Warum Waffenexporte weiter klare Restriktionen brauchen
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Der Überfall des russischen Militärs, befehligt von Machthaber Wladimir Putin, auf die Ukraine hat zu einer Zeitenwende in der deutschen Außenpolitik geführt. So formulierte es Bundeskanzler Olaf Scholz, auch um direkte Waffenlieferungen von Deutschland ins Kriegsgebiet an die ukrainische Regierung und deren Streitkräfte zu begründen.
Eine Regierung, bestehend aus Sozialdemokrat*innen, Grünen und Liberalen, welche sich in der Vergangenheit wortreich und vehement für eine ‘restriktive Waffenexport-Politik’ oder sogar das klare ‘Verbot von Waffenlieferungen in Krisengebiete’ einsetzten, liefert nun Waffen in ein Kriegsgebiet. Das Ziel der Lieferung an eine Kriegspartei ist klar und sollte dennoch wiederholt werden: Es zeigt die klare Absicht der anderen Kriegspartei mit Hilfe deutscher Rüstungsgüter zu schaden, sprich die Kosten der russischen Invasion zu erhöhen. Bedeutet die Entscheidung der Bundesregierung vom Samstag also einen offenen Bruch mit den parteipolitischen Absichten? Hat die Realpolitik, wie manche Kommentator*innen jetzt schreiben, politisches Wunschdenken oder Ideologien hinweggefegt?
Militärische Beistandshilfe sind keine klassischen Waffenexporte
Es ist grundsätzlich politisch und rechtlich zwischen akuter militärischer Beistand-Hilfe, wie sie Deutschland gerade der Ukraine leistet und Waffenexporten zu unterscheiden. Bei den jetzt beschlossenen Lieferungen handelt es sich um eine Länderabgabe, bei der das Bundesverteidigungsministerium (BMVg) Rüstungsgüter aus Überschussbeständen der Bundeswehr an andere Länder abgibt. Hierbei fungiert das BMVg als zuständige Genehmigungsbehörde nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz. Das zuständige Fachreferat in der Abteilung Ausrüstung im BMVg stimmt sich mit den zuständigen Referaten im Auswärtigen Amt und im Wirtschaftsministerium ab.
Deutschland, und genauso viele weitere demokratische Staaten weltweit, haben sich aufgrund des eindeutigen Völkerrechtsbruch durch Russland, dem völkerrechtlich verbrieften Selbstverteidigungsrecht der ukrainischen Nation und der engen Verbundenheit durch das Teilen von demokratischen Werten dazu entschieden, der Ukraine beizustehen. Dies kann als die vollzogene Anwendung des etwas sperrig zu verstehenden Haltung einer ‘wertegeleiteten Außenpolitik’ verstanden werden.
Diese Außenpolitik zeichnet sich nicht nur durch das Stützen einer regelbasierten internationalen Ordnung aus – konkret die Menschen- und Grundrechte Charta der Vereinten Nationen, sondern auch durch die Verteidigung von Freiheitsrechten, wie wir sie in unserer Demokratie leben und schützen. Das begründet, weshalb deutsche Außenpolitik den gewaltvollen Sturz einer demokratischen Regierung nicht unterstützen sollte, und Staaten deren territoriale Integrität verletzt wird zu ihrem Recht auf Selbstverteidigung verhelfen sollte. In der Vergangenheit wurden diese Ziele mit politischen Verlautbarungen und wirtschaftlichen Sanktionen verfolgt.
Der militärische Beistand, durch akute Waffenlieferungen wie im Falle der russischen Invasion, schließt sich aber hierbei keineswegs aus. Auf die extreme Gewalt und des Bruchs internationaler Verträge ist die akute Unterstützung eine logische Schlussfolgerung. Eine weitere Schlussfolgerung ist die Stärkung der NATO-Ostflanke durch die Entsendung von Bundeswehreinheiten in die jeweiligen Partnerstaaten.
Waffenexporte müssen weiter restriktiv, regelbasiert und strategisch sein
Waffenexporte sind in Deutschland – so die Aussagen der vergangenen Regierungen – immer besonders restriktiv. Ob dies in der Praxis zutrifft, ist umstritten.
Die Frage, die sich eine deutsche Rüstungsexportstrategie stellen sollte, ist wann, wohin und warum sollten deutsche Rüstungsgüter geliefert werden? Rüstung ist die harte Währung internationaler Politik. An den internationalen Reaktionen zur russischen Invasion lässt sich dies gut ablesen. Länder, die in den letzten Jahrzehnten Konsumenten vorwiegend russischer Rüstungsgüter waren, haben sich einer Verurteilung der Invasion enthalten oder verweigert. Die Lieferung von Rüstungsgütern an die Ukraine erlaubt den Ukrainer*innen ihren Widerstand aufrecht zu halten.
Gemeinsam mit dem bewundernswerten Willen zum Widerstand der Ukrainer*innen machen diese Güter einen entscheidenden Unterschied in diesem Konflikt. Die Bundesregierung hat dies erkannt und sich zur Lieferung und zur Freigabe der Lieferung deutscher Rüstungsgüter im Rahmen des akuten militärischen Beistands entschieden.
Gleichzeitig ist es richtig, eine Lieferung deutscher Rüstungsgüter in nicht NATO-, EU- oder gleichgestellten Staaten (z.B. Japan, Australien) grundsätzlich sehr restriktiv zu handhaben und nur unter Auflagen als explizite Ausnahme zu erlauben. Gleichwohl ist es an der Zeit, diese Exporte als Möglichkeit politischer Einflussnahme wahrzunehmen und keinesfalls als rein wirtschaftliche Aktivitäten zu behandeln. Um einen größtmöglichen politischen Einfluss zu erzielen, bedarf es einer kohärenten europäischen Rüstungsexportpraxis, damit sich die Staaten Europas nicht gegenseitig unterminieren. So lieferte nach dem deutschen Exportstopp Spanien weiterhin Rüstungsgüter an Saudi-Arabien, wodurch der Effekt des deutschen Exportstopps verpuffte.
