Meinung

Warum sich die SPD wirtschaftspolitisch neu aufstellen muss

Die Gewissheit vieler Menschen, dass die soziale Marktwirtschaft für eine gute Zukunft sorgt, ist ins Wanken geraten. Auch die SPD müsse die Kraft sein, die den Kapitalismus zähmt und Wohlstand für alle möglich mache. Das fordern die Bundestagsabgeordneten Cansel Kiziltepe, Michael Schrodi, Swen Schulz, Sarah Ryglewski und Wiebke Esdar in einem Gastbeitrag.
von Swen Schulz · 23. Juli 2019
Die SPD muss sich wirtschaftspolitisch neu aufstellen, fordern die Bundestagsabgeordneten Cansel Kiziltepe, Michael Schrodi, Swen Schulz, Sarah Ryglewski und Wiebke Esdar.
Die SPD muss sich wirtschaftspolitisch neu aufstellen, fordern die Bundestagsabgeordneten Cansel Kiziltepe, Michael Schrodi, Swen Schulz, Sarah Ryglewski und Wiebke Esdar.

Viele Menschen stellen sich existenzielle Fragen: Haben meine Kinder eine Chance auf ein gutes Leben? Bin ich im Krankheitsfall ausreichend abgesichert? Und kann ich im Alter meinen Lebensstandard halten? Kann ich dort wohnen bleiben, wo ich mich jetzt zuhause fühle? Die Zustimmung zu unserem Wirtschafts- und Sozialstaatsmodell hing in der Vergangenheit wesentlich damit zusammen, dass die soziale Marktwirtschaft diese Fragen, wenn auch nie für alle, dennoch für viele Menschen positiv beantwortet hat. Diese Gewissheit ist ins Wanken geraten – zu viele Menschen befürchten, dass es ihnen und ihren Kindern in der Zukunft nicht besser gehen wird, sondern dass ihnen sogar der soziale Abstieg droht. Unsicherheit macht sich breit in großen Teilen unserer Gesellschaft. 

Neoliberalismus führt zu vielen Verlierern

In den vergangenen Jahrzehnten hatte sich weltweit die Idee durchgesetzt, ein möglichst freies Spiel der Marktkräfte in der Wirtschaft, auf den Finanzmärkten, auf dem Arbeitsmarkt oder im Sozialstaat, als die einfache Losung „Privat vor Staat“, sei die Antwort auf die gesellschaftlichen Fragen des 21. Jahrhunderts. Die Erfahrung hat gezeigt: Der Neoliberalismus ist kein Modell, das den Wohlstand breiter Bevölkerungsschichten hebt. Es ist ein Modell, das zu wenige Gewinner und zu viele Verlierer schafft. 

Wir wissen, dass die kapitalistische Wirtschaftsweise Wohlstand schafft, aber global wie auch national zu Ungerechtigkeiten und Verwerfungen sowie zu steigenden Einkommens- und Vermögensungleichheiten führt. Außerdem bedroht sie unsere natürliche Lebensgrundlage, da sie weder die Endlichkeit der Ressourcen berücksichtigt noch gegenüber künftigen Generationen fair ist. Die Sozialdemokratie muss deshalb die Kraft sein, die den Kapitalismus zähmt und so Wohlstand für alle möglich macht. Nur so kann die SPD die Werte der Freiheit, der Gerechtigkeit und der Solidarität auch im 21. Jahrhundert vertreten.

Für massive Investitionen in Bildung und faire Arbeitsbedingungen

Unser Politikansatz leitet sich aus der Überzeugung ab, dass wir dies schaffen, wenn möglichst viele Menschen ihre Talente, Leistung und Kreativität in den Wirtschaftsprozess einbringen können. Freiheit gibt es nur, wenn alle Menschen selbstbestimmt am Wirtschaftsgeschehen teilhaben können. Dafür müssen wir massiv in Bildung und Weiterbildung sowie faire Arbeitsbedingungen investieren. Nur so schaffen wir die Grundlage für unsere wirtschaftliche Innovationskraft und geben jedem Einzelnem die Möglichkeit sich frei zu entfalten. 

Wir brauchen mehr Sicherheit. Das ist für uns nicht nur die Freiheit ohne Angst vor Kriminalität leben zu können. Sicherheit ist viel mehr. Es ist die Freiheit ohne Angst vor sozialem Abstieg alt werden zu können. Es ist die Freiheit, zu wissen, dass auch im Krankheitsfall kein finanzieller Ruin droht. Es ist Freiheit, in seiner Wohnung bleiben zu können. Und es ist die Freiheit, als Familie mit Kindern vor Ort ausreichend kostenfreie Bildungseinrichtungen vorzufinden. Wir wollen diese Sicherheit für alle.

