Meinung

Wie sich die Vereinten Nationen weiterentwickeln müssen

Die Vereinten Nationen spielen bei der Gestaltung der Welt eine entscheidende Rolle. Für eine Reform des UN-Systems sollten dabei jedoch alle Ebenen strategisch mitgedacht werden. Bei der SPD finden sich gute Ansätze. Sie müssten aber weiter gehen.
von Patrick Rosenow · 30. Mai 2023
Die Vereinte Nationen sind mehr als die Summe ihrer Teile. Sie sollten im Sinne einer sozialdemokratischen Außenpolitik reformiert werden.
Die Vereinte Nationen sind mehr als die Summe ihrer Teile. Sie sollten im Sinne einer sozialdemokratischen Außenpolitik reformiert werden.

In ihrem aktuellen Positionspapier reagiert die Kommission Internationale Politik (KIP) der SPD endlich auf die veränderten internationalen Rahmenbedingungen, die sich spätestens seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine offenbart haben. Vor dem Hintergrund der von Bundeskanzler Olaf Scholz ausgerufenen „Zeitenwende“ versucht das KIP-Papier mit dem Titel „Sozialdemokratische Antworten auf eine Welt im Umbruch“ zu finden und betont, dass wir „am Beginn eines multipolaren Zeitalters“ stehen. Mit dem russischen Angriffskrieg wurde in eklatanter Weise die UN-Charta als Herzstück des Völkerrechts gebrochen.

Zudem erfordern „Probleme ohne Reisepässe“, wie einst der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan etwa Kriege und Konflikte, den Klimawandel, den Verlust der Artenvielfalt, Pandemien, Armut und internationale strukturelle Ungleichheiten, bezeichnete, einen starken Multilateralismus und eine internationale universelle Organisation: die Vereinten Nationen. Diese kann auf Grundlage der UN-Charta, der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sowie der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung einen wirkungsvollen Rahmen und internationale Solidarität bieten. Als wichtigstes multilaterales Forum ist sie mit ihren 193 Mitgliedstaaten, einem UN-Sekretariat sowie zahlreichen UN-Unterorganisationen ein bedeutender Akteur der internationalen Politik.

Anerkennung der UN-Relevanz

Umso erfreulicher ist es, dass im Papier den Vereinten Nationen ein ganzes Kapitel gewidmet ist. Vor dem Hintergrund zahlreicher außenpolitischer SPD-Papiere ist dies keine Selbstverständlichkeit, obwohl es Willy Brandt war, der 1973 als erster deutscher Bundeskanzler vor der UN-Generalversammlung sprach und eindrucksvoll die Gründungsidee der Vereinten Nationen mit dem politischen Programm „Freiheit vor Furcht und Not“ des US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt verbunden hatte. Brandt beschrieb diese zugleich innen- und außenpolitische Aufgabe mit dem Begriff der „Weltinnenpolitik“, der heute aktueller denn je ist.

Die Positionierung „Starke Vereinte Nationen für eine handlungsfähige Weltgemeinschaft“ ist wichtig, dennoch ist im Kapitel des KIP-Papiers vor allem die Rede von der Reform des UN-Sicherheitsrats, die höchstwahrscheinlich bis auf Weiteres ohnehin leider aussichtlos bleibt. Zwar ist im Papier zudem vom System der internationalen Strafgerichtsbarkeit, von Abrüstungsfragen sowie deutschen Beiträgen zu UN-Friedensmissionen die Rede, dies ist jedoch zu kursorisch, zu wenig und zeugt von einem unzureichenden Verständnis der KIP über die Arbeit der Weltorganisation als Ganzes.

Ganzheitlich denken

Die Vereinten Nationen müssen grundsätzlich und strategisch in allen Bereichen – Frieden und Sicherheit, Menschenrechte und nachhaltige Entwicklung – kontinuierlich sowie langfristig durch die Sozialdemokratie gefördert werden. Die Vereinten Nationen sind eben nicht nur der UN-Sicherheitsrat und nur dann relevant, wenn Deutschland nach einem nichtständigen Sitz im Rat strebt, sondern es geht um alle übrigen UN-Gremien wie die Generalversammlung, den Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC), das UN-Sekretariat und den Internationalen Gerichtshof (ICJ), die alle von höchster Relevanz sind, um den Multilateralismus zu stärken, miteinander ins Gespräch zu kommen, sich gegenseitig zu verstehen.

