Kultur

Der Geschmack der Freiheit – und sein Preis

von Jürgen von Polier · 31. Mai 2012
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Der Eurovision Song Contest ist vorbei. Aserbaidschan und Baku werden nur noch aus dem Augenwinkel der Welt beobachtet. Größter Profiteur der Veranstaltung bleibt die Regierung. Die Bevölkerung, die auf Veränderung hoffte, erlebte den ESC wie einen Besuch im Luxusrestaurant. Für eine winzige Portion Westlichkeit kommt jetzt die saftige Rechnung.

Zu der Veranstaltung „Aserbaidschan – das Land hinter der Bühne“ im Auswärtigen Amt waren Gäste mit Aussagekraft geladen. Nourida Ateshi zum Beispiel. Die Kulturwissenschaftlerin und Schriftstellerin vertritt den aserbaidschanischen Journalistenverband in Deutschland. Als sie anfängt, eigene Lyrik zu verlesen, kommt der Moderator Frank Überall nicht mehr zu Wort. Man merkt, sie nimmt die Dinge in die Hand ­– dominant und emanzipiert.

Ateshi musste sich schon immer gegen Repressalien ihrer Regierung wehren. Auch gegen das islamgeprägte Frauenbild. Als sie noch in Aserbaidschan lebte, so erzählt sie, schrieb sie bereits Gedichte ­– an eine Veröffentlichung war jedoch nicht zu denken. Unter einem männlichen Pseudonym wurde ihre Lyrik zu Liedern, diese wiederum zu erfolgreichen Hits. Selbst ihr Mann sang täglich ihre Musik mit, ohne zu wissen, dass seine Frau sie geschrieben hatte. Als er es erfuhr, prügelte er sie halbtot. Nachdem sie als Journalistin wegen regierungskritischer Berichterstattung ein Veröffentlichungsverbot bekam, wanderte sie nach Deutschland aus ­– das war 1995.

Folgen der Kritik

Über ein weiteres Beispiel für unterdrückten Journalismus weiß Faina Hanifayeva zu berichten. Die Korrespondentin für den BBC Worldservice Baku erzählte im Auswärtigen Amt von einer Kollegin, die ebenfalls kritisch berichtet hatte. Sie wurde anschließend mit intimen Fotos erpresst, auf denen sie mit ihrem Freund zu sehen war. Als sie sich wehrte, wurden die Bilder veröffentlicht.

Eltschin Schichlinsky, Chefredakteur der zweisprachigen russisch-aserbaidschanischen Zeitung „Ayna/Zerkalo“, bestätigt die Lage Aserbaidschans. Überall auf der Welt sei es nicht leicht, guten Journalismus zu machen, in Aserbaidschan aber sei es besonders schwer. Schichlinsky erfährt das am eigenen Leib: Für seine Freunde gilt er als Gefahr.

Unabhängige Zeitungen zu etablieren wird schwerer, erklärt er. Viele Unternehmen sind durch starke Monopole nicht auf Werbeeinnahmen angewiesen, regierungsferne Zeitungen benötigen sie aber.

Von allen Vorwürfen unbeeindruckt zeigt sich Nurchin Aliyev. Der Botschaftssekretär Aserbaidschans in Berlin sagt, es gebe guten und schlechten Journalismus. Sein Land werde in der deutschen Presse bewusst negativ dargestellt, viele Artikel seien schlecht recherchiert. Dabei bezieht er sich auf eine Sendung des ZDF Morgenmagazins und einen Spiegel-Artikel. Nourida Ateshi will das so nicht stehen lassen. Wütend fällt sie Aliyev ins Wort und sagt, sie habe den Artikel gelesen und alle Fakten seien korrekt gewesen.

Täter: Alles halb so wild

Die Einstellung Aliyevs zu den Problemen Aserbaidschans erinnert an das politische Tagesgespräch der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN) am 15. Mai. Die Veranstaltung behandelte die ebenfalls fragwürdige Menschenrechtssituation der Ukraine. Der Geschäftsführer der ukrainischen Botschaft, Vasyl Khymynets sagte (genau wie auch Aliyev im Auswärtigen Amt) um die Probleme seines Landes zu verstehen, müsse man dessen Geschichte berücksichtigen. Große Fortschritte seien schließlich längst gemacht worden.

Auch erklärte er, die ehemalige Ministerpräsidentin Julija Timoschenko sei in Haft doch nachgewiesenermaßen gar nicht misshandelt worden. Unabhängig voneinander kratzen die beiden Männer am Zugeständnis eines Problems. Doch wie viele Probleme es gibt, und von welcher tragischen Brisanz sie sind – das sagen sie nicht. Sie leugnen sie gar. Die Vertreter beider Regierungen waren in einem Punkt aber besonders einig: Gastfreundschaft stehe bei ihnen im Vordergrund. Man freue sich über viele Gäste – und wahrscheinlich auch über ihr Geld.

Autor*in
Jürgen von Polier

ist ausgebildeter Immobilienkaufmann, Lyriker und Autor.

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