Meinung

Warum ich als Feministin nicht für von der Leyen bin

„Ich muss mich wirklich nicht über jede Frau freuen, die einen bestimmten Posten erreicht“, schreibt Lisa Frerichs in einem Gastkommentar. Ursula von der Leyen hält sie jedenfalls als Kommissionspräsidentin für die völlig falsche Kandidatin.
von Lisa Frerichs · 5. Juli 2019
Ursula von der Leyen ist als Kommissionspräsidentin vom Europäischen Rat vorgeschlagen worden. Lisa Frerichs findet das nicht gut.
Ursula von der Leyen ist als Kommissionspräsidentin vom Europäischen Rat vorgeschlagen worden. Lisa Frerichs findet das nicht gut.

Ich neige auch dazu, mich reflexhaft zu freuen, wenn Frauen zum ersten Mal auf einen bestimmten Posten gelangen. Prinzipiell gibt es Grund zur Freude darüber, dass eine Frau erstmals EU-Kommissionspräsidentin werden könnte – waren doch nicht einmal viele Frauen je überhaupt im Gespräch für diesen Posten. Trotzdem erschöpft sich meine Freude bereits in dieser abstrakten Aussicht.

Osten und Norden gehen leer aus

Sehr vehement wurden Frauen von Unionspolitikern und vielen Journalisten aufgefordert sich doch gefälligst zu freuen. Und dann auch noch eine Deutsche! Der ehemalige CDU-Generalsekretär Peter Tauber schrieb, dass es ja typisch deutsch sei, sich nicht darüber zu freuen, dass „eine Landsfrau die Chance hat, an die Spitze der EU-Kommission aufzurücken“.

Der EU-Ratspräsident Donald Tusk freut sich, dass es zum ersten Mal einen nach Geschlechtern ausgewogenen Vorschlag gibt. Der frühere österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz sieht in dem Personaltableau die Chance einer grundlegenden EU-Reform mit mehr Demokratie, Transparenz und Bürgernähe.

In der Tat gab es bisher ausschließlich männliche Kommissionspräsidenten aus den westlichen EU-Mitgliedsstaaten. Auch nun gehen der Norden und der Osten Europas leer aus. Mit von der Leyen wurde eine Frau aus Deutschland – und damit wieder aus dem Westen – aus dem Hut gezaubert.

von der Leyen stand bei Reformen auf der Bremse

Wer die Nationalität einer Kandidatin so derart in den Vordergrund stellt, hat die europäische Idee in Gänze nicht verstanden. Und als würde es nur diese eine Frau zur Auswahl geben. Mehr Transparenz und Bürgernähe verheißt die Frau, die als Verteidigungsministerin zu Recht noch mitten in der sogenannten Berateraffäre steckt, jedenfalls nicht. Als würde die EU nicht sowieso ein Demokratie- und Transparenzdefizit aufweisen. Frans Timmermans, der als Vize-Kommissionschef offen für mehr Rechtsstaatlichkeit kämpfte, wurde mit diesem Deal zwischen den Regierungschefs Merkel, Macron und Orban erfolgreich verhindert. Es spricht Bände, wenn sich die EU nicht auf jemanden einigen kann, die oder der überhaupt zur Wahl stand.

Ich muss mich wirklich nicht über jede Frau freuen, die einen bestimmten Posten erreicht. Im Falle von Ursula von der Leyen spricht sogar vieles dagegen. Sicherlich verkörpert von der Leyen im Vergleich zu vielen ihrer CDU-Kollegen ein gar fortschrittliches Frauen- und Familienbild.

Auf den zweiten Blick hat Ursula von der Leyen zwar die Ganztagskinderbetreuung vorangetrieben, stand aber bei der Reform unseres Steuersystems, das zulasten von Frauen wirkt, ziemlich auf der Bremse. Sie warb lieber damit, wie viel der deutsche Staat investiert, damit Ehefrauen und –gatten zuhause bleiben können und propagierte den Begriff „konservativer Feminismus“. Was das sein soll, erschließt sich mir nach wie vor nicht.

Schulz und Timmermans sind Feministen

Auf die Frage, ob sie Feministin sei, antwortete von der Leyen: „Alle, die mich kennen, wissen, dass ich mich schon immer mit großer Verve für Fraueninteressen eingesetzt habe.“ Ein Klares Ja klingt anders.

Die Antwort von Angela Merkel auf dieselbe Frage lautete übrigens: „In der Geschichte des Feminismus gibt es Gemeinsamkeiten mit mir und es gibt auch solche, wo ich sagen würde, da gibt es Unterschiede. Und ich möchte mich auch nicht mit einem Titel schmücken, den ich nicht gar nicht habe.“

Nun gut. Die beiden letzten Spitzenkandidaten der Sozialdemokratie Martin Schulz und Frans Timmermans hatten übrigens kein Problem damit, die Frage nach dem Feministensein mit einem klaren Ja zu beantworten.

Die völlig falsche Kandidatin

Was Ursula von der Leyen betrifft, habe ich also ein ähnliches Spannungsfeld in mir, wie jenes, das Angela Merkel erzeugt. Natürlich ist es bewundernswert, dass letztere es als erste Frau geschafft hat, Bundeskanzlerin zu werden – in einer CDU voller älterer Männer wie Friedrich Merz. Auch ihre Art und Weise, wie sie Politik betreibt, ist es.

Und Ursula von der Leyen ist promovierte Medizinerin, ist seit 2005 ununterbrochen Bundesministerin und hat dazu sieben Kinder. Trotzdem halte ich sie für die völlig falsche Kandidatin.

Sie verkörpert für mich nicht jenen Aufbruch, den Europa in dieser schweren Krise braucht und verdient hat. Ich erkenne in ihr keine Kämpferin für ein gleichberechtigtes Europa – und das auf keiner Ebene: was den Westen und den Osten Europas betrifft, was die großen Gründungsstaaten und die neueren dazugekommenen Staaten angeht und auch nicht in Bezug auf Frauen und Männer. Im Gegenteil: Die Art und Weise, wie und vor allem von wem sie als Kandidatin für den Posten der Kommissionspräsidentin benannt wurde, symbolisiert genau diese Schieflage und macht sie unwählbar.

Das Verfahren war weder demokratisch noch transparent – um Bezug zu Sebastian Kurz‘ Forderung zu nehmen. Da hilft es auch nicht, dass von der Leyen eine Frau ist. Wäre der Union dieser Aspekt so wichtig, wie es jetzt in Reaktion auf die Ablehnung durch die SPD scheint, hätte sie ja eine Frau als Spitzenkandidatin aufstellen können. 

Autor*in
Lisa Frerichs
Lisa Frerichs

Lisa Frerichs arbeitet als Referentin einer Staatssekretärin in einem Berliner Landesministerium. Sie ist Mitorganisatorin des Barcamp Frauen Berlin und Gründungsmitglied des bundesweiten Netzwerks Wissenschaftspolitik von Sozialdemokrat*innen. Sie twittert unter @fraufrerichs.

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