Warum sich das Wissenschaftszeitvertragsgesetz ändern muss
IMAGO/Zoonar
Wer in der Wissenschaft arbeitet, braucht häufig ein dickes Fell. Viele hangeln sich von Zeitvertrag zu Zeitvetrag. Jedes Jahr fliegen Tausende Hochqualifizierte aus dem System, weil die Höchstzeit ihrer Beschäftigung abgelaufen ist. Die prekären Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft wurden nicht erst durch die #IchbinHannah-Initiative ans Licht gebracht.
Für die SPD ist gute Arbeit in der Wissenschaft ein nicht verhandelbares Ziel. Denn nur ein leistungsfähiges Wissenschaftssystem kann die Ausgangsbasis für einen nachhaltigen, also sozialen wie ökonomischen und ökologischen Fortschritt sein. Attraktive Beschäftigungsbedingungen sind dafür unverzichtbar, damit wir letztlich auch wirklich die besten Köpfe für exzellente Forschung und Lehre gewinnen.
Wir verlieren unsere klügsten Köpfe
Wir wollen deshalb das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) weiterentwickeln. Schon die erste Novelle des WissZeitVG 2016 sollte Verbesserungen erreichen. Die zweite Evaluation des Gesetzes vom Mai 2022 offenbarte aber: Gerade da, wo ein Grundstein für die Innovationskraft unseres Landes gelegt wird und die Ausbildung junger Nachwuchstalente erfolgt – in den Laboren und Bibliotheken, den Hörsälen und Kolloquien – gerade da sind kurze Vertragslaufzeiten, Kettenbefristungen, unbezahlte Überstunden sowie entgrenzte Arbeitszeiten gang und gäbe.
Dies bleibt nicht ohne negative Folgen: Begabte Absolvent*innen wandern ins Ausland ab oder in andere Branchen mit besseren Rahmenbedingungen. Insbesondere für Frauen kommt eine wissenschaftliche Karriere deshalb oft nicht in Frage, weil sie sich mit dem Wunsch nach Familiengründung schwer vereinbaren lässt. Die Annahme, dies entspreche einer funktionierenden Selektion, nach der sich Intelligenz am Ende durchsetze, ist ein Irrglaube. Dass die Vertragslaufzeiten für Doktorand*innen durchschnittlich unter 24 Monaten liegen, die Erarbeitung einer Doktorarbeit aber laut Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs (BuWin) im Durchschnitt 5,7 Jahren dauert, offenbart den Handlungsbedarf.
Für viele Nachwuchswissenschaftler*innen zieht sich der Leidensdruck nach erfolgreicher Promotion in der Postdoc-Phase weiter. Aktuell sind für diese Phase weitere sechs Jahre Höchstbefristungsdauer vorgesehen. Folgt nach dieser Zeit keine Berufung auf eine Professur, scheiden viele hoch-qualifizierten Menschen mit Anfang vierzig aus dem Wissenschaftsbetrieb aus; für den allgemeinen Arbeitsmarkt sind sie nicht selten überqualifiziert, für die Gründung einer Familie ist es oft zu spät, der Wissenschaft gehen intelligente Köpfe verloren, während ihre ermittelten Erkenntnisse in der Schublade landen.
Zuverlässige Perspektiven in der Wissenschaft
Das müssen wir ändern! Es braucht endlich die richtigen Rahmenbedingungen für gute Arbeit in der Wissenschaft. Konkret bedeutet das, dass Vertragslaufzeiten den erwartbaren Projekt- und Promotionsdauern entsprechen sollten. Statt ständig den Fristablauf im Nacken zu haben, sollen Promovierende sich auf ihre Arbeit konzentrieren können. Für Promovierte, die an der Hochschule bleiben wollen, braucht es in absehbarer Zeit verbindliche Karriereperspektiven, auch außerhalb der Professur.
Deshalb fordern wir von den Ländern, neue Personalprofile festzulegen und Dauerstellen für Daueraufgaben zu schaffen. Wer eine Professur anstrebt, soll rasch eine verbindliche Perspektive bekommen. Deshalb wollen wir eine deutliche Verkürzung der Höchstbefristungsdauer in der Postdoc-Phase durchsetzen. Richtig ist, dass es nach der Promotion bei der weiteren wissenschaftlichen Karriere eine gewisse Zeit geben muss, um das wissenschaftliche Profil zu schärfen. Danach muss der Sprung auf einen Tenure-Track erfolgen, den wir als Standardverfahren für Berufungen etablieren wollen und in der sich die Promovierten ohne weitere Befristungen im Nacken für die Professur qualifizieren können.
Kluge Köpfe, die viele Jahre die wissenschaftliche Karriereleiter hochklettern, können dann nicht mehr einfach so zwischen den Sprossen hindurchfallen. Hiermit schaffen wir zuverlässige und transparente Perspektiven in der Wissenschaft. Zur Stärkung der Familienfreundlichkeit und Diversität fordern wir zudem einen Rechtsanspruch auf die familien- und behindertenpolitische Komponente in der Qualifizierungsbefristung. Das bedeutet, dass die Höchstbefristungsdauer um jeweils zwei Jahre verlängert werden kann. Wer ein Kind erzieht oder ein Familienmitglied pflegt, darf nicht benachteiligt werden. Und jetzt ist es soweit: Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz wird novelliert – packen wir es mutig an!
ist SPD-Bundestagsabgeordnete aus Regensburg und Mitglied im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung sowie im Ausschuss für Digitales.