Wertschätzung Fehlanzeige: Caritas beleidigt das Pflegepersonal
Florian Gaertner/photothek.net
Der Tarifvertrag von ver.di und BVAP löse nicht die Frage der Finanzierung. So wird Norbert Altmann in einer Pressemitteilung der Caritas zitiert. Er ist in der arbeitsrechtlichen Kommission der Sprecher der Dienstgeberseite – die Kommission ist das Gremium aus Arbeitgeber- und Nehmer*innen des katholischen Wohlfahrtsverbands Caritas, das eine allgemeinverbindlicher Tarifvertrag in der Pflege hätte zustimmen müssen, den die Gewerkschaft ver.di und mit einem Teil der Arbeitgeber*innen ausgehandelt hatte – und der nun an der Caritas gescheitert ist.
Altmanns Satz muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Grundsätzlich hat Altmann nämlich tatsächlich recht. Sollte in den Pflegeeinrichtungen der Caritas das Personal durch den neuen Vertrag besser bezahlt werden, entstehen für die Caritas natürlich erstmal höhere Kosten – von Seiten der Caritas ist die Rede von rund zwei Milliarden Euro. Kosten, die an anderer Stelle wieder ausgeglichen werden müssten – entweder durch höhere Einnahmen oder Sparen an anderer Stelle.
Wertschätzung sollte über Finanzierung stehen
Allerdings: Ein Tarifvertrag muss und kann diese „Frage der Finanzierung“ gar nicht beantworten. Es geht in einem Tarifvertrag erstmal schlicht darum, wieviel Geld die Menschen, die in den Seniorenheimen, den Pflegeeinrichtungen, arbeiten, für ihre Arbeit erhalten. Und da es um die ganze Pflegebranche geht: Es geht darum, wieviel uns als Gesellschaft die Pflege unserer Angehörigen wert ist.
Dass ausgerechnet die Caritas, als kirchlicher, katholischer Wohlfahrtsverband – Caritas heißt übrigens „Nächstenliebe“ – diese Wertschätzung als „Finanzierungsfrage“ abwiegelt, lässt tief blicken. Da ist es dann schon fast zweitrangig, dass die kirchlichen Wohlfahrtsverbände mit ihrem Sonderweg bei den Gehaltsverhandlungen ohnehin seit Jahren in der Kritik stehen.
Natürlich muss die Frage geklärt werden, wer die höheren Kosten in der Pflege wie schultert. Natürlich darf das – wie von der Caritas befürchtet – nicht allein über die Beiträge der Pflegebedürftigen oder ihrer Angehörigen abgedeckt werden. Natürlich ist ein Tarifvertrag nur eine Stellschraube in einem ganz großen System, das an vielen Stellen reformbedürftig ist.
Rolle rückwärts statt ein Schritt vorwärts
Das ist aber keine Entschuldigung dafür, dass die erste Stellschraube, an der hätte gedreht werden können, nicht genutzt wird. Die Gewerkschaft ver.di und immerhin ein Teil der Arbeitgeber*innen hatten nach langer Verhandlung endlich einen Konsens, der für viele Beschäftigte eine Verbesserung bedeutet hätte – nach einem Jahr Pandemie, in der vor kurzem noch gerade für die Beschäftigten in der Pflege auf den Balkonen geklatscht wurde. Doch diese Wertschätzung ist nicht viel Wert, wenn sie sich nicht in besseren Arbeitsbedingungen oder mehr Geld auf dem Konto niederschlägt.
Der allgemeinverbindliche Tarifvertrag hätte dabei sicherlich nicht jedes Problem gelöst oder für alle eine signifikante Verbesserung bedeutet. Auch die Caritas beansprucht für sich, dass sie ihr Personal besser behandelt und bezahlt als andere, ja sogar höher als in dem ausgehandelten Tarifvertrag vorgesehen.
Trotzdem: Der allgemeinverbindliche Tarifverträg wäre ein richitger Schritt in die richtige Richtung für die gesamte Branche gewesen. Und es hätte langfristig vielleicht auch bedeutet, dass mehr Menschen eine Ausbildung in der Pflege in Betracht ziehen. Der Pflegenotstand ist vielleicht in den vergangenen Monaten etwas aus dem Blick geraten, aber verschwunden ist er nicht. Nach wie vor suchen viele Pflegeheime, Kliniken und andere Einrichtungen händeringend nach qualifiziertem Personal.
Wieviele der 62 Menschen, die in der arbeitsrechtlichen Kommission der Caritas für oder gegen den Tarifvertrag Pflege gestimmt haben, ist nicht bekannt. Die Sitzung tagte geheim. Unterm Strich bleibt aber hängen: Die Caritas, ein christlicher Verband, Arbeitgeber für viele tausende Menschen, hat am Donnerstag bewiesen, was am Ende des Tages für sie wichtiger ist: Die Frage der Finanzierung. Nicht die Wertschätzung für ihr Personal.