Die Abstimmungen in der UN-Generalversammlung zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine haben verdeutlicht, dass wir in einer Welt mit äußerst unterschiedlichen Perspektiven leben. Besonders die UN-Sonderorganisationen, wie etwa die Weltgesundheitsorganisation (WHO), haben insbesondere während der COVID-19-Pandemie eine essentielle Arbeit geleistet. Ein weiterer elementarer Bestandteil multilateraler Arbeit sind die UN-Gremien und -Mechanismen zur Erreichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs).

Zukunftsgipfel im Fokus

Ein wichtiger UN-Prozess, der zu den UN im KIP-Paper gänzlich fehlt und gleichzeitig von Deutschland unterstützt werden muss, ist der Zukunftsgipfel (Summit of the Future) im Jahr 2024. Dieser wurde vom UN-Generalsekretär António Guterres vorgeschlagen und soll die multilaterale Zusammenarbeit verbessern sowie bestehende Verpflichtungen, wie die SDGs, das Pariser Klimaschutzabkommen oder die UN-Charta, bekräftigen und ein gestärktes, effektives multilaterales System schaffen.

Zusammen mit Namibia bereitet Deutschland diesen Prozess vor. Dies muss personell, finanziell, aber auch konzeptionell und visionär unterstützt werden – auch über das Jahr 2024 hinaus. Dies könnte ein willkommener Anlass für eine kohärente UN-Politik aller Ressorts der Bundesregierung sein. Eine solche UN-Politik könnte durch eine zentrale Koordinierungsstelle zum Beispiel im Bundeskanzleramt oder im Auswärtigen Amt verbessert werden.

Wir bekommen die UN, die wir finanzieren

Letztendlich ist aber die Finanzierung des UN-Systems für die multilaterale Arbeit entscheidend, denn wir bekommen die UN, die wir finanzieren. Derzeit basiert die Finanzierung auf geringen Pflichtbeiträgen sowie mehrheitlich freiwilligen Beiträgen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass für sozialdemokratische Antworten auf eine Welt im Umbruch Deutschland die UN nicht unbedingt umfangreicher – dies geschieht bereits seit Ende der 2010er Jahre –, sondern kontinuierlich und verlässlicher finanziell ausstatten sowie bei anderen Partnerstaaten für eine ausreichende Finanzierung der Weltorganisation werben sollte.

Denn die Zahlen sind eigentlich beeindruckend: Deutschland hat seinen Anteil an das gesamte UN-System im Zeitraum 2011 bis 2021 von 1,1 Milliarden auf 5,2 Milliarden Euro erhöht, also fast verfünffacht. Dies entspricht etwa zehn Prozent der Gesamt-Zahlungen an das UN-System. Allerdings handelt es sich dabei zu rund 90 Prozent um freiwillige und nicht um Pflichtbeiträge, die nach politischer Opportunität jederzeit wieder reduziert werden können. Dies erschwert ein langfristiges und wirkungsvolles Arbeiten der Organisation.

Statt sich also hauptsächlich auf den UN-Sicherheitsrat, der im Übrigen in 90 Prozent der Fälle Resolutionen beschließt, und dessen nahezu aussichtlose Grundsatzreformen zu fokussieren, gibt es zahlreiche andere Möglichkeiten, das System der Vereinten Nationen wirkungsvoll zu unterstützen und im Sinne einer sozialdemokratischen Außenpolitik zu reformieren. Nur so können wir starke Vereinte Nationen für eine handlungsfähige Weltgemeinschaft wahrlich entwickeln.

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Autor*in
Patrick Rosenow

ist im Vorstand des Fachausschusses Internationales der SPD Berlin und beruflich als Leitender Redakteur der Zeitschrift VEREINTE NATIONEN tätig. Diese wird von der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN) e.V. herausgegeben.

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