Warum Gewerkschaften und Unternehmen sich gegen die AfD zusammentun müssen
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Was Didier Eribon in seinem viel besprochenen Buch „Rückkehr nach Reims“ erzählt, ließe sich als Erfahrungsbericht auch hierzulande schreiben: Mannheim, Waldhof, klassisches Arbeiterviertel, lange Erbguthof der SPD, kommunistische Betriebsräte bei Mercedes, heute AfD drittstärkste Kraft: 17 Prozent Stimmenanteil, vermutlich 20 Prozent bei Gewerkschaftsmitgliedern, ganz im Trend der letzten Bundestagswahl.
Ein Appell ans Interesse, statt an die Moral
Wie darauf reagieren? Ganz nüchtern wäre eine Bilanz aufzumachen: Was wird aus den Arbeitsplätzen in den wichtigsten Industriezweigen, von denen zwei Drittel von den Auslandsmärkten abhängen, wenn der für die Transaktionskosten des Exportweltmeisters so hilfreiche Euro, wie von der AfD gefordert, zugunsten der D-Mark verabschiedet wird; wenn Fachkräfte, die der Pflegesektor, die Dienstleistung und die Industrie so dringend brauchen, ums ‚Deutschland den Deutschen‘ eine Bogen machen; wenn die zu erwartenden Steuerausfälle durch höhere Sozialabgaben kompensiert werden müssen? Ökonomen wären gefragt, die hier mit prognostischem Zahlenwerk dienen können.
Es ist angezeigt, die AfD-Agitation mit ihren katastrophalen Folgen für die Arbeitsplätze, den Warenreichtum und den Wohlfahrtsstaat zu konfrontieren. Der Appell ans Interesse wird hilfreicher sein als der an die Moral.
Der AfD fehlt die Unterstützung der Wirtschaft
Wer für autoritäre Politikmuster anfällig ist, möchte beides sein: sich als Rebell stilisieren und Teil der schweigenden Mehrheit sein; sich aus der Masse hervorheben und sich nicht exponieren. Die AfD agiert mit dem so genannten Rebellentrick. Aber bei aller Anklage gegen die „kosmopolitische Elite“ achtet sie sehr darauf, es sich mit den ökonomisch Mächtigen nicht zu verderben. Wenn sie das „Establishment“ attackiert, nimmt sie sich eher die Parteien oder die Gewerkschaften vor als die Gruppe der Unternehmer. Noch keine rechte Bewegung konnte auf Dauer wirklich erfolgreich sein, ohne die Unterstützung ökonomisch mächtiger Kräfte. Der AfD fehlt diese Unterstützung. Daraus wäre Kapital zu schlagen.
Als diese Partei mehr als 12 Prozent der Stimmen bei der vergangenen Bundestagswahl bekam, war die Reaktion namhafter Industrievorstände und Arbeitgeberpräsidenten eindeutig: AfD im Bundestag schade dem Land. Mittlerweile reagiert man hier verhalten und wer sich von Seiten der Unternehmen weiterhin traut, den rechten Parolen gegenzuhalten, steht plötzlich alleine da. Er, Joe Kaeser, Vorsitzender der Siemens AG, habe gut reden, so die Antwort auf dessen Ansinnen, mit den Automobilvorständen gemeinsam den Rechtsdrift der Gesellschaft kritisch zu kommentieren. Er verkaufe seine Gasturbinen an rational kalkulierende Geschäftsleute, nicht ans große Publikum. Die Konsumgüterindustrie habe es dagegen mit vielleicht 20 Prozent Wählern und Sympathisanten der AfD zu tun, die zu vergraulen man sich nicht leisten könne.
Ein starkes Bündnis gegen die AfD
Ein Bündnis von Gewerkschaften und Konzernen zur Abwehr der Rechten wäre sehr hilfreich, wenn also z. B. der Vorsitzende der IG Metall, der der Geschäftsführung und der des Gesamtbetriebsrats der VW AG mit einer Stimme sprächen. Überall wo ein solches gemeinsames Vorgehen möglich ist, sollte diese Akteure es betreiben. Man muss den Sympathisanten der Rechten unablässig zu verstehen geben: Wer sich mit der AfD einlässt, hat Mächtige gegen sich.
Dieses Selbstgefühl zu erzeugen, ist wichtig: Wer AfD wählt, steht alleine da. Vor allem in den Firmen darf sich die Wahrnehmung des AfD’lers keinesfalls verfestigen: Draußen sind alle gegen mich, aber hier denken alle meine Kollegen wie ich. Die Betriebsversammlung, die Teambesprechung, das Pausen- und Kantinengespräch sind die zu nutzenden vorpolitischen Räume, um der Rechten den politischen eng zu machen.
