Was die SPD von ihren erfolgreichen Kommunalpolitikern lernen kann
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Jeder dritte Erstwähler hat bei der Europawahl die Grünen gewählt, jeder zehnte die Satirepartei „Die Partei“. Die SPD erhielt in dieser Gruppe gerade mal sieben Prozent. Bei den Unter-30-Jährigen sind die Zahlen ähnlich. Die SPD hat aus Sicht der überwältigenden Mehrheit gerade der jungen Menschen keine Antworten auf die Zukunftsherausforderungen unserer Welt. Das Problem ist strukturell und in zahlreichen Ländern Europas seit Jahrzehnten verankert.
Die Lehren der Kommunalpolitik
Ein nahezu gegenteiliges Bild zeigt sich auf kommunaler Ebene. Die SPD stellt die meisten Oberbürgermeister und ist in zahlreichen Großstädten an der Regierung beteiligt. Natürlich sind die Rahmenbedingungen in der Kommunalpolitik andere als auf Landes- oder Bundesebene. Kommunalpolitiker sind in der Regel vor ihrem Wahlkampf nicht oder kaum bekannt. Sie sind ein „unbeschriebenes Blatt“, in das Hoffnungen gesetzt werden können. Die mediale Präsenz – und damit auch die Gefahr für kommunikative Fehler – ist geringer. Erfolgreiche Sachpolitik ist zudem in der Gemeinde ein wesentlicherer Erfolgsfaktor als in der stärker diskursiv geprägten Bundespolitik.
Es wäre jedoch falsch, die sozialdemokratischen Erfolge in den Kommunen auf diese Faktoren zu reduzieren. Denn in den Kommunen gelingt es SPD-Politikern weitaus besser, eine politische Linie mit Glaubwürdigkeit zu verbinden. Hieraus lassen sich Lehren für andere politische Ebenen ziehen, denn die Politik in den Großstädten hat einen ausgeprägten diskursiven Charakter und ist darum mit landes- und bundespolitischen Prozessen vergleichbar.
Was Frankfurt besser macht
Als Fallbeispiel kann Frankfurt am Main dienen. Die Stadt ist in den vergangenen zehn Jahren viel stärker gewachsen als zunächst angenommen. Mittlerweile leben mehr als 750.000 Menschen in der Mainmetropole. 53 Prozent der Bevölkerung haben einen Migrationshintergrund. Nach Jahren schwarz-grüner Regierungen begann mit dem Wahlsieg des Sozialdemokraten Peter Feldmann bei der Oberbürgermeisterwahl 2012, der im vergangenen Jahr mit einer überwältigenden Mehrheit von mehr als 70 Prozent wiedergewählt wurde, und der anschließenden Regierungsbeteiligung der SPD seit 2016 eine spürbar veränderte, nämlich sozial-ökologischere Politik, vor allem in den SPD-geführten Ressorts Planen und Wohnen, Verkehr, Kultur und Wissenschaft sowie Integration und Bildung.
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Sozial- und Umverteilungspolitik: Mit einer klaren sozialpolitischen Ausrichtung hat die Frankfurter SPD in einer schwarz-rot-grünen Regierung dafür gesorgt, dass die Mietensteigerungen in den größten öffentlichen Frankfurter Wohnungsbaugesellschaften gestoppt werden, Kinder und Jugendliche kostenlos Museen und Schwimmbäder nutzen können, die Kosten für ÖPNV-Tickets erstmals in der Geschichte des Rhein-Main-Verkehrsverbunds (RMV) gesenkt wurden und Kindertagesstätten kostenfrei geworden sind. In der Summe spart eine vierköpfige Familie mittleren Einkommens bis zu mehreren hundert Euro pro Monat. Eine Ausweitung der Jugendhilfe in der Schule und die bildungspolitische Strategie, Schulen gerade in sozio-ökonomisch schwachen Stadtteilen zu schaffen, stärken zudem das Ziel der Chancengleichheit von Anfang an.
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Nachhaltigkeit und Klimaschutz: Während unter einem grünen Verkehrsdezernenten der Radwegeausbau kaum vorankam, werden diese nun in der ehemaligen Autostadt mit einem riesigen Investitionsprogramm ausgebaut. Ein integriertes Stadtentwicklungskonzept führt die soziale Frage des Wohnungsbaus mit der ökologischen Frage des Grünflächenausgleichs zusammen. Die autofreie Innenstadt wurde erstmals vom SPD-Parteivorsitzenden Mike Josef ins Spiel gebracht.
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Klare Haltung gegen Rassismus und Ausgrenzung: Eine sozialdemokratische Partei, die eine glaubhafte Sozial- und Umverteilungspolitik für alle Menschen betreibt, muss an anderer Stelle auch nicht wanken, wenn es um eine klare Haltung gegen Rassismus, Diskriminierung und Gewalt geht. Und so ist der Frankfurter Oberbürgermeister auch bekannt dafür, bei jeder sich bietenden Gelegenheit darauf zu verweisen, dass Ausgrenzung und Menschenfeindlichkeit in Frankfurt keinen Platz haben. Es ist Beschlusslage der Frankfurter SPD, die Stadt zu einem „sicheren Hafen“ zu erklären. Der Beschluss wurde von den etwa 300 Delegierten einstimmig gefasst. Während das bis 2016 von den Grünen ehrenamtlich geführte Integrationsdezernat eher am Rande des politischen Einflusses agierte, investiert eine hauptamtliche Integrationsdezernentin der SPD gerade massiv in die soziale Infrastruktur und Räume für alle, die sich im Bereich Integration und Vielfalt engagieren.
