SPD im Ländle geht kämpferisch auf die Zielgerade
15 Prozent. Das Ergebnis der jüngsten Wählerbefragung, wenige Tage vor dem Landesparteitag in Stuttgart von den Medien veröffentlicht, hat unter Parteimitgliedern wahlweise Entsetzen oder Wut ausgelöst. Die stellvertretende Landesvorsitzende Leni Breymaier will es auf ihre Art gleich im ersten Satz ihrer Rede zum Auftakt der Veranstaltung loswerden: „15 Prozent in den Umfragen sind einfach Scheiße.“ So bringt die Gewerkschaftsfrau ihren Frust auf den Punkt und macht mit dem offenen Wort den Weg frei, ehrlich über den Zustand des Landesverbands zu diskutieren. Dabei kann sie ihren Parteifreunden in der Regierung keine Vorwürfe machen. „Sie haben den Koalitionsvertrag abgearbeitet, wie ich es nie zuvor erlebt habe“, lobt sie die Bilanz der fünfjährigen Regierungsarbeit. Aber die Anerkennung der Wählerinnen und Wähler ist ausgeblieben. Warum?
Rat an die SPD: „Schwätzen, schwätzen, schwätzen“
Eine Analyse ist unnötig. Jeder im Land weiß, es liegt am übermächtigen grünen Ministerpräsidenten. Winfried Kretschmann ist das Gesicht der Regierung und zieht die komplette Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich. Die übrigen Kabinettsmitglieder werden zu oft nur wahrgenommen, wenn die Opposition medienwirksam auf sie eindrischt. Leni Breymaier weiß, was dagegen hilft: Rausgehen zu den Wählern und „schwätzen, schwätzen, schwätzen.“
Auch für den Spitzenkandidaten Nils Schmid gibt es nur eine Parole: „kämpfen, kämpfen, kämpfen.“ Er verspricht, „sich für die Partei zu zerreißen“. Die schlechten Umfrageergebnisse seien wohl „ein Schlag ins Gesicht“, aber nicht in Stein gemeißelt. „Wir werden um jede Stimme kämpfen“, versichert Schmid, „die Sozialdemokratie lässt sich in Baden-Württemberg nicht einfach vom Hof jagen.“
Wahlkampf auch gegen den Koalitionspartner
Einige Wochen bleiben der Partei noch, um bis zum 13. März den Wählerinnen und Wählern klar zu machen, „warum das Land eine starke SPD braucht.“ Der Wahlkampf richtet sich nicht allein gegen die größte Fraktion im Landtag, die CDU, und die AfD, die laut der Umfrage nur noch wenige Prozentpunkte hinter der Landes-SPD liegt, sondern auch gegen den eigenen Koalitionspartner, Bündnis 90/Die Grünen. In der gemeinsamen Regierungsarbeit stellt Schmid, der selbst Wirtschafts- und Finanzminister im Kabinett ist, Defizite bei den sozialen Themen fest. Als Beispiele führt der stellvertretende Ministerpräsident vor: Die Grünen hätten sich gegen die Wiedereinführung der paritätischen Krankenversicherung ausgesprochen, um es sich nicht mit den Arbeitgebern zu verscherzen, die Grünen seien gegen die Abschaffung der Studiengebühren gewesen und gegen die Einführung der Bildungszeit. „Wir wollen, dass sich die Arbeitgeber nicht aus der Verantwortung stehlen“, sagt Schmid und schlussfolgert: „Grün muss man sich leisten können.“ Der Koalitionspartner habe das Land zwar grüner und bunter gemacht, die SPD das Land dafür „stärker, sicherer, gerechter.“
SPD will Partei der Gerechtigkeit bleiben
Trotz aller Kritk: Für die SPD in Baden-Württemberg sind Die Grünen weiterhin Wunschpartner Nummer eins. Mit dem vorgelegten Regierungsprogramm macht die Landes-SPD deutlich, wofür sie sich zuständig sieht: für Bildungs- und soziale Gerechtigkeit. In der nächsten Legislaturperiode will die Partei für die Abschaffung der Kitagebühren streiten, die Mittel für den Bau von 25.000 Sozialwohnungen freigeben und den nachwachsenden Generationen eine Ausbildungsgarantie geben. Weitere Kernpunkte sind der Kampf gegen den Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen. „Wir lassen unser Musterland für gute Arbeit nicht kaputt machen.“ Schmid betont zudem den Teamgedanken. Er würdigt in seiner knapp einstündigen Rede die Arbeit seiner Ministerkolleginnen und –kollegen im Kabinett gleichermaßen, um zu demonstrieren, dass sich der Wahlkampf im Wesentlichen nicht allein um eine Person dreht – wie bei den Grünen mit ihrem Spitzenkandidaten Kretschmann.
Erhard Eppler baut die Genossen auf
Nils Schmid trifft bei den Delegierten wohl den richtigen Ton: Ihr stehender Applaus hält knapp zehn Minuten an. Lang anhaltenden Beifall bekommt am Samstag noch ein weiterer Genosse. Erhard Eppler wird von Schmid für 60 Jahre Parteizugehörigkeit geehrt. Der bald 90-Jährige, der von 1968 bis 1974 Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und von 1973 bis 1981 Landesvorsitzender war, bedankt sich und macht Mut: „Es gibt keinen Grund, wie geprügelte Hunde herumzulaufen. Ich möchte, dass wir ein selbstbewusster Landesverband sind.“
Vom Spitzenkandidaten der CDU müssten die Genossinnen und Genossen jedenfalls keine Angst haben. Fast 60 Jahre habe die CDU im Land regiert und alle Ämter vergeben. „Da hat die CDU keinen besseren gefunden als Guido Wolf?“ Die Bürger im Land seien nicht die sieben Geißlein, die sich von diesem Wolf einwickeln ließen, stellt Eppler fest, sondern sieben Millionen wahlberechtigte Bürger, die die Schwächen dieses Kandidaten und die Stärken der SPD sehr wohl erkennen werden.
Zeitgleich fand auch in Rheinland-Pfals ein SPD-Landesparteitag statt. Mehr dazu lesen Sie hier.
ist freier Journalist, unter anderem für die Stuttgarter Zeitung und die Deutsche Presseagentur. Er ist zudem Fachtexter für die Einfache Sprache/Plain Language.