Für ein Investitionspaket 2040

Die Bürger müssen in allen wesentlichen Lebensbereichen direkten Einfluss nehmen können – ob in der Erwerbsarbeit durch Mitbestimmung und Beteiligung oder in der Gesellschaft durch Bürgerbeteiligung. Gerechtigkeit schaffen wir nur, wenn wir an die nächste Generation denken: Unsere öffentliche Infrastruktur verschleißt und die Leistungsfähigkeit unserer Volkswirtschaft steigt nur noch langsam. Zugleich stockt der notwendige Wandel zu einer ökologisch nachhaltigen Wirtschaftsweise. All dies zeigt, dass zu wenig investiert wird.

Die öffentlichen Nettoinvestitionen sind in Deutschland seit mehr als zehn Jahren zu niedrig. In den Kommunen reichen sie nicht einmal aus, um die Substanz der Infrastruktur zu erhalten. Wir leben von vergangenen Investitionen und auf Kosten der nächsten Generationen. Nach Schätzungen der KfW beläuft sich die Infrastrukturlücke auf mittlerweile 138 Milliarden Euro. Damit langfristig wieder mehr investiert wird, brauchen Bauwirtschaft und öffentliche Verwaltung Planungssicherheit. Um diese Aufgabe zu bewältigen, muss die finanzielle Ausstattung von Bund, Ländern und insbesondere der Kommunen gestärkt werden. Nur so können wir sicherstellen, dass der Investitionsstau in Schulen, Universitäten, Straßen, Infrastruktur und Wohnungsbau im Interesse der breiten Bevölkerung in Angriff genommen wird. Dafür brauchen wir ein auf 20 Jahre konjunkturunabhängig ausgerichtetes "Investitionspaket 2040" des Bundes im Gesamtumfang von einer Billion Euro: Die in der Haushaltsplanung vorgesehenen knapp 40 Milliarden Euro für Investitionen müssen bis 2040 auf jährlich 60 Milliarden Euro inflationsbereinigt steigen.

Schuldenbremse darf kein Hindernis sein

Die „Schwarze Null“ und die Schuldenbremse dürfen dafür kein Hindernis sein. Wir brauchen einen souveränen Umgang mit Staatsschulden statt einer Investitionsbremse und die goldene Regel statt Investitionskürzungen im Abschwung. Eine maßvolle, ökonomisch sinnvolle und sozial gerechte investitionsorientierte Einnahmenpolitik muss unsere Antwort auf die Herausforderungen dieser Zeit sein.

Solidarität hingegen verlangt, dass wir Teile der Daseinsvorsorge vor der Renditelogik des freien Marktes schützen müssen. Denn es ist nicht gerecht, wenn gute Daseinsvorsorge nur für wenige erschwinglich ist und der Preiskampf auf dem Rücken der Schwächsten ausgetragen wird. Wettbewerb ist dort sinnvoll, wo er Produktivität steigert, wo Waren für den Handel produziert oder Dienstleistungen angeboten werden. Wenn es aber um die Pflege älterer Menschen, die ärztliche Versorgung oder andere Formen der Daseinsvorsorge geht, darf Profit nicht das Leitmotiv der Anbieter sein. Im Bereich der Wohlfahrt haben sich andere Strukturen bewährt und diese müssen gestärkt werden.

Für die Einführung der Vermögenssteuer

Der Finanzierung unseres Gemeinwesens muss Steuergerechtigkeit zugrunde liegen: Wer mehr hat, muss auch mehr beitragen und wer sich unrechtmäßige der Besteuerung entzieht, der muss dafür zur Rechenschaft gezogen werden. Ein gerechtes Steuersystem ist das Fundament für eine solidarische Gesellschaft und damit auch für eine soziale Wirtschaftspolitik.

In der Steuerpolitik sehen wir den größten Reformbedarf bei der Besteuerung von Vermögen, Erbschaften und Kapitaleinkünften. Nur eine progressive Steuerbeteiligung aller kann letztlich dazu beitragen, dass Investitionen und Innovationen zu einem höheren Lebensstandard für alle führen. Die Wiedererhebung der Vermögenssteuer, mit progressiver Ausgestaltung ist dazu ebenso notwendig wie eine Erbschaftsteuer, die ihren Namen auch verdient. Gleiches gilt für die Besteuerung von allen Finanztransaktionen sowie Kapitaleinkünften nach dem individuellen Steuersatz.

Die SPD muss sich wirtschaftspolitisch neu aufstellen und ihr Profil grundlegend schärfen. Es gilt eine Vision sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik aufzuzeigen, die ein Leben aller im Wohlstand und in sozialer Sicherheit erstrebt. Auf der Basis unserer Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität ist dieses Ziel erreichbar.

Autor*in
Swen Schulz

Swen Schulz ist Bundestagsabgeordneter und Mitglied des Haushaltsausschusses.

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