Wie bewaffnete Drohnen Völkerrecht und Soldat*innen schützen können
imago/Markus Heine
Bei allen Debatten über die Frage, ob und wofür die Bundeswehr bewaffnete Drohnen braucht, steht ein realistisches Szenario im Hintergrund.
Mali, November 2023: Eine deutsche Patrouille der UN-Mission, die im Norden des Landes den Friedensvertrag zwischen Regierung und Tuareg-Rebellen schützt, ist auf dem Rückweg ins Lager Gao. Eine Drohne der israelischen Marke Heron TP fliegt in 2000 Metern Höhe über dem kleinen Trupp der Bundeswehr. Sie wird aus dem Lager heraus gesteuert.
Auf ihrem Bildschirm erkennt die Drohnenpilotin, dass eine Gruppe von Kämpfern gegen die Bundeswehr-Patrouille auf ihrem Fahrtweg einen Hinterhalt gelegt und den Rückweg abgeschnitten hat, und schlägt sofort Alarm. Der deutsche Kommandeur in Gao fordert daraufhin Luftunterstützung an. Mit Erfolg: Französische Kampfhubschrauber können der Patrouille binnen 90 Minuten zu Hilfe kommen.
Den Verlauf des Kampfes, der nun beginnt, können die Verantwortlichen im Lager Gao und im Einsatzführungskommando in Potsdam in Echtzeit mitverfolgen. Eingreifen können sie nicht: Die Heron TP wäre zwar bewaffnungsfähig, wird aber unbewaffnet als reine Aufklärungsdrohne eingesetzt. Als die Hubschrauber am Ort des Gefechts erscheinen, sind zwei der der Bundeswehrsoldaten tödlich getroffen, einer ist schwer verletzt.
Bewaffnete Drohnen haben aus guten Gründen ein schlechtes Image
Es ist der Albtraum aller Abgeordneten, die über Mandate für Auslandseinsätze zu entscheiden haben: Dass sie mit ihrer Stimme Menschen in tödliche Gefahr entsandt, ihnen aber nicht den Schutz mitgegeben haben, der sie hätte retten können.
In Deutschland diskutieren wir seit etwa zehn Jahren erbittert darüber. Denn bewaffnete Drohnen sind in vielen Kriegen auch für ganz andere Zwecke als für den Schutz der eigenen Kräfte eingesetzt worden. Die USA haben sie im Irak und in Afghanistan benutzt, um ganze Stadtbevölkerungen in Schach zu halten oder um gezielt auch außerhalb von Kampfsituationen Feinde zu töten. In Berg-Karabach waren sie erst in diesem Herbst in einem Territorialkonflikt kriegsentscheidend.
Das erzeugt Misstrauen gegenüber dem Waffensystem insgesamt. Hinzu kommt, dass die Steuerung durch am Bildschirm die Assoziation zu Videospielen weckt, und dass die automatische Aufklärung durch Kamera und Software als ein Schritt hin zur Anwendung tödlicher Gewalt durch autonome, maschinelle Systeme kritisiert wird. Bewaffnete Drohnen haben ein denkbar schlechtes Image, aus guten Gründen.
Die roten Linien der SPD
Die SPD hat deshalb den Einsatz bewaffneter Drohnen in der Vergangenheit stets abgelehnt. Die Frage aber, ob wir mit einem einfachen Nein unserer Verantwortung für die Einsatzkräfte gerecht werden, steht weiter im Raum. Im Koalitionsvertrag wurde deshalb festgelegt, dass die Koalition die Grundfragen erneut einer völkerrechtlichen und ethischen Prüfung unterziehen und danach über eine Vorlage der Bundesregierung getrennt entscheiden solle. Dieser Koalitionsvertrag wurde durch Urwahl von der SPD-Basis mit Zweidrittelmehrheit beschlossen. Für die SPD-Fraktion im 19. Deutschen Bundestag ist er die wichtigste Arbeitsgrundlage.
