Warum Rüstungskontrolle Deutschlands Markenzeichen werden sollte
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In Zeiten des russischen Angriffskriegs sind Rufe nach mehr Rüstung normal geworden, schließlich muss sich die Ukraine verteidigen können. Es weht ein neuer Wind. Gleichzeitig gehen viele Menschen heute davon aus, dass mehr Waffen mehr Sicherheit bedeuten, selbst im linken Lager. Dies zu folgern, fällt leicht. Täglich sehen wir Bilder des Krieges und ohne Waffen kämen die tapferen ukrainische Truppen nicht weit. Das Argument für mehr Waffen greift aber zu kurz, sobald man den Blick weitet.
Natürlich geht es der Ukraine darum ihre Soldat*innen konkret im Kampf zu schützen, den allermeisten Staaten dagegen geht es um ein generelleres Sicherheitsgefühl. Auf die Welt geblickt, ist offener Krieg zwischen Staaten glücklicherweise eine absolute Ausnahme. Im Ukrainekrieg mag gerade nicht der Zeitpunkt für Rüstungskontrolle sein (noch nicht), in anderen Gegenden der Welt aber schon – nämlich dort, wo Spannungen herrschen und Konflikte eskalieren könnten. Weitere Eskalationen müssen dringend verhindert werden. Rüstungskontrolle kann dazu beitragen.
Rüstungskontrolle bedeutet nicht unbedingt Abrüstung
Langfristig bleibt eine weltweite Abrüstung unser Ziel, aber selbst das aktuelle Friedensgutachten erachtet diese derzeit als unwahrscheinlich. Stark verkürzt gesagt heißt Abrüstung Militärmaterial zu verringern. Dennoch: Rüstungskontrolle ist nicht gleich Abrüstung. Denn hierbei werden Bestände oder bestimmte Waffentypen geregelt, offengelegt und überprüft (sogenannte „Verifikation“). Man kann auch ihre Anzahl nach oben hin deckeln. Der Zweck von solchen diplomatischen Abkommen ist, gegen Rüstungsspiralen vorzugehen. Sie entstehen, wenn sich Staaten in ihren Beschaffungen von Waffen und anderen Rüstungsgütern gegenseitig hochjagen, getrieben vom Ehrgeiz jeweils besser ausgestattet zu sein als die andere Seite. Staaten wollen sich so sicherer fühlen, heizen aber letztlich nur das unsichere Klima weiter auf und geben sehr viel Geld für Waffen aus. Rüstungsdynamiken stattdessen zu kontrollieren und zu managen, schafft Kanäle, bildet Vertrauen und bewirkt längerfristige Sicherheit, die wir in vielen Krisenregionen dringend brauchen. Sicherheit geht nur gemeinsam.
Leider sind viele Rüstungskontrollverträge inzwischen ausgelaufen oder aufgekündigt. Diesem Trend sollten wir dringend entgegenwirken, um aktuelle Rüstungsspiralen einzuhegen und Möglichkeiten zur Entspannung zu schaffen. Einige Waffentechnologien (Cyber, LAWS, Hyperschallflugkörper) und Staaten (China, Iran) mögen neu sein. Aber die Grundlogik bleibt: Wie beim Poker bin ich viel entspannter, wenn ich die Karten auf der Hand des anderen kenne.
Rüstungskontrolle als Markenzeichen Deutschlands?
Deutschland war im vergangenen Jahr einer der Top-Fünf-Rüstungsexporteuren weltweit, mit einem Warenwert von 8,36 Milliarden. Im Haushalt sind für 2023 allerdings nur 67 Millionen Euro für Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung vorgesehen. Wenn Deutschland schon so viele Waffen ins Ausland verkauft, wäre es dann nicht nur konsequent, wenn wir im Bereich Rüstungskontrolle klotzen, statt kleckern? Bedarf und Ideen gibt es viele. So könnten wir uns noch stärker für Atomwaffenabkommen einsetzen, z.B. für den amerikanisch-russischen NEW START Vertrag (ab 2026 ist der sonst Geschichte) oder auch für ein neues europäisch-russisches Projekt zur Kontrolle und Überprüfung von Kurzstrecken-Nuklearwaffen (INF-Initiative). Auch europäische Regeln für bewaffnete Drohnen wäre ein lohnender Vorstoß.
In der Nationalen Sicherheitsstrategie gibt es einen konzeptionellen Schulterschluss zwischen Abschreckung und Rüstungskontrolle. Jetzt müssen wir Taten folgen lassen. Raum nach oben gibt es allemal – und enorm viel Potenzial. Das könnten wir nutzen. Wir sollten Rüstungskontrolle zu unserem Markenzeichen machen. Es wäre ein starker und authentischer Beitrag zu unserer Führungsverantwortung in Europa.
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ist PhD Fellow am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg, wo sie drei Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Rüstungskontrolle arbeitete.