Warum wir gerade in der Krise die Gleichberechtigung verteidigen müssen
imago images/photothek
Jahr für Jahr erinnert der „Gender Pay Gap“ daran, dass Frauen in Deutschland deutlich weniger verdienen als Männer. Einer der Hauptgründe ist dafür nach wie vor das traditionelle Familienbild: Frauen kümmern sich um die Kinder, stehen am Herd, kümmern sich ums Haus. Das führt zu Teilzeitjobs, Auszeiten, weniger Gehalt, kürzeren Karrieren – immer noch.
So bekannt, so altbacken ist dieses Frauenbild, dass es schmerzt den Rückfall in der Corona-Pandemie zu erleben. Die „traditionelle“ Arbeitsteilung, sie kehrte im ersten Lockdown im Frühling wieder zurück in viele Haushalte. Zwar verkürzten auch Väter ihre Arbeitszeiten, doch Mütter mussten offenbar zu oft noch viel stärker auf die Bremse treten. Wollten wir in 2020 nicht eigentlich schon viel weiter sein?
Das Problem ist die Einstellung, nicht das Virus
Im Frühling, als Kitas und Schulen in Deutschland erstmals komplett geschlossen waren, fiel die Arbeitszeit zwischen Männern und Frauen wieder weiter auseinander: Arbeiteten vor der Pandemie Frauen in der Regel fünf Stunden weniger als die Männer, waren es im April schon sechs Stunden. Das ergab eine Befragung des WSI, die die Hans-Böckler-Stiftung noch vor Jahresende veröffentlichte. Tausende Befragte gaben im November Auskunft zu ihrem Arbeitspensum und ihrer Arbeitsteilung in den vergangenen Monaten.
Dabei sollte man sich nicht der Illusion hingeben, dass ein Virus die Köpfe in allen Familien verdreht hat und sie deswegen wieder zu überholten Weltbildern zurückkehren. Nein, die traditionelle, konservative Rollenverteilung – die Frau schmeißt den Haushalt, der Mann arbeitet an Karriere und Gehalt – ist immer da gewesen, sie war nie weg. Jetzt tritt sie nur wieder deutlicher zutage, wenn es in den Familien um hop oder top geht: „Gehst du weiter arbeiten oder ich?“ Und auch wenn es oft die pragmatische, finanziell vernünftige Entscheidung ist: Oft ist es eben dann wieder die Frau, die zurücksteckt oder zurückstecken muss.
Kampf um Gleichberechtigung um Jahre zurückgeworfen
Binnen weniger Wochen wurde so der Kampf in der Arbeitswelt um Gleichberechtigung wieder um Jahre zurückgeworfen – und auf diesem Level bewegen wir uns offenbar immer noch. Denn bis zum „Lockdown light“ im Herbst wurde dieser Rückstand bei den Arbeitszeiten nicht wieder aufgeholt. Obwohl – zumindest auf dem Papier – Kitas und Schulen wieder regulär geöffnet waren, verfestigte sich der Unterschied, als ob es nie anders gewesen wäre.
Dafür könnte es zwei Gründe geben, auf die auch das WSI hinweist: Zum einen mussten im Sommer und Herbst Nachwuchs oder ältere Angehörige betreut werden, wenn es lokale Corona-Ausbrüche in Kitas oder Pflegeheimen gab. Zum anderen arbeiteten zu Beginn des zweiten Lockdowns wesentlich weniger Menschen im Home Office als im Frühling: 14 zu 27 Prozent laut Befragung. Dabei liegt es auf der Hand, dass Nachwuchs-Betreuung und Beruf besser zusammengehen, wenn beides zuhause stattfinden kann. Es wäre zumindest für die Dauer der Pandemie eine Zwischenlösung, wenn auch keine dauerhafte.
„Einmal reduziert, immer reduziert“
WSI-Direktorin Bettina Kohlrausch vermutet, dass der Rückstand der Frauen im zweiten Lockdown sogar noch angewachsen sein könnte. Außerdem vermuten die Forscher*innen, dass die Frauen, die kurzfristig ihre Arbeitszeiten reduzierten, diese nicht genauso schnell wieder anheben konnten – sonst hätten sie das vermutlich in den Sommermonaten getan. „Es besteht die Gefahr, dass manche Arbeitgeber sagen: Einmal reduziert, immer reduziert“, heißt es in der Schlussfolgerung.
Das ist ein inakzetabler Zustand in einer Gesellschaft, die sich so häufig die im Grundgesetz verankerte Gleichberechtigung betont. Deswegen muss es die Aufgabe der Politik sein, den Kampf für die Gleichberechtigung schnellstmöglich wieder aufzunehmen. Der Rückfall in traditionelle Rollenbilder ist Gift für diesen Kampf, das schnellstmöglich neutralisiert werden muss. Doch im Gegensatz zum Coronavirus, das nun mit einem Impfstoff zurückgedrängt werden kann, ist es schwieriger, dafür ein Gegenmittel zu finden.
Wichtige Bausteine: Home Office und Frauenquote
Dabei gibt es einzelne Bausteine, an denen bereits gearbeitet wird: Mit einem allgemeinen Recht auf Home Office scheiterte das von Hubertus Heil geführte Arbeitsministerium zunächst an CDU und CSU – doch vom Tisch rutschen darf die Forderung damit nicht. Die Anwesenheitsmentalität ist offenbar zu stark in der deutschen Arbeitswelt verankert, als dass zahlreiche Führungskräfte sie von sich aus ändern wollen – auch das zeigt sich an der Auswertung des WSI. Ein weiterer Punkt ist die Frauenquote in Führungspositionen, für die jüngst von den SPD-Ministerinnen Franziska Giffey und Christine Lambrecht ein Gesetzentwurf ins Kabinett eingebracht wurde. Die Hoffnung: Mit dem Einzug der Frauen in die Führungsetagen könnte ein Umdenken stattfinden, für Probleme sensibilisiert werden, die in der traditionellen Laufbahn des Karriere-Mannes nie vorkamen.
Das Allheilmittel für die Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Arbeitswelt sind beide Bausteine freilich nicht. Aber es sind Punkte, an denen schon jetzt gearbeitet wird und die noch mitten in der Krise vorangetrieben werden können. So kann vielleicht verhindert werden, dass das ohnehin fragile Konstrukt „Gleichberechtigung“ nicht komplett zusammenbricht und wir nach dem Corona-Winterschlaf nicht wieder in der Familien- und Frauenpolitik nach dem Modell der achtziger Jahre aufwachen.