Mehr europpäische Kohärenz erzeugen
Die europäischen Marktanteile auf dem internationalen Rüstungsmarkt sind nicht unerheblich. Weniger Konkurrenz zwischen den europäischen Exportländern bedeutet mehr politische Hebelwirkung, um eine gemeinsame europäische Außenpolitik zu ermöglichen und zu verwirklichen. Daher sind europäische Rüstungsexporte explizit in eine europäische außenpolitische Strategie einzubinden. Das wird umso dringlicher in einer Zeit, in der die Europäische Kommission eine gemeinsame europäische Rüstungsindustrie mit Instrumenten wie dem Europäischen Verteidigungsfond (EVF) fördert.
Realistischerweise wird die Genehmigung des Exports von Rüstungsgütern kurz- bis mittelfristig weiter in der Hand nationaler europäischer Regierungen bleiben. Dennoch gibt es Möglichkeiten mehr europäische Kohärenz zu erzeugen. Der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) sollte regelmäßig anhand eines klaren Kriterienkatalogs einen Bericht über europäische Rüstungsexporte erstellen. Dieser “Naming- and Shaming” Mechanismus würde nationale Regierungen, die sich nicht an den Gemeinsamen Standpunkt der EU halten, in öffentliche Erklärungsnot bringen. Mittel- bis langfristig kann somit mehr Kohärenz in der europäischen Rüstungsexportpraxis hergestellt und eine europäische Außenpolitik gestärkt werden. Die Erweiterung des außenpolitischen Insturmentenkastens der EU durch Rüstungsexporte würde der Gemeinschaft dabei helfen, die Sprache der Macht zu erlernen.
Es gibt gute Gründe für eine restriktive Exportpolitik. Die Verfügbarkeit von Waffen in sich dynamische entwickelnden Krisensituationen kann zur Eskalation beitragen. Genauso ist es politischer Alltag, dass Staaten Ihnen anvertraute und verkaufte Waffen weitergeben und weiterverkaufen – hier zeigt sich die besondere Bedeutung der Überprüfung von Verlässlichkeit und Konflikt-Involvierung von Zielländern im Rahmen der Endverbleibskontrollen. Auch hier kann ein gemeinsamer europäischer Überprüfungsmechanismus für mehr Kohärenz und Effektivität sorgen.
Klare Regeln sind notwendig
Das begründet deutlich, weshalb jede Exportgenehmigung über EU- und NATO-Staaten hinaus von deutschen Waffen und militärischem Material besonderer Prüfung unterliegen muss. Notwendig sind hier klare Regeln, die EU weit abgestimmt, unterstützt und eingehalten werden. Diese sollten weiterhin restriktiver Natur sein und darüber hinaus die Lieferung ausschließen, wenn für den Verbleib der Waffen nicht nachhaltig gebürgt werden kann, noch wenn sich das Zielland offen oder verdeckt an der Unterstützung von Konflikten beteiligt - wie es bei Saudi-Arabien der Fall ist.
Darüber hinaus müssen die Kriterien aber auch endlich strategische europäische Zielsetzungen abbilden. Die Unterstützung von alliierten demokratischen Staaten, über die NATO hinaus, muss möglich sein und wird in Ihrer Relevanz nur steigen. Nachdem Russland den offenen Angriffskrieg für alle sichtbar zurück in den Rahmen des möglichen gebracht hat, werden auch andere Staaten weltweit, sich von autoritären Staaten bedroht fühlen und auch ihre militärischen Abwehr Fähigkeiten nachvollziehbar stärken wollen. Europäische Staaten produzieren eine Vielzahl solcher Waffensysteme, die in den Bereich dieser „anti-access/area denial“ Kategorie fallen und von Staaten zur Souveränitätsverteidigung nachgefragt werden.
Die Kommunikation und Koordination zwischen den Mitgliedsstaaten der EU ist entscheidend für die gewichtige Umsetzung deutscher wertegeleiteter Außenpolitik. Für das deutsche Verständnis muss geworben werden, und genauso müssen wir bereit sein, an einer gemeinsamen europäischen strategischen Außenpolitik mitzuwirken.
Waffenexporte und akute militärische Hilfe schließen sich nicht aus
Deutschland kann, und wie viele Expert*innen gerade empfinden und muss, die Ukraine jetzt unterstützen. Das Recht auf territoriale Integrität kann in diesem bereits vollends eingetretenen Kriegsfall, im Moment der ausschließlichen Politik der Gewalt durch Wladimir Putin, nur noch mit militärischen Mitteln entgegengetreten werden. Hier leistet Deutschland seinen Beitrag. Zugleich steht außer Zweifel das Deutschland und alle europäischen Partner*innen eine diplomatische Lösung und ein Ende der Kampfhandlungen verfolgen – die russische Aggression verhindert dies aber noch.
Zugleich, sollte die Bundesregierung ihre Politik der restriktive Waffenexport Politik in Krisenregionen keineswegs aufgegeben, sondern muss diese sogar glaubhafter, durch klare Regelbasiertheit, weiter verfolgen. Und darüber hinaus, ist es notwendig ein strategisches Denken in deutsche Außenpolitik aufzunehmen, welches Waffenexporte eindeutig miteinschließt, und keinesfalls als Wirtschaftsinteressen oder politisches Randthema behandelt.
ist seit Oktober 2020 Ph.D. Student am John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin. In seiner Forschung befasst er sich mit der Globalisierung der Rüstungsindustrie.