Berlin, den 24.10.2008 - SPD-Chef Franz Müntefering verlangt die Verantwortlichen für die Finanzkrise zur Verantwortung zu ziehen. In einem Interview des "vorwärts" sagt er, die SPD wolle "die
Verursacher der Krise haften lassen. Es kann nicht sein, dass der Steuerzahler ihre Rechnung begleicht". Müntefering forderte darüber hinaus eine Begrenzung der Spitzengehälter. "Es gibt
sittenwidrig niedrige Löhne, und es gibt sittenwidrig hohe Löhne. Beides empört die Menschen. Mit Recht. Beides akzeptieren wir nicht. Deshalb nimmt der Staat Einfluss." Etwa bei der 500.000
Euro-Obergrenze für die Banker im Rettungspaket der Bundesregierung.
Der SPD-Vorsitzende bekräftigte die Forderung seiner Partei nach flächendeckenden Mindestlöhnen: "Da bleiben wir aktiv." Es sei Kernbestand der sozialen Marktwirtschaft, dass ein
Unternehmer keinen Wettbewerbsvorteil haben dürfe durch Dumping-Löhne, die er sich vom Staat aufstocken lasse. "Wer das zulässt, oder sogar befördert, ist unsozial", so Müntefering an die Adresse
der Union.
Die Kritik von Wirtschaftsverbänden an zu hohen Lohnforderungen der Gewerkschaften weist der SPD-Chef zurück. Die Arbeitnehmervertreter seien "in den letzten Jahren außerordentlich
zurückhaltend" gewesen. In der gegenwärtigen Krise helfe Bescheidenheit aber nicht weiter. "Die Menschen brauchen Vertrauen, wir brauchen ihren Konsum. Für beides hilft ein bisschen mehr im
Portemonnaie."
Müntefering verlangt im "vorwärts" "neue Regeln für eine soziale Ordnung des Kapitalismus". Ohne soziale und demokratische Politik funktioniere weder die Gesellschaft noch die Wirtschaft.
"Geld darf nicht die Welt regieren", bekräftigt der SPD-Vorsitzende. "Wir bestehen auf dem Primat der Politik, das ist eine ursozialdemokratische Position."
Die gegenwärtige Wirtschafts- und Finanzkrise analysiert Müntefering mit den Worten: "Der Marktradikalismus ist am Ende. Die Zeit ist reif für sozialdemokratische Antworten." Die SPD habe
zwar "nicht die perfekten, aber die besseren Antworten auf die Fragen und Sorgen der Menschen". Deshalb habe SPD-Kanzlerkandidat Steinmeier "alle Chancen Kanzler zu werden".
Das komplette Interview:
"Wir haben die besseren Antworten"
Er ist zurück auf der politischen Bühne. Franz Müntefering, der frisch gewählte SPD-Vorsitzende, will neue Regeln für eine soziale Ordnung des Kapitalismus, einen Schutzschirm für
Arbeitsplätze und mehr Lohn für die Arbeitnehmer. Er möchte "die Verursacher der Krise haften lassen" und Spitzengehälter begrenzen.
Franz Müntefering, herzlichen Glückwunsch zur Wahl zum Parteivorsitzenden.
Danke.
Welches Signal geht vom Berliner Parteitag aus?
Das Signal ist: Die Sozialdemokraten wollen gewinnen. Wir können gewinnen. Wir haben nicht die perfekten, aber die besseren Antworten auf die Fragen und Sorgen der Menschen haben.
Frank-Walter Steinmeier hat alle Chancen Kanzler zu werden.
Wo siehst du die wichtigste Aufgabe der Partei bis zur Wahl 2009?
Dass wir die Sozialdemokraten die Meinungsführerschaft im Land gewinnen. Dafür: die offene und offensive Debatte führen um den neuen Gesellschaftsentwurf - in der Partei und darüber hinaus.
Die Zeit ist reif für sozialdemokratische Antworten. Der Marktradikalismus ist am Ende.
Die Menschen haben Sorgen, aber auch viel Skepsis gegenüber den Parteien.
Es gibt diese Skepsis, aber die Menschen wollen auch Veränderung. Ich treffe viele, auch junge, die wollen, dass die Dinge besser werden. Die wollen sich engagieren. Die wollen mithelfen.
Für sie müssen wir uns als Partei öffnen, damit sie sich einmischen und mitmachen können.
In der SPD herrscht neue Zuversicht und Aufbruchstimmung. Macht das die Partei attraktiver?
Die schon drin sind, bekommen neue Lust. Und es kommen neue Leute zu uns. Wir erleben eine Zeit, in der wir neue Menschen gewinnen können, als Wähler und als Mitglieder.
