Meinung

Wie die Politik Gerechtigkeit in Zeiten der Krise organisieren kann

Die Entlastungen für die hohen Energiepreise werden mit der Gießkanne verteilt. In der akuten Krisensituation war das die richtige Entscheidung. In Zukunft braucht es aber einen zielgerichteten Verteilmechanismus – und mehr Umverteilung.
von Gustav Horn · 3. Februar 2023
Die SPD muss deutlich machen, dass Umverteilung die Widerstandsfähigkeit unserer Wirtschaft und Gesellschaft insgesamt erhöht, meint Gustav Horn.
Die SPD muss deutlich machen, dass Umverteilung die Widerstandsfähigkeit unserer Wirtschaft und Gesellschaft insgesamt erhöht, meint Gustav Horn.

Digitalisierung, ökologischer Umbau, explodierende Energiekosten, Inflation und der Krieg in der Ukraine: Zu Beginn des Jahres 2023 stehen tiefe Unsicherheiten für das wirtschaftliche Geschehen in unserem Land. Gleichwohl haben sich die großen Sorgen, die noch im Herbst vorigen Jahres die Debatten prägten, merklich verflüchtigt. Der entscheidende Grund hierfür sind die vielfältigen Unterstützungen, die die Bundesregierung beschlossen hat, damit Haushalte und Unternehmen die hohen Belastungen bewältigen können. Vom Energiegeld für Beschäftigte, Rentner und Student*innen über ein deutlich höheres Wohngeld bis hin zu Gas-  und Strompreisbremsen für Haushalte und Unternehmen reicht der bunte Strauß der unterstützenden Maßnahmen. Jede*r kann seine Entlastungen hier nachrechnen.

Entalstungen mit der Gießkanne waren richtig

Trotz dieser massiven Hilfestellung gibt es die Kritik, dass vieles von dem, was beschlossen wurde, nicht gerecht verteilt worden sei. Diese Kritik sollte man ernst nehmen, denn soziale Widerstandsfähigkeit in Krisenzeiten setzt voraus, dass deren Bekämpfung als gerecht wahrgenommen wird. Tatsächlich kommen die aktuellen Hilfen allen zu Gute, egal ob ihr Einkommen oder Vermögen hoch oder niedrig ist. Einige der Hilfen, zumindest für höhere Einkommen, werden allerdings besteuert, so dass höhere Einkommen netto weniger Unterstützung als als niedrigere haben. Dennoch bleibt der Eindruck richtig, hier ist mit der Gießkanne gearbeitet worden.

Trotzdem war dies unter den gegebenen Umständen und angesichts der dramatischen Lage gerecht. Denn anders hätte es überhaupt oder nur sehr begrenzte Unterstützung geben können, da es bislang in Deutschland keinen Mechanismus gibt, mit dem Energiehilfen gezielt nach Einkommen ausgezahlt werden können, sofern diese das Bürgergeld übersteigen. Hätte es aber gar keine oder deutlich geringere Hilfen gegeben, hätten vor allem die Haushalte mit niedrigen bis mittleren Einkommen darunter gelitten. Denn sie wären in finanzielle Schwierigkeiten geraten und nicht jene, die über ein hinreichendes finanzielles Polster verfügen.

Das löste berechtigte Sorgen aus. Deshalb war es wichtig, unter allen Umständen allen Bedürftigen die Sicherheit zu geben, dass sie finanziell über den Winter kommen. Dass auch nicht oder wenig Bedürftige von den Hilfen profitieren, ist demgegenüber nachrangig.

Ein Verteilmechanismus ist dringend nötig

Vor dem Hintergrund der mangelhaften Zielgenauigkeit unseres Transfersystem in Notlagen, sind jedoch in Zukunft einige Aufgaben zu erledigen. So haben die die fünf Wirtschaftsweisen nachvollziehbar den Vorschlag gemacht, die Steuern für höhere Einkommen für eine begrenzte Zeit zu erhöhen, um unnötige Hilfen zumindest teilweise wieder einzusammeln. Das Geld könnte sowohl bei der Konsolidierung des Haushalts als auch bei weiteren Unterstützungsmaßnahmen helfen. Auf Dauer sollten wir dennoch in der Lage sein, in Notlagen Hilfen gerechter verteilen zu können.

Ein erster Schritt ist mit dem Auftrag des Bundestags an das Finanzministerium getan, ein zielgenaues System von direkten Einkommenstransfers zu entwickeln. Ein zweiter Schritt wäre, unser Steuer- und Abgabensystem insgesamt gerechter zu gestalten. Das würde niedrigere Einkommen eher entlasten und sie damit besser in die Lage versetzen, Notlagen aus eigener Kraft zu bewältigen. Haushalte mit hohem Einkommen oder Vermögen müssten zwar höhere Steuern zahlen, aber solange sich die Erhöhungen in einem maßvollen Rahmen bewegen, wird ihre Fähigkeit Notlagen zu bestehen, nicht einmal ansatzweise gefährdet. Daher würde eine solche Reform die soziale Widerstandsfähigkeit unserer Wirtschaft in Krisen deutlich stärken.

Umverteilung erhöht die Widerstandsfähigkeit

Um dieses Ziel zu erreichen, ohne die Staatsfinanzen unnötig zu strapazieren, ist es  notwendig, die Besteuerung stärker von laufenden Einkommen auf Vermögen zu verlagern. Denn es sind vor allem letztere, die Sicherheit in schwierigen Lagen geben. Und der Mehrheit der Haushalte mangelt an Sicherheit spendenden Rücklagen. 

Aus den üblichen Lobbykreisen sind freilich massive Widerstände gegen ein solches Vorgehen zu erwarten. Deshalb ist es wichtig, dass die SPD deutlich macht, wie eine solche Umverteilung die Widerstandsfähigkeit unserer Wirtschaft und Gesellschaft insgesamt erhöht. Denn wenn die Mitte der Gesellschaft Krisen besser bewältigen kann, dann sind letztlich auch die Spitzenverdiener*innen in diesen belastenden Zeiten besser geschützt.        

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Gustav Horn

ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Duisburg-Essen. Er gründete und war von 2005 bis 2019 wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung.

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