Meinung

Wie die „Rotkehlchen“ die SPD beim Naturschutz unterstützen wollen

Was muss die SPD tun, um die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen? Eine Gruppe erfahrener Naturschützer, gleichzeitig aktuell bzw. ehemals in der SPD aktiv, will eine Antwort auf diese Frage geben. Sie nennt sich „Rotkehlchen-Gruppe“.
von Heinz Kowalski · 21. Juli 2023
Das Rotkehlchen: Es gilt als einer der beliebtesten Vögel Deutschlands, 1992 und 2021 wurde es „Vogel des Jahres“. So wählten es die Naturschutzfreunde in der SPD zu ihrem Namensgeber.
Das Rotkehlchen: Es gilt als einer der beliebtesten Vögel Deutschlands, 1992 und 2021 wurde es „Vogel des Jahres“. So wählten es die Naturschutzfreunde in der SPD zu ihrem Namensgeber.

Es gibt sie die Zwillingskrise. Immer mehr Landschaften gehen verloren und die Roten Listen der Natur werden immer länger. Parallel dazu steigen die Temperaturen und verändern das Klima. Während jedoch Politik und Medien die Gefahren der Klimaveränderung erkannt haben, wird der Arten- und Landschaftsschutz sträflich vernachlässigt. UN-Chef Guterres beklagte Ende 2022 auf dem Weltnaturgipfel in Kanada, der Mensch sei zu einer Massenvernichtungswaffe geworden: „Wir führen einen Krieg gegen die Natur.“ Er rief zum „Friedensschluss mit der Natur“ auf.

In ihrem kürzlich erschienenen Buch „Vom Verschwinden der Arten – Der Kampf um die Zukunft der Menschheit“ schreiben die Autorinnen Katrin Böhning-Gaese und Friederike Bauer: „Der Klimawandel bestimmt, wie wir als Menschheit in Zukunft leben, das Artensterben, ob wir auf der Erde überleben“. Andere sagen: „Beschleunigung, Beschleunigung, Beschleunigung...“ – leider auch beim Abbau von Naturschutzgesetzen.

Das Artensterben wird immer bedrohlicher

Die Kipppunkte des Lebens sind unübersehbar: Über 75 Prozent der Fluginsekten (und damit der lebensnotwendigen Bestäuber) gibt es nicht mehr, von den ehemaligen Allerweltsvögeln sind z.B. Kiebitz (minus 95 Prozent), Rebhuhn (91 Prozent) oder Turteltaube (89 Prozent) fast verschwunden, zeigen 80 Prozent der Wälder Kronenschäden und in der Ostsee hat sich die Fangmenge der Fische seit 2017 halbiert. Diese Liste des Artensterbens ließe sich jetzt schon unendlich verlängern. Mit jeder Fortschreibung werden die Roten Listen der vom Aussterben bedrohten Arten länger und länger. Jeden Tag verschwindet 56 Hektar Fläche in Deutschland unter Beton oder Asphalt. Damit geht nicht nur CO2-Speicherfläche verloren, sondern auch Versickerungsboden, was unter anderem bei Starkregenereignissen höchst problematisch ist.

Dass es anderswo in der Welt oftmals noch dramatischer zugeht als bei uns, etwa in Brasilien, wo der Wald für Fleischproduktion gerodet wird oder die Palmölplantagen in Südostasien, darf uns nicht trösten. Genauso wie beim Klimaschutz muss allerdings auch der Naturschutz global betrachtet werden, nicht zuletzt weil wir Deutschen überall unseren ökologischen Fußabdruck hinterlassen und eigentlich inzwischen drei Erden zum Überleben bräuchten.

Was kann die SPD tun?

Die Frage ist, was kann und muss die an Traditionen reiche SPD tun, um unsere natürlichen Lebensgrundlagen nachhaltig zu schützen. Eine Gruppe langjähriger und erfahrener Naturschützer, gleichzeitig in vielfältiger Funktion aktuell bzw. ehemals in der SPD aktiv, will eine Antwort auf diese existenzielle Frage geben. Sie nennen sich nach dem beliebtesten Tier der Deutschen „Rotkehlchen-Gruppe“.

Sie haben die Parteiführung der SPD an die Tradition als Umweltpartei erinnert, zum Beispiel an Willy Brandts „Der Himmel über dem Ruhrgebiet muss wieder blau werden“. Damals gab es noch nicht die Konkurrenz der Grünen, die dann viele Umwelt- und Naturschutzthemen „besetzten“, inzwischen aber vor allem eine Klima-Partei geworden sind und den Naturschutz stark vernachlässigen.

Wurzeln der SPD im Naturschutz

Man muss immer wieder daran erinnern, wie stark die Wurzeln der SPD in der Naturschutzbewegung verankert waren. Die Falken, die Naturfreunde, linksorientierte Teile der Wandervögel, Teile der Arbeiterjugend oder einfach nur während der Nazidiktatur Wandergruppen, um am Sonntagmorgen mit Gleichgesinnten in der Natur unterwegs zu sein, unbeobachtet von den Schergen der NSDAP. Natur und linke Gesinnung gehörten lange Jahre untrennbar zusammen, bevor die Nazis das Naturverständnis für ihre Zwecke missbrauchten.

