Warum gesellschaftlicher Zusammenhalt eine gerechte Wirtschaftspolitik braucht
imago images/Agencia EFE
„Den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken.“ Das ist eines der wichtigsten Ziele des vom Parteivorstand nominierten Kanzlerkandidaten der SPD, Olaf Scholz. Der Begriff Zusammenhalt hat dabei nicht nur eine gesellschaftliche, sondern auch eine wirtschaftspolitische Dimension. Die wirtschaftspolitische Strategie der SPD muss die nicht zu überschätzende Herausforderung annehmen, die Gesellschaft wieder stärker zusammenzuführen. Möglich ist dies nur, wenn sie sich gleichzeitig zwei Aufgaben stellt. Erstens, sie muss den Wohlstand in unserer Volkswirtschaft nachhaltig und spürbar mehren. Und zweitens, sie muss ihn gerecht verteilen.
Ökonomische Bescheidenheit ist der falsche Ansatz
Beides steht im Konflikt zu aktuellen ökonomischen Trends. Im Zusammenhang mit der Corona Krise und ihrer Folgen ziehen konservative und grüne Verzichtsprediger durchs Land, die aus unterschiedlichen Gründen ökonomische Bescheidenheit für breite Teile der Bevölkerung einfordern. Die einen wollen sparen, um den durch die Corona Krise angehäuften Schuldenberg abzubauen – was zwangsläufig die wirtschaftliche Dynamik belastet. Die anderen behaupten, nur eine auf ökonomische Bescheidenheit aufgebaute Wirtschaft könne den ökologischen Anforderungen an eine nachhaltige Wirtschaftsweise gerecht werden. Dies ist per se gegen wirtschaftliche Dynamik gerichtet.
Das alles geschieht vor dem Hintergrund einer sich immer weiter digitalisierenden und globalen Wirtschaft, die dazu tendiert, die Früchte des Wirtschaftens immer ungleicher zu verteilen. Unter den heutigen technologischen Gegebenheiten und Wettbewerbsbedingungen gleichen sich ökonomische Unterschiede nicht mehr aus, sondern verstärken sich, da Größenvorteile z.B der Digitalkonzerne die ökonomische Macht ungleicher werden lassen. Der französische Ökonom Jean Pisany-Ferri, beschreibt dies so: „Die Erde ist keine Scheibe mehr.“
Die öffentliche Hand muss investieren
Erfolgreicher Widerstand gegen diese Trends ist nur durch eine gezielte Politik in eine andere Richtung möglich. Eine erste Voraussetzung ist eine Investitionsoffensive der öffentlichen Hände, um unsere Infrastruktur bis in den letzten Winkel unseres Landes fit für das digitale und ökologische Zeitalter zu machen. Insbesondere müssen dazu viele Kommunen finanziell und personell gestärkt werden. Die schon seit längerem von der SPD und Olaf Scholz vorgeschlagene Altschuldenregelung wäre ein wichtiger erster Schritt, damit auch finanziell derzeit klammen Kommunen wieder investieren können. Wir brauchen eine Renaissance des Lokalen. Dies erhöht Chancen für die Vielen und eröffnet neue wirtschaftliche Möglichkeiten auch in der Fläche und nicht nur in urbanen Zentren.
Darüber hinaus bedarf es einer strategischen Industriepolitik im europäischen Maßstab, die langfristige Ziele industrieller Produktion für digitale und ökologisch unbedenkliche Produkte zum Gegenstand hat und sich nicht nur an den Interessen einzelner Unternehmen oder Branchen ausrichtet. So entstehen neue Unternehmen sowie neue und sichere Arbeitsplätze für viele. An diesen Erfordernissen sollte sich neben der Geldpolitik auch der finanzpolitische Rahmen ausrichten.
Gerechte Steuerpolitik und faire Löhne
Vor diesem gesamtwirtschaftlichen Hintergrund stellt sich unmittelbar die Frage nach der gerechten Finanzierung und Verteilung dieser Vorhaben. Unter den gegenwärtigen Umständen ist dies nicht der Fall. Wir brauchen dafür ein gerechteres Steuer- und Abgabensystem, das höhere Einkommen und vor allem große Vermögen stärker belastet als bisher und geringere entlastet. Dafür stehen viele Stellschrauben von der Vermögens- oder Erbschaftsteuer über die Finanzmarkt-Transaktionssteuer bis hin zu einer Reform unseres Sozialsystems zur Verfügung.
Das aber reicht nicht. Denn besser als ausgleichende Gerechtigkeit durch das Steuer- und Abgabensystem wäre es, wenn die Beschäftigten auf dem Arbeitsmarkt über entsprechende Löhne und Arbeitsbedingungen sich unmittelbar ihren gerechten Anteil am wirtschaftlichen Fortschritt erarbeiten könnten. Die Corona Krise hat deutlich gezeigt, welch dunkle Ecken es auf unseren Arbeitsmarkt noch gibt, wo Menschen keine Chance haben je auf einen wirtschaftlich grünen Zweig zu kommen. Deshalb muss die Machtbalance auf dem Arbeitsmarkt umfassend zugunsten der abhängig Beschäftigten und kleinen Selbstständigen neu ausbalanciert werden.
Dies alles zeigt, den gesellschaftlichen Zusammenhang kann man nur stärken, wenn man eine gesamtwirtschaftlich orientierte Politik jenseits von Klientelinteressen betreibt. Eine solche Strategie zu erarbeiten, ist eine lohnende Aufgabe für alle, die in der SPD wirtschaftspolitische Verantwortung tragen.
ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Duisburg-Essen. Er gründete und war von 2005 bis 2019 wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung.