Meinung

Zeitenwende: Wie sich internationale Krisen besser vorhersagen lassen

Die Zeitenwende zeigt uns, dass wir außenpolitische Entwicklungen nicht immer richtig eingeschätzt haben. Datengestützte Entscheidungen können helfen, Fehleinschätzungen zu vermeiden. Dafür sollten drei Dinge stärker in den Blick genommen werden.
von Ivana Perić · 28. Juli 2023
Bewaffneter Konflikt: Datengestützte Informationen können zu einer ausgewogeneren Entscheidungsgrundlage beitragen.
Bewaffneter Konflikt: Datengestützte Informationen können zu einer ausgewogeneren Entscheidungsgrundlage beitragen.

Die Kommission Internationale Politik (KIP) bekennt sich in ihrem Positionspapier „Sozialdemokratische Antworten auf eine Welt im Umbruch“ zu einer vorausschauenden und strategischen Außen- und Sicherheitspolitik, die das Denken in Szenarien miteinschließt. Dabei gehe es darum, Trends frühzeitig zu erkennen und entsprechend mögliche Handlungsoptionen aufzuzeigen. Zusätzlich wird eine strukturelle Verankerung des Ansatzes gefordert. Dies sind wichtige Bausteine für die Mustererkennung, denen datengestützte Krisenfrüherkennung folgt.

Die Ansatzpunkte von Krisenfrüherkennung

Ein übergeordnetes Ziel der Krisenfrüherkennung ist es, durch automatisiertes Monitoring von festgelegten Krisenindikatoren und modellbasierten Risikoeinschätzungen, den zeitlichen Vorlauf für Krisenprävention zu erhöhen, indem Maßnahmen zur Risikominderung entwickelt werden können.  Unter dem Handlungsleitsatz „Early Warning, Early Action“ können auf diese Weise Handlungsspielräume geschaffen werden. Aus modellbasierten Risikoeinschätzungen lassen sich Handlungsempfehlungen ableiten und somit einen Beitrag zum präventiven Krisenmanagement der deutschen Bundesregierung leisten.

In den Leitlinien der Bundesregierung „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ aus dem Jahr 2017 ist Krisenfrüherkennung definiert als die „frühzeitige Identifikation von politischen, wirtschaftlichen, und gesellschaftlichen Entwicklungen, die das Potenzial bergen, innerhalb von Staaten und Gesellschaften gewaltsam zu eskalieren“. Modelle zur Vorhersage von Trendumbrüchen beziehungsweise einer Kriseneskalation sind daher besonders wichtig. Trotz der Bilanz, die sich aus der Umsetzung der Leitlinien ergibt, besteht in der politischen Ausgestaltung weiterhin Handlungsbedarf.

Vorurteile gegenüber KI überwinden

Modelle zur Krisenfrüherkennung sind als Instrumente der Entscheidungsfindung anzusehen, da sie grundsätzlich zur Verbesserung des Informationsumfelds beitragen. Zugleich ersetzen sie weder die Kontextualisierung der maschinell analysierten Daten durch menschliche Analyst*innen noch die Handlungshoheit politischer Akteur*innen. Vielmehr liefern sie eine solidere Entscheidungsbasis, indem lernfähige Software große Datenmengen auswertet, in ihnen Tendenzen beziehungsweise Muster erkennt, die über eine manuelle Recherche nicht leistbar sind. Die Bereitschaft, proaktiv zu handeln, liegt daher maßgeblich und nach wie vor bei den Entscheidungsträger*innen.

Um dies zu ermöglichen, sollten drei Punkte verstärkt fokussiert werden. Erstens sollte eine kommunikative Annäherung zwischen Politik und Wissenschaft stattfinden, die Bedarfe abdeckt, Handlungsfelder absteckt und das Erkenntnisinteresse klar formuliert, um „response gaps“ zu vermeiden. Zweitens braucht es den Ausbau von Analysekapazitäten sowie systematische Schulungen von Personal, um mehr Schnittstellenwissen zu schaffen, für die jeweils andere Denk- und Arbeitsweise zu sensibilisieren und die mögliche „Aversion gegen Daten“ oder Vorurteile gegenüber Künstlicher Intelligenz zu überwinden. Drittens braucht es die Einbindung relevanter, bislang noch nicht beteiligter Bundesressorts wie das Bundeswirtschaftsministerium in krisenbezogene Ressortabstimmungen.

Innovative Konzepte fernab ausgetretener Pfade

Die Zeitenwende zeigt uns deutlich, dass wir in den vergangenen Jahren außenpolitische Entwicklungen nicht immer richtig eingeschätzt haben. Für eine weitsichtige Außen- und Sicherheitspolitik gehört, neben dem Wagnis „unbequeme“ strategische Entscheidungen zu treffen, auch das Zulassen innovativer Konzepte fernab ausgetretener Pfade. Es ist Zeit für fachübergreifendes Denken und Handeln, das die kooperative Nutzung und Weiterentwicklung von Ansätzen, Denkweisen und Methoden nutzt. Krisenfrüherkennung ist ein erster Schritt in diese Richtung, dem weitere notwendige Schritte zu einer strategischen Außen- und Sicherheitspolitik folgen können.

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Autor*in
Ivana Perić

arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kompetenzzentrum Krisenfrüherkennung an der Universität der Bundeswehr München. Sie engagiert sich im SPD-Netzwerk Feministische Außenpolitik sowie bei Women in International Security Deutschland.  

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