Menschen scheint es diese Bereitschaft etwa bei der Rentenversicherung allerdings zu geben. Woran liegt das?

Ich finde die Verknüpfung mit der Rentendiskussion immer ein bisschen gefährlich, sie suggeriert ein Alt gegen Jung. Die Frage von menschenwürdigen oder armutsfesten Renten ist im Kern eine soziale Frage und kein Generationenproblem. Das ist letztlich alles eine Frage der Kräfteverhältnisse und der Auseinandersetzung mit Interessen. Wenn es etwa beim Bildungsstreik gelingt, dass Studierende monatelang Universitäten besetzt halten, dann gibt es auch irgendwann die Bereitschaft etwas zu ändern. Aber diesen Druck muss man erst einmal entfalten. Und angesichts der individuellen Situation, also der Angst vor Arbeitslosigkeit und der Notwendigkeit, neben dem Studium zu jobben, ist es natürlich schwierig zu protestieren - und im Zweifel darauf zu verzichten in einem Semester die notwendigen Scheine zu machen.

Der Kongress findet in der Ernst-Abbe-Schule in Berlin-Neuköllner statt. Warum gerade dort?


Wir wollen in eine Schule gehen, um zu signalisieren, dass nicht nur Studenten, sondern auch Schüler, Azubis und Leute, die arbeiten eingeladen sind. Außerdem ist Neukölln ein Ort, an dem viele Probleme unserer Gesellschaft offensichtlich sind und nicht unter den Teppich gekehrt sind. Das Gefälle von Arm und Reich ist dort bereits auf der Straße sichtbar. Ich finde es wichtig, nicht nur über gesellschaftliche Probleme zu reden, sondern an Orte zu gehen, an denen sie sichtbar sind.

Die Schule hat einen Migranten-Anteil von etwa 87 Prozent. Gibt es konkrete Angebote von den Jusos an Migranten, sich politisch zu engagieren?

Die Sozialdemokratie und auch die Jusos erreichen schon länger nicht mehr alle gesellschaftlichen Milieus. Bei den Jusos haben wir überwiegend männliche Studenten ohne Migrationshintergrund. Das wollen wir ändern und deshalb machen wir z.B. auch diesen Kongress. Wir müssen vor Ort an Schulen große Präsenz zeigen. Wir müssen regelmäßig Flugblätter verteilen und uns bemühen an Orte zu gehen, wo wir die Jugendlichen treffen können. Und wir müssen versuchen, Probleme konkret zu benennen, damit die Jugendlichen sich wiederfinden und sehen, dass sie sich bei den Jusos für die Lösung ihrer Probleme einsetzen können.

Seit einiger Zeit verfolgen die Jusos die "Doppelstrategie" - also die Zusammenarbeit mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Kräften. Die SPD möchte jetzt auch die "Nervenenden in der Gesellschaft wiederbeleben". Ist das der richtige Weg?

Ich finde es richtig, dass die SPD zeigt, dass das Ringen um gesellschaftliche Mehrheiten zur Politik gehört. Man muss sich mit Menschen, mit denen es Schnittpunkte gibt, auseinanderzusetzen und gemeinsam für seine Anliegen auch auf der Straße eintreten. Das ist etwas, das in den letzten Jahren in der Partei verlorengegangen ist. Deshalb finde ich es gut, das zu erneuern. Grundsätzlich läuft Politik nicht nur über Parteien und das Parlament, sondern auch auf der Straße, über Aktionen, in zivilgesellschaftlichen Bündnissen mit anderen gesellschaftlichen Organisationen. Es wäre gut, wenn diese Einschätzung sich in der gesamten Partei in der praktischen Politik stärker niederschlagen würde.

Interview: Kai Doering, Birgit Güll

"Links 2010", 19. bis 21. März, Ernst-Abbe-Schule in Berlin-Neukölln
Programm und Infos unter: www.links2010.de

Autor*in
Birgit Güll

ist Redakteurin, die für den „vorwärts“ über Kultur berichtet.

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