Was die SPD aus der Präsidentschaftswahl in den USA lernen kann
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Die Wahl Joe Bidens zum 46. Präsidenten der USA war ein Generationen-Ereignis – gerade die Anhänger*innen progressiver Parteien hoffen nach den düsteren Trump-Jahren auf einen politischen Sonnenaufgang in den USA mit auch internationaler Strahlkraft. Was also kann die SPD lernen vom historischen Wahlsieg Joe Bidens für die Bundestagswahlen im nächsten Jahr?
Die soziale Spaltung in den USA ist groß
Die gute Nachricht ist: Der President Elect Biden hat bereits angekündigt, wichtige Themen der progressiven Agenda zu seiner Politik zu machen – allen voran das Mega-Thema Klimaschutz und den Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung in den USA. Aber Joe Bidens Versprechen, die amerikanische Gesellschaft zu heilen, geht über Nachhaltigkeit und Diversität hinaus: Denn tatsächlich ist die soziale Spaltung der USA einer der tiefsten Gräben der amerikanischen Gesellschaft.
Die Corona Krise hat diese Bruchlinien nochmals schmerzhaft deutlich gemacht: Amerika hat in der Pandemie nicht nur mehr als 240.000 Todesfälle zu beklagen, sondern wurde auch mit einer explodierenden Arbeitslosigkeit konfrontiert. Das Land zahlt einen hohen Preis dafür, dass es deutlich weniger investiert hat in sein Gesundheitssystem und einen funktionierenden Sozialstaat. Gleichzeitig fühlen sich viele Industrie-Regionen alleingelassen mit einem teilweise brachialen Strukturwandel und seinen dramatischen sozialen Folgen.
Den Stimmenanteil bei Schwarzen Latinos gesteigert
Die anstrengende Nachricht ist: Trotzdem haben mehr Menschen denn je Donald Trump gewählt. 2020 waren es mehr als 70 Millionen Wählerinnen und Wähler – das sind fast sieben Millionen Stimmen mehr als vor vier Jahren. Nach wie vor hat Trump gute Ergebnisse in den sozial schwachen Regionen des Landes erzielt, stimmten vier von zehn Gewerkschafter*innen für den Amtsinhaber, konnte er seinen Stimmenanteil bei schwarzen Wählerinnen und Wählern und Latinos sogar steigern.
Für den Erfolg von Joe Bidens Präsidentschaft wird es also maßgeblich auch darauf ankommen, inwiefern es ihm gelingt, die sozialen Aspekte seiner progressiven Agenda umzusetzen. Dazu will er die großen Lebensrisiken Krankheit und Arbeitslosigkeit besser absichern, den Mindestlohn erhöhen, in bezahlbaren Wohnraum und Bildung investieren. Nicht zuletzt soll eine stärkere Wirtschaft für Arbeit und Wohlstand sorgen.
Auch in Deutschland wird der soziale Zusammenhalt schwächer
Für die strategische Ausrichtung der SPD im kommenden Bundestagswahlkampf ist das ein zentraler Befund. Denn bei allen Unterschieden über den Atlantik hinweg, stellen sich auch in Deutschland in vielerlei Hinsicht ähnliche gesellschaftliche Fragen. Auch bei uns lässt sich beobachten, dass unsere Gesellschaft sich wieder stärker auseinanderentwickelt und der soziale Zusammenhalt schwächer wird.
Die Corona Krise zwingt auch uns genau hinzuschauen, was in unserem Land schiefläuft: Dazu gehört, dass gerade die Menschen, die das Land zusammenhalten, unglaublich viel leisten, aber nur wenig bekommen: Es geht um Supermarktkassierer*innen, Pflegekräfte oder Paketzusteller*innen – die frontline workers, wie sie in Amerika heißen. Während der Pandemie haben sie viele Schulterklopfer erhalten – aber was ihnen wirklich helfen würde, wären endlich eine deutlich bessere Bezahlung und eine ordentliche Rente.
Wir müssen eine Debatte über den Wert der Arbeit führen
Mit der Einführung der Grundrente haben wir als SPD ein klares Signal gesetzt: Lebensleistung verdient Respekt. Wir müssen in Zukunft in Deutschland wieder viel stärker eine Debatte über den Wert der Arbeit führen und wie faire Bezahlung finanziert werden kann – zumal für die Berufe, die für unsere Gesellschaft unersetzlich sind. Dazu brauchen wir eine bessere Tarifbindung genauso wie höhere Mindestlöhne.
Gleichzeitig droht die Pandemie auch die berufliche Existenz vieler Menschen zu vernichten. Die geschlossenen Lokale, abgesagte Aufführungen und ausfallende Events bedrohen viele Jobs ganz unmittelbar, ebenso die Existenzgrundlage für viele Studierende.
Anders als in Amerika haben wir in Deutschland die Spielräume einer aktiven Arbeitsmarktpolitik genutzt, um Massenarbeitslosigkeit zu verhindern. Während in den USA durch Corona die Arbeitslosigkeit dramatisch gestiegen ist, konnten wir durch die Kurzarbeit Millionen Arbeitsplätze erfolgreich schützen.
Corona als Beschleuniger des Strukturwandels
Nicht zuletzt wirkt die Corona-Krise wie ein Brandbeschleuniger für den Strukturwandel in den Kernbereichen der deutschen Industrie. Der Anpassungsdruck durch neue Technologien und Wettbewerber, aber auch vor dem Hintergrund der Klimaschutz-Ziele ist enorm gewachsen und fordert Schlüsselbranchen wie den Automobilbau massiv heraus. Gleichzeitig greift die Digitalisierung tief ein in unser Berufsleben, ist das Homeoffice durch die Corona-Krise für viele zur neuen Normalität geworden, für die wir auch neue Spielregeln brauchen.
Deswegen müssen vor allem die Beschäftigten in den Branchen, die besonders der Transformation ausgesetzt sind, immer wissen, dass die Sozialdemokratie ihre Interessen vertritt, dass man sie nicht hängen lässt und gemeinsam den Übergang gestaltet.
Eine aktive Wirtschafts- und Industriepolitik, die Förderung wirtschaftlicher Innovationen, Weiterbildung und Qualifizierung sind die Instrumente, die wir jetzt brauchen, um diesen Wandel der Arbeit zu flankieren und unseren Wohlstand zu sichern. Denn anders als in den USA müssen wir verhindern, dass aus Strukturwandel Strukturbrüche werden, so wie sie die Menschen im amerikanischen rustbelt erlebt haben.
Für die Sozialdemokratie liegt hier die zentrale strategische Herausforderung für das Wahljahr 2021: Wir wollen eine solidarische Allianz anführen, die Brücken baut in einer immer vielfältigeren Gesellschaft: Es geht um eine moderne Gesellschaftspolitik genauso wie um die Voraussetzungen für Wohlstand und soziale Sicherheit. Das ist progressive Politik.