Auf dieser Grundlage hat das Bundesverteidigungsministerium im Frühsommer einen breit angelegten öffentlichen Diskussionsprozess organisiert. In einer Serie von Online-Veranstaltungen ohne Teilnahmebeschränkungen kamen Fachleute unterschiedlichster Haltung zu Wort: Von überzeugter Befürwortung bis zu schroffer Ablehnung war jede Auffassung dort vertreten. Die SPD Fraktion hat in dieser Phase (unter anderem durch einen Meinungsartikel der Stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Gabriela Heinrich in der „Frankfurter Rundschau“) eine Reihe von Kriterien formuliert, die für uns rote Linien sind.
Kernpunkte sind der kategorische Ausschluss gezielter so genannter extralegaler Tötungen, ein Verbot der autonomen Verwendung dieser Waffen, ihre Führung und Steuerung im jeweiligen Einsatzgebiet durch Personal, das Teil des Einsatzmandates ist, und die Formulierung von Einsatzgrundsätzen (das so genannte „Fachkonzept“), durch die sichergestellt ist, dass die Drohnen nur zum Schutz von Einsatzkräften im Gefecht verwendet werden (also zum Beispiel nicht bei der Verfolgung fliehender Gegner, die nicht mehr an einem Gefecht teilnehmen).
Der Einsatz liegt in der Hand des Bundestags
Unsere Forderungen stießen auf erheblichen Widerstand bei der Union, die sie für überflüssig hält. Dennoch fanden sie in vollem Umfang Eingang in den Abschlussbericht des Verteidigungsministeriums und sind inzwischen Konsens in der Koalition. Dieser Bericht wurde am 5. Oktober auf Antrag der SPD in einer parlamentarischen Anhörung abschließend noch einmal ausführlich beraten und geprüft.
Der von der SPD benannte Sachverständige, der Potsdamer Völkerrechtler Andreas Zimmermann, sah keine völkerrechtlichen oder ethischen Hindernisse für die Verwendung von Drohnen zum Schutz der Einsatzkräfte. Er betont vor allem den Primat der Politik: Letztlich hat es der Bundestag in der Hand, welchem Mandat er zustimmen will. Der Einsatz bewaffneter Drohnen liegt – wie der Einsatz der Bundeswehr insgesamt – letztlich in der Hand der Volksvertretung.
Die Bundeswehr hat Anspruch auf unser Vertrauen
Der im Koalitionsvertrag vorgesehene Diskussionsprozess ist damit abgeschlossen. In Politik und Gesellschaft geht er natürlich weiter, und das ist auch gut und richtig so. Der ablehnende Beitrag der AG 60+ auf vorwärts.de ist ein Teil dieser Debatte. Er geht aber von Verallgemeinerungen aus, die mit dem aktuellen Stand der Diskussion so gut wie keine Berührung mehr haben.
Im Ergebnis wird deutlich: Durch unsere klare Haltung haben wir ein Konzept für den Einsatz bewaffneter Drohnen durchgesetzt, dem auch SPD-Mitglieder guten Gewissens zustimmen können – und sollten. Jede Waffe kann missbraucht werden, auch die Drohne. Aber die Bundeswehr als Armee des Grundgesetzes hat im 66. Jahr ihres Bestehens Anspruch auf unser Vertrauen. Sie setzt ihre Fähigkeiten verantwortungsvoll ein: Das hat sie in Auslandseinsätzen und bei der Amtshilfe im Inland bewiesen. Und durch unsere Vorgaben haben wir auch potenziellem Missbrauch einen Riegel vorgeschoben. Die SPD Fraktion kann und wird darüber wachen, dass sie eingehalten werden.
Unter diesen Bedingungen dürfen wir denjenigen, die wir mit gefährlichem Auftrag in einen Auslandseinsatz wie die Friedensmission in Mali schicken, den Schutz durch eine bewaffnete Aufklärungsdrohne nicht vorenthalten. Wir sind es, die das Mandat erteilen. Wir müssen unserer Verantwortung für die Sicherheit der Einsatzkräfte gerecht werden. Eine vertretbare Alternative wäre es nur, solche Einsätze nicht mehr zu mandatieren. Wenn wir aber diese Entscheidung treffen, stellt sich die Frage der deutschen Mitverantwortung für Frieden und Stabilität in unserer unruhigen Welt noch einmal auf einer ganz anderen, höheren Ebene.
ist Sprecher der AG Sicherheits- und Verteidigungspolitik der SPD-Bundestagsfraktion.