Die Ausgrenzer ausgrenzen
Um die Ausgrenzer auszugrenzen, bietet das Betriebsverfassungsgesetz die einschlägigen, Straftatbestände sanktionierenden Paragraphen. Dass diese wirklich angewandt werden, der Hetzer auf keine Straflosigkeit spekulieren kann, ist unerlässlich. Der Betriebsrat muss seine Gesetzesmacht nutzen, das verringert die Lust an verbaler Aggression. Auf Wut folgt Bestrafung; dieses Muster ist im Unbewussten abgespeichert. Von diesem Reaktionsmuster darf es keine Abweichung geben.
Dort, wo Gewerkschaften schwach sind, deren Tarifverträge per Gesetz allgemeingültig zu erklären, damit unterbezahlte Beschäftigte besser gestellt werden, hat sich die große Koalition vorgenommen. Man sieht darin zurecht einen Wechsel auf eine für die AfD weniger rosige Zukunft. Ob die Regierungsparteien diesen Wechsel wirklich einlösen werden, wird man sehen. Der Wirtschaftsflügel der Christdemokraten läuft Sturm dagegen. Keinem Unternehmer dürfe Tarifbindung auferlegt werden, es sei denn durch den gewerkschaftlich organisierten Druck seiner Beschäftigten. Und wenn dieser Druck unterbleibt, weil diese systematisch eingeschüchtert werden? Der für das deutsche Arbeitsrecht so wichtige, vor den Nazis geflüchtete Politikwissenschaftler Franz Neumann hat darauf verwiesen, wie sehr kollektive Angst das für eine demokratische Gesellschaft wesentliche Element des freien Willens hemmt.
Tarifverträge helfen gegen die AfD
Die Gewerkschaften in ihrem Bemühen, Tarifverträge abzuschließen, gilt es zu unterstützen. Der überwiegende Teil der Beschäftigten in Ostdeutschland kennt keine. Man arbeitet hier durchschnittlich zwei Wochen länger im Jahr als die Westbeschäftigten. Der Anteil der Befristeten ist höher, ebenso der der Leiharbeiter. Dass die AfD zur zweitstärksten, in Sachsen zur stärksten Partei der östlichen Bundesländer geworden ist, dass Pegida im Osten entstanden ist, kann nicht verwundern. Wieder mehr Tarifbindung und weniger prekäre Arbeitsverhältnisse durchzusetzen, hätte eine die rechte Euphorie dämpfende Wirkung.
Ein unverfälschter Begriff von Solidarität kann dabei helfen. Die Identifikation des einzelnen mit seiner Arbeitsgruppe, mit seiner Betriebsgemeinschaft, mit seiner Gewerkschaft soll eine auf rationalen, gemeinsamen Interessen beruhende sein. Keine, bei der die Zugehörigkeit zur eigenen über die Abgrenzung von der Fremdgruppe läuft und über eine Glorifizierung von Führungspersonen. Die AfD setzt auf nicht-rationale, affektive Gruppenbildung und ist auf der Suche nach solchen Personen. Aber die Attraktion charismatischer Führer hat leicht antiquarische Züge angenommen.
Gewerkschaften auch für Hochqualifizierte attraktiv machen
Die Antiquiertheit der rechten Selbstinszenierung sollte man vor allem gegenüber der Schicht der modernen Angestellten herausstreichen. Gut ausgebildet wie diese ist, muss ihr der kostümierte Kreuzzug gegen den Islam als völlig anachronistisch erscheinen. Die Schicht der Angestellten hat in der deutschen Beschäftigtenstatistik die der Arbeiter lange schon überflügelt. Die Schwierigkeit der Gewerkschaften, Tarifverträge zu erstreiten, hängt damit zusammen. Für die Schwierigkeit der AfD, über die Gruppe der Arbeiter hinaus weitere Beschäftigtengruppen an sich zu binden, scheint dieser soziologische Wandel aber ebenfalls ursächlich.
Die klassische Industriearbeiterschaft schrumpft. Die Zukunft befriedeter sozialer Verhältnisse hängt mit davon ab, ob es gelingt, die Institution Gewerkschaft auch für Hochqualifizierte attraktiv zu machen. Hilfreich wird die Arbeit am Begriff gewerkschaftlicher Solidarität sein. Das darf keine Kategorie aus der Welt des alten Facharbeiters bleiben. Das muss eine werden, die auch seinem Sohn oder seiner Tochter - einem IT-Fachmann, einer Marketingexpertin - eine zeitgemäße Alternative zum beruflichen „struggle for life“ bietet.