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Meinung

Warum Nachhaltigkeit eine sozialdemokratische Strategie ist

Die Corona- und die Klimakrise zeigen: Internationale Solidarität ist eine schiere Notwendigkeit. Im Zweifel ist sie überlebenswichtig. Dem dient die Nachhaltigkeitsstrategie der UN, eine sozialdemokratische Antwort auf die Probleme der Welt.
von Timo Vogler · 28. June 2021
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Politik über Grenzen hinaus zu denken, gehörte schon immer zum Markenkern der SPD. Unser roter Faden führt von den Vereinigten Staaten von Europa im Heidelberger Programm (1925) über Willy Brandts Nord-Süd-Kommission bis zum Lieferkettengesetz, das nur wegen der Hartnäckigkeit der SPD und von Hubertus Heil am 11. Juni vom Bundestag verabschiedet wurde. Kurz vor dem Wahlkampf ist damit klar: Unternehmen tragen Verantwortung, Umweltzerstörung, Ausbeutung und Menschenrechtsverletzungen zu verhindern – und zwar weltweit. Unser Einsatz für gute Arbeit und einen lebenswerten Planeten hört nicht an der deutschen Grenze auf.

Covid-19 und Klimawandel zeigen unsere Verwundbarkeit

Dieser gelebte Internationalismus ist heute wichtiger denn je. Die Covid-19-Pandemie hat gezeigt, wie international verflochten unser Leben und Wirtschaften ist. Dass im chinesischen Wuhan ein Virus auf den Menschen übergesprungen ist, hat weltweit Millionen Leben gekostet und über Monate den Alltag lahmgelegt. Und machen wir uns nichts vor: Gegen die wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Klimawandels, die erst langsam sichtbar werden, wirkt die Covid-19-Pandemie beinahe harmlos.

Beide Krisen, Pandemie und Klimakrise, haben gemeinsam, dass sie nur global bewältigt werden können. In einer Welt, in der sich Menschen, Waren und Dienstleistungen jeden Tag zwischen Kontinenten hin- und herbewegen, lassen sich ansteckende Krankheiten nicht an Grenzen stoppen. Treibhausgase erst recht nicht. Genauso können Konzerne wie Amazon oder Facebook nur durch international abgestimmtes Handeln reguliert werden. Die Einigung der G7-Staaten auf eine globale Mindestbesteuerung, für die Olaf Scholz als Finanzminister jahrelang gekämpft hat, muss da Vorbild sein.

Internationale Solidarität ist in unserem nationalen Interesse

Die Corona-Krise hat gleichzeitig das Potential, zum abschreckenden Beispiel zu werden – nämlich dann, wenn wir aus nationalem Eigensinn den Rest der Welt vergessen. Auch in Deutschland hilft unser Impfschutz nur so lange, bis sich auf der Welt eine Mutation ausbreitet, die gegen die Impfung immun ist. Erst dann, wenn wir Covid-19 weltweit unter Kontrolle gebracht und das Risiko solcher Escape-Varianten minimiert haben, ist die Pandemie wirklich vorbei.

Politisch gewendet: Internationale Solidarität ist keine Frage des guten Gewissens. Sie ist eine schiere Notwendigkeit. Im Zweifel ist sie überlebenswichtig.

Resilienz ist eine soziale Frage

Beide Krisen haben auch gemeinsam, dass wir ihre Folgen abmildern können, wenn wir früh und effektiv genug einschreiten. Das gilt für die wirtschaftlichen genauso wie für die sozialen Folgen. Wir Sozialdemokrat*innen müssen immer wieder daran erinnern: Reichtum oder Armut sind entscheidend dafür, wie heftig Menschen von einer Krise getroffen werden – egal ob Klima oder Corona. Wer kein Vermögen hat und unter prekären Bedingungen arbeitet, kann sich weder vor der Ansteckung mit dem Coronavirus schützen noch sein Leben an veränderte Klimabedingungen anpassen. Unter Umweltverschmutzung haben ebenfalls nicht die Menschen mit Villa im Grünen zu leiden, sondern diejenigen, die in der kleinen Mietwohnung an der vielbefahrenen Straße leben.

Die Covid-Krise untermauert diese Verbindungen mit nackten Zahlen. Studien zeigen, dass die Ansteckungs- und Sterbezahlen in ärmeren Gegenden teilweise doppelt so hoch sind wie an reichen Wohnorten. Auch in Deutschland hängen Armut und Corona-Risiko zusammen. Das zeigt ganz klar: Resilienz – also die Möglichkeit, eine Krise zu überstehen – ist eine soziale Frage!

Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung als sozialdemokratische Antwort

Unser Ziel muss daher eine Welt sein, in der ein gutes Leben für alle Menschen dauerhaft möglich ist. Dazu müssen wir auch die Belastungsgrenzen unseres Planeten einhalten. Die Kurzformel „nachhaltige Entwicklung“ bringt dieses Ziel auf den Punkt. Miterfunden hat diesen Begriff übrigens die Sozialdemokratin Gro Harlem Brundtland, die frühere norwegische Ministerpräsidentin und Vorsitzende der norwegischen Arbeiterpartei. Der nach ihr benannte „Brundtland-Bericht“ von 1987 gehört zum Fundament der Nachhaltigkeitspolitik.

Was Nachhaltigkeit heute bedeutet, beschreibt die 2015 von den Vereinten Nationen beschlossene Agenda 2030. Dieser weltweite Aktionsplan setzt 17 Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDGs), die bis 2030 erreicht werden müssen. Die Agenda 2030 beschreibt damit im Prinzip ein sozialdemokratisches Programm für die Welt: Sie will Armut und Hunger beenden (SDGs 1 und 2), Geschlechtergleichstellung erreichen (SDG 5) und Ungleichheiten verringern (SDG 10). Sie verspricht menschenwürdige Arbeit für alle (SDG 8), Kampf gegen den Klimawandel (SDG 13) sowie friedliche und inklusive Gesellschaften (SDG 16).

Umwelt- und Klimaschutz funktioniert nur zusammen mit sozialer Gerechtigkeit

Bei all dem hat die Agenda 2030 Mensch, Umwelt und Wirtschaft gleichermaßen im Blick - nicht als nebeneinanderstehende Blöcke aus entgegengesetzten Interessen, sondern als zusammenhängendes System. Soziale Nachhaltigkeitsziele lassen sich nicht ohne ökologische erreichen – und umgekehrt.

Auch darin erweist sich die Agenda 2030 als sozialdemokratische Antwort auf die Probleme der Welt: Umwelt- und Klimaschutz kann nur funktionieren, wenn alle Menschen mitgenommen werden und niemand auf der Strecke bleibt. Nachhaltigkeit funktioniert ganz oder gar nicht.

Die Zeit drängt

Nicht unterschätzen dürfen wir dabei, wie dramatisch unsere Lage jetzt schon ist. Die Agenda 2030 bringt auf den Punkt, was auf dem Spiel steht: „Wir können die erste Generation sein, der es gelingt, Armut zu beseitigen, und gleichzeitig vielleicht die letzte Generation, die noch die Chance hat, unseren Planeten zu retten.“ Die Transformation zur Nachhaltigkeit ist die wichtigste Gestaltungsaufgabe dieses Jahrzehnts.

Ob wir der Aufgabe gewachsen sind, wird sich in der kommenden Wahlperiode zeigen. Die Anpassung des Klimaschutzgesetzes, die Svenja Schulze und Olaf Scholz in Rekordzeit durchgesetzt haben, war ein wichtiger Schritt. Aber dennoch: Mit dem jetzt beschlossenen Abbaupfad würden wir 10 Gigatonnen CO2 in die Atmosphäre pusten, bis Deutschland klimaneutral ist. Um die Klimaziele von Paris zu erreichen, haben wir ein Budget von 6,7 Gigatonnen – für maximal 1,5 Grad Erderwärmung sind es 4,2 Gigatonnen. Da müssen wir noch mal ran. Am besten von der Spitze der Regierung aus, nicht nur aus dem Maschinenraum.

Die Transformation unserer Welt ist Aufgabe für die SPD

Die UN-Agenda 2030 steht unter dem Titel: „Transformation unserer Welt“. Das ist die Sprache des Fortschritts. Das ist Entschlossenheit, nicht nur das ökologische Gewissen zu beruhigen, sondern wirklich etwas zu verändern.

Es geht darum, unsere Welt in den nächsten neun Jahren gerechter, friedlicher und widerstandsfähiger gegen globale Krisen zu machen. Das ist eine gigantische Aufgabe. Zu wem würde diese Aufgabe besser passen als zur SPD – der Partei, die seit 1863 für gesellschaftlichen Fortschritt streitet und für eine bessere Zukunft für alle Menschen?

Packen wir es an!

Autor*in
Timo Vogler

ist Referent im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und Mitglied des Fachausschusses Internationale Politik, Frieden und Entwicklung der SPD Berlin.

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