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Moderne und transparente Strukturen und zivilgesellschaftliches Engagement: Offenheit und Bürgernähe, aber vor allem Offenheit für neue zivilgesellschaftliche Bewegungen sind ein weiteres Erfolgsrezept, das in Frankfurt gelebt wird. Auf den Kommunalwahllisten sind immer häufiger auch Nichtmitglieder vertreten. In Großstädten, so auch in Frankfurt, werden Bürgerbewegungen aber nicht als Bedrohung, sondern als Chance, als Rückenwind für die eigene sozial-ökologische Politik begriffen. Vertreter halten Grußworte auf SPD-Parteitagen, werden in Vorstandssitzungen eingeladen und verhandeln mit den wichtigsten Fachpolitikern und Amtsträgern über gemeinsame Positionen – mit realen Konsequenzen.
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Standhaftigkeit auch gegenüber Konzerninteressen: Das alles führt zu einer menschen- und klimagerechten Politik. Eine Politik, die sich sicher sein kann, die Mehrheit der Gesellschaft zu vertreten. Eine Politik, die sich auch großen Konzernen, in Frankfurt zum Beispiel der Fraport AG, in den Weg stellt, wenn es darum geht, die Menschen vor ungesundem Wachstum zu schützen. Denn klar ist: Auch wer für Fraport arbeitet kann aus eigenem Interesse oder aus Gründen der sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit für mehr Schutz vor Fluglärm eintreten.
Welche Lehren lassen sich nun aus dieser erfolgreichen politischen Linie ziehen? Einige meinen, die SPD müsse sich entscheiden, wen sie vertreten möchte. Entweder die, die von den aktuellen Entwicklungen voraussichtlich profitieren oder jene, die sich in ihrer Existenz bedroht sehen. Die SPD solle also den gesellschaftlichen Zusammenhalt aufgeben, die gesellschaftliche Spaltung akzeptieren.
Eine solche künstliche Trennung gesellschaftlicher Gruppen ignoriert, dass es gesellschaftliche Megatrends und Herausforderungen gibt, die nahezu alle Menschen nahezu weltweit – vor allem aber in Europa – miteinander verbinden und die im Kern Fragen der sozialen Gerechtigkeit sind. Der Klimawandel ist die wohl spürbarste Herausforderung. Unseren Planeten zu schützen und das durch ökologische und soziale Ausbeutung möglich gemachte Wachstum in natürliche und nachhaltige Bahnen zu lenken, ist eine Frage der Gerechtigkeit.
Bürgernahe Politik mit klarer Haltung
Nur wenn die SPD versteht, dass Nachhaltigkeit ein übergeordnetes Prinzip, eine verbindliche Richtschnur sein muss, werden auch politische Unterschiede zu anderen Parteien wieder deutlich. Denn dann kann endlich wieder entlang sozialdemokratischer Themensetzung diskutiert werden: Wer zahlt für Klimaschutz? Wie schaffen wir politische Rahmenbedingungen und Strukturen, die den einzelnen Menschen entlasten, anstatt den Zeigefinger zu heben und Besserverdienende zu bevorteilen? Inwiefern dient Umverteilung der Ressourcenschonung?
In den Kommunen schafft es die SPD, diese Themen zusammenzudenken. Und es gelingt, diese Herausforderungen als Fragen der sozialen Gerechtigkeit zu bearbeiten. Denn den ÖPNV auszubauen und günstiger zu machen ist beides: sozial gerecht und ökologisch nachhaltig. Auch gegen Bürgerproteste um Wohnraum, insbesondere sozialen, zu schaffen und diesen nach ökologischen Faktoren auszurichten, ist sozial und nachhaltig.
Glaubhafte, bürgernahe, sozial-ökologische Politik mit klarer Haltung und einem positiven Zukunftsbild bedeutet:
- Eine konsequente soziale Politik, die ökologische Verantwortung als Voraussetzung begreift.
- Umweltschutz und Ressourcenschonung müssen genau wie Friedenspolitik übergeordnete Prinzipien sozialdemokratischer Politik sein. Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität und Nachhaltigkeit sind die Grundwerte einer Partei der sozialen Gerechtigkeit im 21. Jahrhundert.
- Öffnung für soziale Bewegungen und mehr Bürgerbeteiligung, um diese Anliegen politisch-programmatisch zu übersetzen.
- Eine radikal antirassistische und antinationalistische Politik ohne Kompromisse. Wer die Bevölkerung nicht im Stich lässt, kann auch selbstbewusst für die Akzeptanz und Unterstützung von Flüchtlingen und Einwanderern eintreten. Die sozialpolitischen Versäumnisse der Vergangenheit haben nicht nur zu einem Vertrauensverlust, sondern auch zu einem unsouveränen Wanken der SPD gegenüber Pegida und der AfD geführt.
- Rückgrat auch in Verhandlungen mit Konzernen. Es gilt das Primat der Politik. Menschen haben vielfältige Interessen, die auch nicht zwingend identisch sind mit denen ihrer Arbeitgeber.
Jan Pasternack ist SPD-Mitglied in Frankfurt und dort Referent im Integrations- und Bildungsdezernat der Stadt.