Inland

Berliner Tagebuch

von Uwe Knüpfer · 26. April 2012
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Nichts ist schlimmer als Mitleid. Von Gegnern beschimpft zu werden, kommt einem Ritterschlag gleich. Das gibt Profil und schweißt die eigenen Reihen zusammen. Aber Mitleid? Wo Mitleid aufkommt, ist die Messe gesungen.

Familienministerin Kristina Schröder hat ein Buch geschrieben – ok, sie hat daran mitgeschrieben; ihr Foto ziert das Cover. Es ist ein mildes, etwas wirres Pamphlet gegen den Feminismus - was schon deshalb irritiert, weil es ohne die Erfolge der Frauenbewegung weder ihr Amt noch sie in dieser Rolle gäbe.
Frau Schröder war so mutig, das Buch ausgerechnet im Berliner Stadtteil Prenzlberg vorzustellen – wo der Trend unter trendig-kreativen Müttern zum Zweitkinderwagen geht. Während der Lesung wurde die Ministerin noch bestaunt bis verhöhnt, das Echo war schlimmer: Mitleid machte sich breit.
Soweit ist es mit Norbert Röttgen noch nicht. Das liegt zum einen daran, dass er die Wahl in NRW noch nicht verloren hat. Zum anderen besitzt er die seltene Gabe, trotz eines fotogenen Äußeren Sympathiebekunder auf Distanz zu halten. Wie schrieb der „Stern“: „Die echten Röttgen-Fans im CDU-Establishment passen in einen Kleinbus.“

Im Zusammenhang mit der FDP ist das Wort „Bus“ strukturell unangebracht. Der Philipp-Rösler-Fanclub dürfte im Fond eines Dienstwagens Platz finden. Dabei ist der Noch-FDP-Vorsitzende eines ganz sicher: sympathisch. Parteifreunde, die es nicht ganz böse mit ihm meinen, versichern, als Kinderarzt sei er große Klasse gewesen. Von hier bis zum Mitleid ist es nur ein Trippelschritt.

Den werden die Freidemokraten, da ist man sich im „politischen Berlin“ sicher, bald nach dem 13. Mai tun. Offen ist nur: Wird Rainer Brüderle vorerst Röslers Erbe antreten – oder startet Christian Lindner gleich durch? Was zunächst mal davon abhängt, ob die Wähler in NRW dem liberalen Wunderkind Lindner ausreichend viele Stimmen geben. Demokratie treibt manchmal wunderliche Blüten - aber sie funktioniert.
Apropos wunderlich: Die Piraten machen gerade die Erfahrung, dass Fleischtöpfe nicht nur Gourmets anlocken. Ob die Intelligenz des Schwarmes groß genug ist, Nazis vom Bord der Freibeuter-Fregatte fernzuhalten, wird sich zeigen. Eins ist sicher: Liquid Democracy – zu deutsch: verflüssigte Demokratie – kommt allen entgegen, die Regeln nur einhalten wollen, so lange sie dabei gewinnen.

Autor*in
Uwe Knüpfer

war bis 2012 Chefredakteur des vorwärts.

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