Die Neoliberalen sehen den Staat nur als zeitraubende Bürokratie. Die Weltfinanzkrise zeigt: Marktwirtschaft ohne Staat funktioniert nicht. Muss die Rolle des Staates rehabilitiert
werden?
Das findet statt, denn die Menschen merken: Ohne soziale und demokratische Politik funktioniert weder die Gesellschaft, noch die Wirtschaft. Ohne den Staat gibt es keine Demokratie, gibt es
keine soziale Sicherheit. Geld darf nicht die Welt regieren, Gestalten ist die Aufgabe demokratischer Politik. Wir bestehen auf dem Primat der Politik, das ist eine ursozialdemokratische
Position.
Der Staat hält rund 500 Milliarden Euro zur Rettung des Finanzsystems bereit. Was haben die zu erwarten, die uns das Desaster eingebrockt haben?
Zuerst geht es darum, die Einlagen der Sparer und die Arbeitsplätze der Menschen zu sichern. Und dann fragen wir: Wer hat das eigentlich verursacht? Zwei Antworten werden wir geben.
Erstens: neue Regeln für eine soziale Ordnung des Kapitalismus, damit das in Zukunft nicht wieder passiert. Zweitens: die Verursacher der Krise haften lassen. Es kann nicht sein, dass der
Steuerzahler ihre Rechnung begleicht.
Porsche-Chef Wiedeking sagt, den Staat ginge die Höhe von Spitzengehältern in der Wirtschaft nichts an.
Es gibt sittenwidrig niedrige Löhne, und es gibt sittenwidrig hohe Löhne. Beides empört die Menschen. Mit Recht. Beides akzeptieren wir nicht. Deshalb nimmt der Staat Einfluss, etwa bei der
500.000 Euro-Obergrenze für Banker in unserem Rettungspaket.
Sittenwidrig niedrige Löhne: Wie geht es weiter im Kampf um Mindestlöhne?
Wir haben in der Koalition erste wichtige Schritte durchgesetzt, gegen starken Widerstand der Union. Wir wollen flächendeckende Mindestlöhne, da bleiben wir aktiv. Das ist auch ein Stück
sozialer Marktwirtschaft, dass ein Unternehmer nicht einen Wettbewerbsvorteil hat durch Dumping-Löhne, die er vom Staat aufstocken lässt. Wer das zulässt, sogar befördert, ist unsozial, - gegen
Arbeitnehmer und gegen ehrliche Unternehmer.
Arbeitgeber warnen davor, jetzt Lohnerhöhungen zu fordern. Das übliche Wortgeklingel oder wäre jetzt ein Abschluss, wie im Metallbereich gefordert, kontraproduktiv?
Die Gewerkschaften waren in den letzten Jahren außerordentlich zurückhaltend. Die Melodie "Seid alle bescheiden" hilft uns gerade jetzt überhaupt nicht weiter. Die Menschen brauchen
Vertrauen, wir brauchen ihren Konsum. Für beides hilft ein bisschen mehr im Portemonnaie.
Frank-Walter Steinmeier hat auf dem Parteitag von einem "Schutzschirm für Arbeitsplätze" gesprochen. Welche Pläne hat die SPD? Und wie sind die gegen eine zögerliche Union
durchzusetzen?
Wir dürfen hier nicht zu lange warten. Es kommt jetzt darauf an, die begrenzten Mittel so effektiv wie möglich für den Arbeitsmarkt einzusetzen. Es geht um Jobs im Handwerk und bei kleinen
Unternehmen vor Ort, im Bereich Umweltschutz und soziale Stadtentwicklung. Ich bin sicher, wir werden in der Koalition zu tragfähigen Lösungen kommen.
Ein wirtschaftlicher Abschwung bedroht auch die Kultur, hier wird oft als erstes gespart. Wird die SPD auch für die Kultur in Deutschland einen Schutzschirm spannen?
Zumindest darf es nicht sein, dass in der Krise auf Kosten der Kultur gespart wird. Das wäre sehr kurzsichtig, denn Kultur ist kein Luxus, sondern unverzichtbarer Teil unserer Gesellschaft
und auch unserer Wirtschaft.
In Deutschland gibt es vier Millionen Analphabeten und drei Millionen Jugendliche ohne einen Schulabschluss. Was will die SPD dagegen unternehmen?
