Meinung

Wenn Mitbestimmung missachtet wird: Das sind die Vorschläge der IGBCE

Unser Verständnis von Mitbestimmung verändert sich, bisweilen wird es mit Füßen getreten. Continental ist leider nur ein Beispiel – wenn auch ein besonders krasses. Die Missachtung eines politischen Konsenses darf nicht ohne Antwort bleiben. Ein Gastbeitrag.
von Michael Vassiliadis · 11. Dezember 2020
Michael Vassiliadis, Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE).
Michael Vassiliadis, Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE).

Die Mitbestimmung der Arbeitnehmenden ist hart erkämpft worden und in zahlreichen gesetzlichen Regelungen verankert. Sie hat sich bewährt. Die gesetzlichen Regelungen sind wesentliche Eckpfeiler der Kooperation und Sozialpartnerschaft. Viele schwierige Krisen konnte Deutschland besser bewältigen als andere Länder. Hier sind beispielsweise die Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 und die aktuelle Pandemie zu nennen. Darüber hinaus hat die Unternehmensmitbestimmung regelmäßig gewährleistet, dass die vielen strategischen Neuausrichtungen der Unternehmen in dieser Zeit sozial verträglicher und mit größerem Erfolg für die Wirtschaft und auch für die Gesellschaft gestaltet werden konnten.

Allerdings erleben wir gerade, dass sich unser Verständnis von Mitbestimmung zunehmend verändert, sogar bisweilen mit Füßen getreten wird. Diese Missachtung eines politischen und gesellschaftlichen Konsenses darf aus unserer Sicht nicht ohne Antwort bleiben. Hier ist der Automobilzulieferer Continental leider nur ein Beispiel – wenn auch ein besonders krasses. Gerade weil wir uns im Prozess einer umfassenden Transformation unseres Produktionsmodells befinden, brauchen wir bessere Rahmenbedingungen, um diesen Veränderungsprozess sozialer und demokratischer gestaltet zu können.

Unser Verbesserungsvorschlag

Die Unternehmensmitbestimmung sieht aktuell die Option eines Doppelstimmrechts des Aufsichtsratsvorsitzenden bei nicht anders lösbaren Konfliktfällen vor und ist damit ein operatives Machtinstrument der Anteilseignerseite (häufig reicht hier schon die Androhung). Das muss aus unserer Sicht reformiert werden.

Wir schlagen deshalb vor, Geschäfte zu definieren, die aufgrund ihrer weitreichenden Bedeutung einer zwingenden, nicht durch Geschäftsordnung per Mehrheit zu verändernder Zustimmung des Aufsichtsrates bedürfen: Rechtsformänderungen, Sitzverlagerungen ins Ausland, Unternehmensverkäufe, Merger, Übernahmen, Werkschließungen und Massenentlassungen.

Gegen die Stimmen der Mehrheit der Arbeitnehmervertreter*innen im Aufsichtsrat sollten diese Themen im Aufsichtsrat nicht abschließend behandelt werden können. Im Konfliktfall sollen mit Hilfe eines neutralen Schlichters und eines Mediationsverfahrens Lösungen gefunden werden. Eine Entscheidung des Aufsichtsrates gegen den Schlichtungsvorschlag sollte eine Zwei-Drittel-Mehrheit sowie eine zu dokumentierende Begründung erfordern.

Gestalten und steuern durch Mitbestimmung

Wir sollten die Unternehmensmitbestimmung als ein Steuerungsinstrument verstehen und stärken, dass der Umgestaltung der Unternehmenslandschaft und der Arbeitswelt in der digitalen und klimapolitischen Transformation Orientierung gibt. Dieser seit den Anfängen der Industrialisierung größte Umbau der Wirtschaft verlangt eine angemessene Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Es braucht eine Ergänzung des unzweifelhaft nötigen betriebswirtschaftlichen Kalküls – überall dort, wo in den Unternehmen die strategischen Entscheidungen fallen, die nicht nur die Zukunftschancen der jeweiligen Belegschaften, sondern ganzer Regionen entscheidend bestimmen.

Eine Weiterentwicklung der Mitbestimmung hilft den vielen Unternehmen, die sich in und mit der Mitbestimmung erfolgreich aufstellen. Denn hier zeigt die tägliche Praxis, wie es richtig und besser geht. Eine Neuregelung zwingt aber diejenigen, die sich leichtfertig entziehen wollen, zur bewährten Ordnung zurückzukehren.

Wir kennen eine ähnliche Situation bereits aus unseren Erfahrungen mit der Tarifbindung. Zunächst waren es nur einzelne und durchaus kritisierte Unternehmen, die sich der Tarifbindung entzogen haben. Heute ist die Mehrheit der Beschäftigten nicht mehr tarifgebunden. Viele brauchen gar die Hilfe staatlicher Lohnsetzung. Das ist keine gute Entwicklung.

Mitbestimmung, Mitgestaltung und Mitverantwortung

Unser Vorschlag ist ein Angebot an die Politik, aber auch an die Unternehmen und Anteilseigner*innen, unsere bewährte Kooperation in Zeiten des stürmischen Wandels zu stabilisieren und qualitativ fortzuentwickeln. Wir wollen unser Modell von Mitbestimmung, Mitgestaltung und Mitverantwortung der Arbeitnehmer*innen zukunftsfest machen.

Darüber hinaus haben wir ausreichende Erfahrungen in der Montanmitbestimmung, deren Regelungen weitreichender sind und die unser grundsätzliches Ziel und Leitbild bleibt. Aktuell geht es nun aber um drängende, unabdingbare qualitative Anpassungen, die wir als sehr pragmatische, umsetzbare und zukunftsweisende Vorschläge verstehen.

MIchael Vassiliadis nimmt am Samstag als Speaker beim Debattencamp der SPD teil bei dem Thema: „Lost in Transformation? Wirtschaftsdemokratie!“

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Michael Vassiliadis, Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie (IGBCE).
Michael Vassiliadis

ist Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie (IGBCE).

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