Warum Polen von Deutschland jetzt Entschädigungen fordert
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Wenn der Vorsitzende der regierenden PIS-Partei Jaroslaw Kaczynski die „Deutsche Dominanz über Europa“ anprangert, wie kürzlich bei Wahlveranstaltungen (mal wieder) geschehen und dabei wortwörtlich unterstellt, Deutschland versuche Europa zu unterjochen und mit wirtschaftlichen Mitteln zu erreichen, was es mit Krieg nicht geschafft habe, dann ist diese Tonlage bekannt. In Berlin und Brüssel schüttelt man die Köpfe und beruhigt sich (Ist halt Kaczynski) damit, dass er zwar Parteivorsitzender, aber eben nicht in unmittelbarer Verantwortung für die Politik seines Landes stehe.
Forderung nach Reparationen
Bei den jetzigen Forderungen nach Reparationen handelt es sich aber nicht um eine der üblichen, von starken antideutschen Ressentiments geprägten turnusmäßigen Entgleisungen Kaczynskis. Wer das denkt, übersieht sowohl die Ernsthaftigkeit des Anliegens als auch den Nachdruck, mit dem es verfolgt wird.
Natürlich ist Kaczynski das Mastermind hinter der Initiative. Natürlich war er es, der die polnische Regierung überzeugte, die zunächst ausdrücklich begrüßte Stationierung deutscher Patriot-Luftabwehrraketen samt Bundeswehr-Soldaten abzulehnen. Polens Außenminister Mariusz Blaszczak hatte das deutsche Angebot zur Stationierung an Polens Ostgrenze zurückgewiesen, um stattdessen eine Lieferung an die Ukraine „anzuregen“, wohl wissend, dass das im NATO-Rahmen gar nicht geht.
Aber die Forderung nach Reparationen kommt eben nicht aus der PIS-Partei sondern ganz offiziell aus dem polnischen Außenministerium. Das ist eine andere Qualität. Zudem wird die Debatte nicht allein bilateral geführt. Die Regierung in Warschau sucht Verbündete, und das nicht ohne Aussicht auf Erfolg.
Die Volksrepublik Polen hatte nicht nur bereits 1950 im Görlitzer Abkommen gegenüber der damaligen DDR die Oder-Neiße-Linie als Grenze anerkannt, sondern durch Schreiben von Präsident Boleslaw Bierut 1953 gemeinsam mit der Sowjetunion auch auf Reparationen aus der DDR verzichtet.
Ansprüche Polens berechtigt?
Die Bundesrepublik vertritt die Ansicht, das gelte wegen der Warschauer Verträge von 1970 für sie in gleichem Maße. Und spätestens mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990 zur Wiedervereinigung Deutschlands seien sämtliche finanziellen Ansprüche als Folge des Zweiten Weltkriegs endgültig erledigt. Man muss dazu sagen: Diese Ansicht wurde in Polen nie vollständig geteilt – schon, weil das Land gar nicht mit am Verhandlungstisch saß.
Die Regierung in Warschau glaubt, der Staat Polen habe niemals vertraglich bindend auf Entschädigungen verzichtet. Und die Zahlungsverpflichtungen Deutschlands würden durch Inflation und Zinsen nur von Jahr zu Jahr weiter ansteigen. Stand Ende 2021: 1,3 Billionen Euro.
Diese Forderung ist der Bundesregierung offiziell zugegangen. Gleichzeitig aber hat der stellvertretende polnische Außenminister Arkadius Mularczyk, der über sich selbst erklärt, vor allem für den Auftrag Reparationen zu erstreiten, seinen Posten erhalten zu haben, Briefe an diverse EU- und NATO-Partner wie Großbritannien, Griechenland und Italien geschrieben. Sie sollen der Forderung mehr Nachdruck verleihen.
Gute Argumente nötig
Wo sei der Unterschied zwischen den Angriffskriegen von Nazideutschland damals und Russland heute, heißt es da. Wer jetzt sage, Russland müsse für seine Verbrechen in der Ukraine auch finanziell zur Verantwortung gezogen werden, der könne das für Nazideutschland auch nicht verweigern. Das könnte in Griechenland oder Italien, die ja ihrerseits auch bisweilen Zahlungen einfordern, durchaus verfangen. Man wird es zumindest nicht allein mit dem Verweis auf „antideutsche Ressentiments“ abtun können. Die Diskussion muss vorurteilsfrei und offensiv geführt werden. Die Bundesregierung wird argumentieren müssen.
Für Polen gibt sich Mularczyk kämpferisch und zuversichtlich zugleich. Man werde das Thema auf die Tagesordnung setzen und Freunde und Verbündete weltweit mit den polnischen Argumenten informieren. Deutschland habe die Welt und die eigene Bevölkerung getäuscht, sie „jahrelang gepflegt, trainiert, dass sie glaubten, mit Polen abgerechnet zu haben, und das stimmt nicht. Wir werden beweisen, dass sie es nicht getan haben“.