Der Föderalismus darf kein Hindernis sein. Europa bietet hier mit seiner Methode der offenen Koordinierung ein gutes Beispiel: Man setzt ein Ziel, und jedes Land entscheidet selbst, wie es
das erreicht. Frank-Walter Steinmeier hat vorgeschlagen: Jedes Land sorgt dafür, dass die Zahl der Jugendlichen ohne Schulabschluss um 10 Prozent sinkt. Oder: Jedes Land sorgt dafür, dass alle
Kinder bei der Einschulung ausreichend deutsch können. Wie die Länder das erreichen, bleibt ihnen überlassen. Wir wollen messbare Erfolge für die Kinder. Nur das zählt.
Eine neue Studie des Bundesbildungsministeriums bestätigt, was die SPD schon immer gesagt hat: Studiengebühren schrecken tausende vom Studium ab. Welche Konsequenzen hat das?
Wo Sozialdemokraten regieren, gibt es keine Studiengebühren. Wir sagen: Weg mit den Studiengebühren! Sie waren eine der kapitalsten Fehlentscheidungen der Union in diesem Jahrzehnt. Das
sollten CDU/CSU endlich einsehen, statt weiter Bildungshürden zu errichten, die die Zukunft unseres Landes gefährden.
In unserer alternden Gesellschaft gibt es kaum Weiterbildungsangebote für Ältere. Wie lange wollen wir uns dasnoch leisten?
Wir können es uns schon heute nicht mehr leisten. Hier müssen wir auch über die Verantwortung der Wirtschaft reden. Statt Über-50-jährige aus dem Berufsleben zu drängen, muss sie für
Weiterbildung sorgen, damit Ältere weiter ihre Jobs ausfüllen können. Weiterbildung muss in Deutschland dringend systematisiert werden.
Im nächsten Jahr ist die Europa-Wahl. Was steht zur Entscheidung?
Ich bin mit dem Wort Schicksalsfrage vorsichtig, aber das ist eine: Wenn wir in den nächsten 10, 20 Jahren nicht das soziale Europa schaffen, werden wir scheitern. Die 27 EU-Staaten müssen
eine gemeinsame soziale Ordnung vereinbaren. Dazu brauchen wir mit Martin Schulz einen EU-Kommissar, der sich diesem Ziel verpflichtet weiß. In Brüssel sitzen schon zu viele Marktradikale.
Nach dem Führungswechsel beschäftigt sich die SPD endlich wieder mit dem politischen Gegner. Du wirfst Kanzlerin Merkel Führungsschwäche vor. Woran machst du das fest?
Gerhard Schröder war immer zuerst Kanzler, dem Land verpflichtet. Dafür hat er auch manchmal den Konflikt mit der Partei nicht gescheut. Merkel ist CDU-Vorsitzende geblieben, wo sie
Kanzlerin hätte werden müssen. Bei ihr heißt es zu oft: Erst die Partei, dann das Land. Immer wieder ist sie gegenüber den eigenen Leuten in die Knie gegangen, hat die Dinge wider besseren
Wissens schleifen lassen. Sie hat zu wenig geführt. Sie war zu oft beliebig. Deutschland braucht aber jemanden an der Spitze, der richtige Entscheidungen durchsetzt, auch wenn es schwierig wird.
Der Linken hältst du "Sozialpolitik aus der Zeit der Dampfeisenbahn" vor. Was genau meinst du?
Wir nehmen den Reichen und geben den Armen, das verspricht die Linke. Es klingt gut, aber so einfach geht es in der globalisierten Welt nicht. Das weiß niemand besser als Oskar Lafontaine.
Er ist doch als Finanzminister aus dem Amt geflohen, weil er die Grenzen seiner Möglichkeiten erkannt hat. Und jetzt erzählt er: Wir regeln das alles, wie in den 70er Jahren. Das ist
unverantwortlich und zynisch.
Eine Zusammenarbeit mit der Linken im nächsten Bundestag ist also ausgeschlossen?
Ja, definitiv. In der Wirtschafts- und Sozialpolitik wie in der Außenpolitik kann man mit der Linken auf Bundesebene nicht verantwortlich zusammenarbeiten. Bei mir hängt die Ablehnung auch
mit der Person Lafontaines zusammen. Man kann mit niemandem regieren, der sein Land nach ein paar Monaten im Stich lässt und alles hinwirft und der seine Partei verrät.
Welche Bündnisoption gibt es für die SPD nach der Bundestagswahl?
Wir setzen auf Rot-Grün. Reicht das nicht, wäre die Ampel ein Ausweg. Verweigert sich die FDP, können wir die Fortsetzung der Großen Koalition nicht ausschließen, so wenig wir das wollen.
Unser Ziel ist, stärkste Partei zu werden, damit Frank-Walter Steinmeier Kanzler wird. Dafür kämpfen wir. Und das können wir schaffen.
Interview: Lars Haferkamp, Uwe-Karsten Heye