Viele Wählerinnen und Wähler, denen der Schutz der Natur wichtig ist, haben sich von der SPD verabschiedet, weil sie unsere Partei nicht mehr als Naturschutz-orientiert erkennen. Sie zurückzugewinnen, wird nicht einfach sein und dennoch lohnen sich Anstrengungen, um sich wieder zu einer Partei zu bekennen, die den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen stets auch mit der sozialen Frage verbindet. Das Wählerinnen- und Wähler-Potenzial dürfte nicht gering sein, wenn man die regelmäßigen Naturbewusstseinsstudien des Bundesamtes für Naturschutz sieht oder den stetig steigenden Zulauf zu den Naturschutzverbänden. Allein der größte Naturschutzverband, der NABU, geht inzwischen auf eine Millionen Mitglieder zu und damit auf mehr Menschen als alle großen Parteien zusammen haben. Man muss diese Interessierten als SPD allerdings mit guten Programmen und Aktivitäten erreichen und überzeugen.

Klare Aussagen im Grundsatzprogramm

Immer mehr erkennen jedenfalls den Wert einer gesunden Natur: Luft, Wasser, unbelastete Böden, gute Nahrung, grüne Vorgärten, Erholungswälder mit ganz viel Vogelgesang – alles das kommt besonders den Menschen zugute, die keine Villa im Tessin haben und es sich nicht leisten können, zur Kur nach Baden-Baden zu fahren. Eine Politik, die dazu beiträgt, gesund bis zum verdienten Rentenalter und darüber hinaus ein lebenswertes Dasein zu genießen, bedeutet Wohlstand, und zwar nicht nur materiell.

Im aktuellen Grundsatzprogramm der SPD, das wenig zum Naturschutz enthält, heißt es immerhin: „Wir wollen die Natur in ihrer Vielfalt und ihrem Artenreichtum bewahren und den Flächenverbrauch deutlich vermindern, um Räume für Erholung und Muße zu erhalten. Wir wollen den effektiven Schutz der Meere und Küstenregionen. Natur hat für uns Eigenwert, wir wollen von ihr lernen und ihre Kräfte für ein besseres Leben nutzen. Wir schützen das nationale Naturerbe.“

Die Forderungen der „Rotkehlchen“

Gesagt – getan? Nicht nur aus unserer Rotkehlchen-Sicht leider viel zu wenig. Das Montreal-Abkommen hat im Abschlussdokument den Weg vorgezeichnet: „Jedes Land verpflichtet sich, in seiner nationalen Biodiversitätsstrategie darzustellen, wie es zum Erreichen der globalen Ziele beiträgt. Die Bundestagsabgeordnete Lina Seitzl (SPD), Berichterstatterin bei der Weltnaturschutzkonferenz, schrieb dazu in ihrer Pressemitteilung vom 19.12.2022: „Es ist ein großer Durchbruch für den Kamp gegen das Artensterben und den Verlust wertvoller Ökosysteme, die unsere Lebensgrundlage bilden. Diesem Ziel hat sich auch die Ampelkoalition verpflichtet, deswegen krempeln wir jetzt die Ärmel hoch und setzen die Beschlüsse von Montreal um.“

Also: packen wir‘s an und die SPD geht wieder voran! Hier wäre Beschleunigung sehr angebracht. Wir als Rotkehlchen-Gruppe sind gerne bereit, dabei zu helfen. Dazu gehören diese Forderungen:

  1. Umsetzung der globalen Vereinbarungen zum Schutz der Natur, die Ende 2022 auf der Weltnaturschutzkonferenz in Montreal verabschiedet wurde, in nationales Recht.
  2. Zeitnahe Entwicklung einer neuen Biodiversitätsstrategie für Deutschland.
  3. Sicherung der Europäischen Naturschutzrichtlinien (Vogelschutz- und FFH-Richtlinie) und Rücknahme der Notverordnungen zur 18monatigen Aussetzung dieser Richtlinien zugunsten eines beschleunigten Ausbaus der Windenergie.
  4. Bekenntnis zum Green-Deal der EU, der in diesem Sommer zerstörerischen Attacken der EVP-Fraktion unter Führung des Bayern Manfred Weber (CSU) und Peter Liese (CDU) ausgesetzt war und der mit knapper Mehrheit und einstimmiger Hilfe des Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten im EU-Parlament vorerst gerettet wurde.
  5. Ein neues und wirksames Bundes-Waldgesetz und ein Gesetz zum Schutz der Böden auf dem Acker und im Wald.
  6. Die SPD entwickelt zum Schutz der Zwillingskrise Klima und Artensterben kurzfristig eine Strategie.
  7. Außerdem macht die SPD öffentlichkeitswirksam deutlich, dass der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen auch eine unverzichtbare Antwort auf die soziale Frage ist.
  8. Für die Ortsvereine wird eine Sammlung guter Praxisbeispiele über den Naturschutz in der Gemeinde entwickelt.

Die „Rotkehlchen-Gruppe“ aus dem Naturschutz und aus der SPD
Kontakt: Heinz Kowalski, Wallstraße 16, 51702 Bergneustadt
kowalski.ornithologie@t-online.de

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