International

Premier Matteo Renzi hat Italien ein Wunder beschert

Matteo Renzi ist seit einem Jahr Premierminister Italiens. Trotz schlechter Wirtschaftsdaten ist ihm ein kleines politisches Wunder geglückt.
von Michael Braun · 19. Februar 2015
placeholder

Obwohl Italien sich weiterhin tief in der Krise befindet, obwohl seit Herbst 2011 die Wachstumszahlen konstant nach unten weisen, steht der 40-jährige Florentiner völlig unangefochten da. Anderswo in Südeuropa heißen die Hoffnungsträger Alexis Tsipras oder Pablo Iglesias, werden in der Opposition verortet oder in neuen, „unverbrauchten“ politischen Kräften. Matteo Renzi dagegen gelang das Kunststück, als Chef einer etablierten Partei den radikalen Erneuerer zu geben.

Matteo Renzi als Verschrotter

Möglich war dies nur, weil er seinen gesamten politischen Aufstieg mit dem Nimbus des „Verschrotters“ verband. Er stand gegen die bisherige politische Klasse auch in der eigenen Partei. So gelang es ihm, im Dezember 2013 erst die Führung des Partito Democratico (PD) zu erobern und dann im Februar 2014 seinem Vorgänger und Parteifreund Enrico Letta das Amt des Regierungschefs zu entreißen.

Zwar hat Renzi ebenso wenig wie vor ihm Letta eine eigene Mehrheit im Parlament. Seine Regierung stützt sich auf eine Koalition mit kleinen Mitte- und Rechtsparteien. Fragil ist seine Position auf den ersten Blick auch, weil ihm weite Teile der eigenen PD-Fraktionen skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen.

Matteo Renzi als Reformer

Aber Renzi setzte von Beginn an auf eine andere Karte als parlamentarische Stärke: auf die direkte Ansprache der Bürger, auf den Schub der öffentlichen Meinung. Er tritt als entschlossener Reformer auf, der – in diesem Punkt im Pakt mit Silvio Berlusconi – die Verfassung und das Wahlrecht ändern will, der weitreichende Arbeitsmarkt-, Schul-, Justizreformen und vieles mehr angehen will. Und der unmittelbar nach seinem Amtsantritt einen Steuerschnitt zugunsten der Arbeitsnehmer mit niedrigen und mittleren Einkommen ebenso wie der Unternehmen vornimmt.

Der Schachzug funktioniert. Bei den Wahlen zum Europa-Parlament im Mai 2014 schnellt der PD, der bei den Parlamentswahlen ein Jahr zuvor bloß 25 Prozent geholt hatte, auf 40,8 Prozent hoch. Berlusconis Forza Italia stürzt auf 16,8 Prozent ab, Beppe Grillos Protestbewegung Fünf Sterne, die noch im Vorjahr mit dem PD gleichauf gelegen hatte, bleibt bei 21% Prozent hängen.

Erfolge wohin man blickt

Zwar gelang es Renzi seither nicht, den ursprünglich versprochenen Rhythmus einzuhalten – „jeden Monat eine Reform“ . Doch auf der Aktivseite kann er die definitive Verabschiedung der Arbeitsmarktreform im Dezember 2014 für sich verbuchen. Zudem wurde die Reform des Wahlrechts ebenso wie die Verfassungsreform in jeweils einer der beiden zuständigen Kammern gebilligt. Die Verfassungsreform sieht übrigens die Abschaffung des Senats als direkt gewählte und gleichberechtigte Kammer neben dem Abgeordnetenhaus vor.

Der Regierungschef treibt diese Vorhaben auch gegen den heftigen Widerstand der Gewerkschaften voran – das Verhältnis zu ihnen darf seit der Arbeitsmarktreform mit einer deutlichen Lockerung des Kündigungsschutzes als zerrüttet gelten. Geschickt inszeniert er sich als Macher, der mutig auch gegen den Widerstand ewiger „Bedenkenträger“ alte Zöpfe abschneidet. Auf diese Weise gelang es ihm, seine Attraktivität auch unter den Wählern der Mitte und der Rechten deutlich zu erhöhen.

Syriza und andere Alliierte willkommen

Zuhilfe kommt ihm, dass einstweilen kein ernsthafter Gegner auf Italiens politischem Parkett zu erblicken ist. Das Berlusconi-Lager befindet sich im Niedergang, der Glanz des alten Anführers ist verblichen, Beppe Grillo gelang es nicht, das Gewicht seiner Fünf-Sterne-Bewegung in greifbare parlamentarische Erfolge umzusetzen, die innerparteiliche Opposition im PD präsentiert sich zersplittert und ohne Führungsfigur. Schon reden politische Beobachter davon, dass Italien nach 20 Jahren politischer Dominanz Berlusconis eine 20-jährige Ära Renzi ins Haus stehe.

Für solche Vorhersagen ist es wohl noch zu früh. Italien ist ja noch keineswegs aus dem Tal heraus, in dem es sich seit Jahren befindet. Renzi setzt deshalb nicht zuletzt auf die Verschiebung der Gewichte in Europa, weg vom harten Sparkurs hin zu stärkerer Wachstumsorientierung. Alliierte sind da durchaus willkommen. Über den Sieg Syrizas in Griechenland jedenfalls schien Renzi nicht allzu traurig zu sein.

Schlagwörter
Autor*in
Michael Braun

ist promovierter Politikwissenschaftler und Mitarbeiter der FES Rom.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare