Meinung

Warum über die Ermordung Rosa Luxemburgs noch heute gestritten wird

Rosa Luxemburg engagierte sich ihr Leben lang gegen den Krieg. Die Frage, wer für ihre Ermordung verantwortlich ist, erhitzt auch mehr als 100 Jahre nach ihrem Tod die Gemüter. Die Figur des Volksbeauftragten für Heer und Marine, Gustav Noske, spielt dabei eine zentrale Rolle.
von Tilman Fichter · 8. April 2009
Die politische Verantwortung für die Ermordung Rosa Luxemburgs trägt Gustav Noske, meint der Politikwissenschaftler Tilman Fichter.
Die politische Verantwortung für die Ermordung Rosa Luxemburgs trägt Gustav Noske, meint der Politikwissenschaftler Tilman Fichter.

Rosa Luxemburg verbrachte die längste Zeit ihres politischen Lebens in den Reihen der Sozialdemokraten. Sie war – so Hans-Jochen Vogel am 8. Januar 2009 auf einer Klausurtagung des Parteivorstandes – eine „durchaus sehr eigenwillige Sozialdemokratin“. Mit dem alten August Bebel verband sie ein enges, wenn auch nicht unkompliziertes freundschaftliches Verhältnis. Bebel schätzte offensichtlich ihren blitzgescheiten, theoretisch geschulten Verstand, lehnte aber zugleich Luxemburgs revolutionäre Aufgeregtheiten in der Massenstreikdebatte ab. Mit Bebels Tod am 13. August 1913 verlor die SPD ihren langjährigen „Roten Gegenkaiser“ und Rosa Luxemburg ihren treuen, wenn auch nicht unkritischen Beschützer.

Zäher Kampf gegen die Kriegskredite

Zusammen hatten Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht in der zweiten Hälfte des Jahres 1914 einen zähen Kampf gegen die Bewilligung der Kriegskredite durch die SPD-Reichstagsfraktion geführt. Am 18. Februar 1915 wurde Rosa Luxemburg dann zur „Abbüssung“ einer einjährigen Gefängnisstrafe inhaftiert. Sie war bereits am 20. Februar 1914 vom Frankfurter Landgericht zu dieser „Strafe“ verurteilt worden, weil sie auf einer SPD-Versammlung ausgerufen hatte: „Wenn uns zugemutet wird, die Mordwaffe gegen unsere französischen oder anderen ausländischen Brüder zu erheben, so erklären wir: Nein, das tun wir nicht!“  Dies sei, so das Landgericht, eine Aufforderung an die Arbeiter zum „Ungehorsam“ gewesen. Die Antikriegsaktivistin kam am 22. Januar 1916 kurzzeitig frei, wurde dann aber am 10. Juli 1916 für mehr als zwei Jahre in „Schutzhaft“ genommen und wurde erst am 9. November 1918 entlassen.

Die theoretische Wortführerin der Marxisten in und jenseits der SPD bzw. USPD hatte im April 1916 unter dem Pseudonym „Junius“  in einem Züricher Verlag ihre Schrift „Die Krise der Sozialdemokratie“ gegen die tagtägliche „Massenschlächterei“ an der Front veröffentlicht. Diese Schrift gegen den ersten modernen Massenkrieg wurde – so ihr Freund Paul Frölich in seinem Buch „Rosa Luxemburg. Gedanke und Tat“ – schon bald „zum Rüstzeug“ – tausender Kriegsgegner. Die Kriegstreiber im Generalstab, in der Truppe und an der „Heimatfront“ haben ihr diese polemische Aufklärungsschrift zu den Folgen der „Burgfriedenspolitik“ für die Sozialdemokratie nie verziehen. Für Luxemburg bedeutete die Zustimmung der Mehrheitssozialdemokratie zu den Kriegskrediten letztlich den Verzicht der SPD auf eine „eigene Politik“ gegenüber den Hohenzollern und dem deutsch-preußischen Generalstab.

Luxemburgs Vorwurf an die SPD-Führung

Die SPD-Reichstagsfraktion umfasste damals 110 Abgeordnete. 14 von ihnen stimmten in einer fraktionsinternen Probeabstimmung gegen die Annahme der Kriegskredite. In der öffentlichen Reichstagssitzung am 4. August 1914 hielten sich dann aber alle – auch Karl Liebknecht – zunächst noch an die Fraktionsdisziplin. Die SPD-Parlamentarier glaubten zunächst noch, es handle sich um einen Verteidigungskrieg gegen die Truppen des Zaren, so der unorthodoxe, marxistische Historiker Arthur Rosenberg. Ein Bekenntnis zur Landesverteidigung befand sich durchaus im Einklang mit der marxistischen Geschichtsauffassung. Erst am 3. Dezember 1914 stimmte Karl Liebknecht demonstrativ gegen eine zweite Kriegskreditvorlage. Er lehnte jetzt den „Burgfrieden“ zwischen der SPD und der Obersten Heeresleitung entschieden ab. Die Sozialdemokratie war mittlerweile in dieser Frage tief gespalten und die Parteiorganisation offensichtlich weitgehend gelähmt.

In dieser Konstellation warf Rosa Luxemburg der SPD-Parteiführung in ihrer Junius-Broschüre vor, die Mehrheitssozialdemokratie habe „das Vaterland in der Stunde der größten Gefahr im Stich gelassen“. Denn die erste Pflicht der SPD gegenüber dem Volk wäre es gewesen, den „wahren Hintergrund dieses imperialistischen Krieges zu zeigen“.  Ob die zu diesem Zeitpunkt fast nur noch verbal agierende Parlamentspartei SPD überhaupt noch in der Lage gewesen wäre, angesichts von Ausnahmezustand und Kriegsrecht, mittels außerparlamentarischer Aufklärungsaktionen eine Ausdehnung des Weltkrieges zu verhindern, wage ich allerdings zu bezweifeln: Meines Wissens ist diese Frage nie wirklich ausdiskutiert worden. Zudem war der Organisationspatriotismus der SPD, also die Erhaltung der Organisation, in den Führungsetagen der Partei längst zum höchsten Wert erhoben worden. Das Resultat war ein organisatorisch-politischer Immobilismus, der die SPD dann 1932/33 erneut in eine schwere Niederlage geführt hat.

Zielscheibe des Hasses

Wegen ihrer scharfsinnigen Analysen des Imperialismus sowie des deutsch-preußischen Militarismus und der offensichtlichen Unfähigkeit der Mehrheitssozialdemokratie, das Wesen des ersten modernen europäischen Krieges zu begreifen, wurde Rosa Luxemburg schon bald am Hof, in der Heeresleitung und im Umfeld der Vertreter des „Burgfriedens“ in der SPD-Reichstagsfraktion zu einer bevorzugten Hassfigur. Eine oft auch antisemitisch eingefärbte Hetze gegen die Vordenkerin der winzigen Gruppe von Kriegsgegnern setzte ein: Und als Luxemburg endlich am 8. November 1918 aus dem Gefängnis entlassen wurde und in Berlin am 10. November 1918 ihre Freunde aus der kleinen Spartakus-Gruppe traf, war sie „eine Tote auf Urlaub“ – so Willy Brandt rückblickend in seinem Essay vom April 1989 in der „Neuen Gesellschaft“.

Zur Jahreswende 1918/1919 beschloss die Spartakus-Gruppe dann im Gebäude des Preußischen Landtages (hier tagt heute das Abgeordnetenhaus zu Berlin) die Gründung der KPD. Brandt machte in seinem Essay darauf aufmerksam, dass Luxemburg dort ihre „eigentliche Niederlage“ erlebte: Mit 62 zu 23 Stimmen beschloss der Gründungskongress, und zwar gegen den ausdrücklichen Rat von Luxemburg, sich an den Wahlen zur Nationalversammlung nicht zu beteiligen. Luxemburg – so Brandt – erschien dies wie der „Sieg eines etwas kindlichen, unausgegorenen, engstirnigen Radikalismus“.  Doch Luxemburg fehlte damals der Mut zu einem offenen Nein gegenüber den alten Freunden. Anstatt den Gründungskongress demonstrativ zu verlassen, verstrickte sie sich in die Januar-Kämpfe zwischen den weißgardistischen Desperados der „Garde-Kavallerie- Schützen-Division“, einem Teil des Berliner Proletariats und dem „Volksbeauftragten für Heer und Marine“, Gustav Noske.

Die Verantwortung trägt Gustav Noske

Was in der Nacht vom 15. auf den 16. Januar 1919 in und vor dem Luxushotel „Eden“ wirklich geschehen ist, erforscht der TV-Regisseur Klaus Gietinger seit nunmehr fast 30 Jahren. Im Jahr 2009 veröffentlichte er eine Biografie über der Drahtzieher des Doppelmordes, Hauptmann Waldemar Pabst unter dem Titel  „Der Konterrevolutionär“. Er soll die Erschießung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg befohlen haben – mutmaßlich in Absprache mit Gustav Noske.

Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht hätten vor dem 15. Januar 1919 – so Arthur Rosenberg in seinem Standartwerk „Geschichte der Weimarer Republik“ – Berlin rechtzeitig verlassen und sich „im Reich in Sicherheit bringen können.“ Aber ihr revolutionärer „Ehrbegriff“ hinderte sie daran zu „fliehen“. Sie blieben ohne jeden Schutz in Berlin, obwohl sich der Hass von Teilen des Bürger- und Kleinbürgertums und vieler Militärs auf die beiden Antikriegsaktivisten konzentrierte. Doch auch Gustav Noske hätte durch den Befehl, die inhaftierten Spartakisten unverzüglich und unverletzt zu einer bestimmten Sammelstelle zu bringen, den Mord verhindern können. Warum unterblieb dieser Befehl?

Die politische Verantwortung für diesen folgenschweren Doppelmord trägt ganz eindeutig Gustav Noske. Dies haben bereits Ottmar Schreiner, damals Bundesgeschäftsführer der SPD, und die sozialdemokratische Historikerin Helga Grebing auf einer Podiumsdiskussion der SPD im Berliner Willy-Brandt-Haus am 14. Januar 1999 erklärt. Was das konkrete Verhalten Noskes in der Mordnacht vom 15. auf den 16. Januar 1919 betrifft, so kann aufgrund der Darstellungen von Klaus Gietinger allerdings nunmehr endgültig ausgeschlossen werden, dass Gustav Noske einen heimlichen oder offiziellen Mordbefehl an Hautmann Pabst gegeben hat. Andererseits hat Pabst 1962 im „Spiegel“ durchblicken lassen, dass Noske gegen eine Erschießung Luxemburgs und Liebknechts nichts einzuwenden hatte.

Der Artikel ist die vom Autor aktualisierte Fassung eines bereits 2009 erschienenen Textes.

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Autor*in
Tilman Fichter

ist Politikwissenschaftler und war von 1986 bis 2001 Referent für Schulung und Bildung im SPD-Parteivorstand.

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